Bodensee '90: vier Rotzlöffel auf ihren Mokicks

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H.Kowalski
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Bodensee '90: vier Rotzlöffel auf ihren Mokicks

#1 Ungelesener Beitrag von H.Kowalski »

Inspiriert von diesem Thread fühle ich mich quasi genötigt, von einer lang zurückliegenden Reise zu berichten.... :mrgreen:

Meine allererste Urlaubsreise mit eigenem motorisierten Gefährt. Viel Spaß beim amüsieren, Witze reißen ist ausdrücklich erlaubt ;)

Bodensee `90: vier Rotzlöffel auf ihren Mokicks

Wir schreiben das Jahr 1990. Endlich Führerschein, endlich mobil! Bei mir hatte es nur zu Führerscheinklasse 4 gelangt. Egal, besser als nix, eine 80er blieb für die 2 Jahre bis zur Volljährigkeit halt ein unerfüllter Traum.

Vier Kumpels in Stuttgart schmiedeten einen Plan: lasst uns Urlaub am Bodensee machen. Und natürlich auf eigene Achse anreisen, mit Zelt & Pack auf unseren Mokicks. Nur einer von uns vier hatte eine 80er (Honda MTX 80, vom Vater gesponsort), die anderen nur 50er. Ich war mit meiner Honda MTX50 (2,7 PS) leider der langsamste. Die Yamaha RD50 war immerhin mit Rennauspuff und längerer Übersetzung frisiert, und die Yamaha DT50 hatte von Haus aus bereits stolze 4,1 PS!

Reisevorbereitungen

Mit Mokicks – damals auch „Kleinkraftrad mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h“ genannt - eine Reiseroute zu planen, bedarf der Berücksichtigung besonderer Umstände. Einfach den Wegweisern zu folgen, die hier und da auch mal auf eine Kraftstraße führten, war nicht drin. Das Navigationsgerät war noch nicht erfunden und auch Google Maps war damals noch nicht einmal ein Fremdwort.

Zu Planungszwecken ging es deshalb mit meinen Eltern an einem Wochenende an den Bodensee, die mit klassischen Straßenkarten geplante Route mit dem Auto abzufahren. Vor den Streckenabschnitten, die schnelleren Kraftfahrzeugen vorbehalten waren, machte ich mir Notizen. Bewaffnet war ich auch mit dem ADAC Campingführer. Einen geeigneten Campingplatz zu finden, war gar nicht so einfach. Der einzige Campingplatz am Bodensee überhaupt, der minderjährige Übernachtungsgäste ohne Begleitung von Sorgeberechtigten aufnahm, war der in Allensbach am Untersee. Somit standen Ziel und Route fest.

Anreise zum Bodensee

Wechselhaftes Wetter, in der Nacht hatte es geregnet, es war angesichts des Hochsommers relativ kühl. Die Esel wurden bepackt. Dann ging es endlich los. Viereinhalb Stunden waren wir insgesamt unterwegs. Über Reutlingen, Lichtenstein, Engstingen, Gammertingen, Sigmaringen, Stockach, Radolfzell, Allensbach.
Die drei 50er mit Sack und Pack
Die drei 50er mit Sack und Pack
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Vor der Lichtensteiner Steige die erste Pause. Ich hatte etwas Angst, ob mein luftgekühlter Zweitakter unter voller Last den Anstieg schaffen oder mittendrin den Hitzekollaps erleiden würde. Die Angst war unbegründet. Überhitzung war wegen der kühlen Wetterlage kein Thema. Im ersten und zweiten Gang quälte sich die MTX die Steige hoch. Oben angekommen, warteten die anderen schon ungeduldig auf mich. Nur eine kurze Pause, um dem Einzylinder eine Abkühlung zu gönnen, dann ging es auch schon weiter. Auch wenn schon jetzt der Arsch weh tat wie Hölle und ich nicht mehr wusste, wie ich sitzen sollte. Die Reisetauglichkeit meines Gefährts ließ hinsichtlich des Sitzkomforts ein wenig zu wünschen übrig. Da musste ich jetzt durch! Was anderes blieb mir eh nicht übrig.
Pause vor der Lichtensteiner Steige
Pause vor der Lichtensteiner Steige
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Irgendwo vor Stockach kamen wir dann auch noch in einen straken Regenschauer. Dann war die Jeanshose wenigstens völlig durchnässt. Die Regenbekleidung befand sich irgendwo im Gepäck, nicht am Körper. Und da man wegen des Kuhlnessfaktors ja unbedingt so eine Pseudo-Enduro fahren musste, die wegen des hoch liegenden Schutzbleches keinerlei Spritzschutz am Vorderrad bot, musste ich auch hier durch!

Ankunft am Bodensee

Endlich angekommen. Die Zelte wurden aufgebaut und Korea (Mischgetränk aus Cola und Rotwein, auch Bambule oder Calimocho genannt) angerührt. Am nächsten Tag hatte ich mir geschworen: nie wieder Korea! Der einzige derartige Vorsatz, der bis heute anhält. Beim Gedanken daran wird mir heute noch schlecht.
Korea und der Tag danach
Korea und der Tag danach
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Zur Erinnerung: der einzige Campingplatz am Bodensee, der minderjährige Übernachtungsgäste akzeptierte. Man kann sich vielleicht vorstellen, wie schwer es die Campingplatzhüter hatten, die Nachtruhe durchzusetzen. Denn wenn alle unter-18-jährigen Bodenseecamper auf diesem Platz residierten, hielten andere Altersgruppen sich eher fern. Entsprechend niedrig waren das Durchschnittsalter und die Disziplin im Umgang mit der Nachtruhe.

Die ersten Tage am Campingplatz

Eine ganze Woche wollten wir hier bleiben. Hier und da einen Ausflug machen, oder einfach am Strand abhängen und saufen.
Campingplatz in Allensbach
Campingplatz in Allensbach
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In einer der kommenden Nächte eskalierten die Lärmeskapaden auf dem Platz, weil schätzungsweise an jedem dritten Zelt lautstark gefeiert wurde. Ein Platzverweis nach dem anderen wurde vom Platzwart ausgesprochen. „Ihr reist morgen ab!“, war immer wieder zu hören.

Ohne Scheiß, auch wenn das jetzt schwer fallen sollte zu glauben: aber wir vier waren echt relativ harmlos und eigentlich ziemlich still im Vergleich zu den anderen. Wir amüsierten uns eher über die ganzen Rausschmisse. Und wir fühlten uns dazu animiniert, ein wenig nachzuhelfen.

Zu zweit versteckten wir uns in einem unserer Zelte. Auf ein Codewort hin, welches ein anderer von uns laut über den Platz rufen sollte, sollten wir im Zelt Lärm machen. Gesagt, getan. Wir hörten das Codewort und brüllten was das Zeug hielt. Dummerweise stand einer der Nachtwächter direkt vor unserem Zelt. Die Taschenlampe ging an, er öffnete das Zelt und leuchtete direkt hinein, auf unsere Gesichter! Wir stellten uns schlafend. Das schien ihn zu überzeugen. Er ließ von uns ab und ging zu einer Gruppe von Leuten, die nebenan vor ihrem Zelt saßen und (leise) feierten. „Ihr baut morgen ab!“ hörten wir noch und lachten uns ins Fäustchen. Ja, schlimme Rotzlöffel waren wir damals. Und hatten Spaß dabei.

Der Rausschmiss vom Campingplatz

Der Campingplatz lichtete sich am nächsten Tag, ein Zelt neben dem anderen wurde abgebaut. Wir waren stolz, immer noch bleiben zu dürfen. Am Abend, im Vorbeigehen an der Campingplatzpforte, konnte ich es nicht lassen, provokativ unser „Codewort“ vom Vorabend von mir zu geben. Damit waren wir enttarnt und bekamen auch zu hören: „Ihr reist morgen auch ab!“.

OK, warum nicht, sagten wir uns. Mir persönlich war es eh recht, da mir nach Abwechslung und Weiterreisen war. Immerhin hatten wir es einen Tag länger ausgehalten als viele andere auf diesem Platz! Darauf waren wir stolz und hatten Spaß dabei.

Die Weiterreise nach Markdorf

Völlig plan- und ziellos reisten wir weiter, immer am Bodensee entlang. Irgendwo auf der Strecke wurden Raviolidosen und Gaskocher ausgepackt, um uns zu verpflegen. Ein Gefühl von Weltreise und Abenteuer stellte sich ein. Völlig ungewiss, wo wir ankommen und vor allem übernachten würden. Der einzige Campingplatz am Bodensee überhaupt, der Minderjährige aufnahm, war nun auch keine Option mehr für uns.

In einem Strandbad in Meersburg lernten wir ein paar Mädels kennen. Die waren so freundlich, uns auf eine Party einer (nicht anwesenden) Freundin einzuladen, die noch am selben Abend in Markdorf stattfand. Warum die das taten, verstehe ich bis heute nicht, aber wir ließen uns relativ leicht dazu überreden. Damit stand das Etappenziel des Tages fest, auch wenn die Übernachtungsfrage immer noch nicht geklärt war. Irgendetwas würden wir schon finden, dachten wir uns. Auf der Party haben wir es richtig krachen lassen. Keine Sorge, weder Personen noch Gegenstände sind dabei zu Schaden gekommen. Wir haben einfach nur ausgelassen gefeiert. Stimmen wurden laut: „die spinnen ja!“. Aber wir hatten Spaß dabei.

Nach der Party bekamen wir den Tipp von einer Einheimischen, auf einer Wiese im Freien nächtigen zu können. Gesagt, getan. Die Nacht blieb nicht nur trocken, sondern auch sternenklar und eine es gab Sternschnuppen ohne Ende.

Der Diebstahl und das vorzeitige Ende des Urlaubs

Am nächsten Tag verabredeten wir uns mit einigen Partygästen an einer Mole zum Baden im Bodensee. Ein Geheimtipp, wie man ihn nur von Einheimischen kriegen kann. Nach zehn minütigem Fußmarsch abseits von jedem Touristenrummel kam man zu einer richtig schönen abgelegenen Badestelle. Dazu mussten wir unsere Motoresel samt Gepäck stehen lassen. Wir taten das und hatten Spaß dabei.

Nach der Rückkehr zu unseren Fahrzeugen war der Spaß dann vorbei. Scheiße! Wo ist das Gepäck?! Scheiße, geklaut!!

Bei einem von uns fehlte komplett alles. Keine Klamotten mehr zum wechseln, keine Jacke, kein Schlafsack nichts. Bei den anderen beiden hingegen fehlten „nur“ Einzelteile wie ein Zelt, eine Jacke oder etwas ähnliches. Ich hatte Glück, meine Sachen waren alle noch da. Offenbar wurden die Täter gestört und sind abgehauen. Eine Anzeige bei der Polizei brachte außer für die Statistik nur wenig Nutzen. Also ging es so schnell wie möglich nach Hause. Dieselbe Strecke, mit den gleichen Schmerzen am Hinterteil. Eine Abenteuerreise von vier Rotzlöffeln ging zu Ende. Wenn auch etwas kürzer als geplant. Doch wir hatten Spaß dabei.
Es grüßt der Hein (alias Heiner Kowalski)
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Gigl
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Re: Bodensee '90: vier Rotzlöffel auf ihren Mokicks

#2 Ungelesener Beitrag von Gigl »

Bepackt waren die Moppeds ja, wie, wenn ihr auswandern wolltet! ;)

Schöne Jugenderinnerungen... !
Es geht sicher vielen so, dass man das heute nicht mehr riechen kann, was man in der Jugend
alles gesoffen hat! :? :D
Bei uns war damals Apfelkorn oder Kirschrum sehr beliebt (kotz... ;) )!

Gruß
Gigl

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H.Kowalski
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Re: Bodensee '90: vier Rotzlöffel auf ihren Mokicks

#3 Ungelesener Beitrag von H.Kowalski »

Gigl hat geschrieben:Bepackt waren die Moppeds ja, wie, wenn ihr auswandern wolltet! ;)

Schöne Jugenderinnerungen... !
Es geht sicher vielen so, dass man das heute nicht mehr riechen kann, was man in der Jugend
alles gesoffen hat! :? :D
Bei uns war damals Apfelkorn oder Kirschrum sehr beliebt (kotz... ;) )!

Gruß
Ohja, Apfelkorn. Ich erinner mich. Den hatte ich einige Zeit vor dem Korea schon durch :D
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BITZER
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Re: Bodensee '90: vier Rotzlöffel auf ihren Mokicks

#4 Ungelesener Beitrag von BITZER »

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und setz mich auf mein achtel Lorbeerblatt, und mache was ICH will.
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ryna
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Re: Bodensee '90: vier Rotzlöffel auf ihren Mokicks

#5 Ungelesener Beitrag von ryna »

Bei den Bildern und der Streckenbeschreibung via Reutlingen gen Schwäbisches Meer musste ich schmunzeln. Mangels Kohle für Mototöff in dem Alter bin ich die Strecke mit dem Radl getrampelt. Mit dabei war ein Schulkamerad. Die Räder waren auch dicke mit Tourgepäck bepackt. Heute würde man sich bei dem Gedanken an den Kopf fassen. 8-)

Später war der Bodensee immer noch schwer in. Mit dem Motorrad an Pfingsten nach Hagnau an den Campingplatz war Pflichtübung. Nachtruhe war dort auch ein Fremdwort. Holladiewaldfee, ging da der Watz ab....

So alte Geschichten wie deine haben echt einen hohen Unterhaltungswert. :L
Es war echt eine coole Zeit.

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Nagge
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Re: Bodensee '90: vier Rotzlöffel auf ihren Mokicks

#6 Ungelesener Beitrag von Nagge »

Super Geschichte! Das bringt dich doch auf direktem Wege zurück in deine Jugend! Ich war mit meinen Kumpels auch öfters da unten! Jetzt weiß ich wenigstens warum wir in Allensbach vom Campingplatz geflogen sind ... :lol: :lol: :lol:
Grüße aus dem Schönbuch

Marc / Nagge

´s Leba isch koin Schlotzer!

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golem
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Re: Bodensee '90: vier Rotzlöffel auf ihren Mokicks

#7 Ungelesener Beitrag von golem »

Moin Heiner,
Suuuper Bericht, da kommen Erinnerungen an alte Zeiten hoch. Wie viele Dosen Ravioli hab ich bloss in der damaligen Zeit gegessen...???
Heute fällt mir auf, dass ich erstmal nur die Dosenravioli kannte, und erst später hab ich dann zum ersten mal "richtige" Ravioli gesehen....

Da ich in Norddeutschland aufgewachsen bin, habe ich ähnliche Erinnerungen, allerdings in Verbindung mit Ostsee und Nordseecamping. Einmal auf einem Campingplatz nahe Grömitz machten wir Bekanntschaft mit einigen Jungs, die sich als "Ahlumer Trinkerjugend" bezeichnete und auf einen alten Becks Sechserträgerkarton eben dieses kundig machte. Die haben aber Stroh Rum gesoffen....

Die Frisuren waren aber anscheinend in ganz Deutschland verbreitet....
Grüße!
Ulf

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Linus
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Re: Bodensee '90: vier Rotzlöffel auf ihren Mokicks

#8 Ungelesener Beitrag von Linus »

Wunderbare Geschichte! Fühle mich direkt 40 Jahre jünger und schwelge dank Dir in eigenen alten Erinnerungen.
Fremde sind Freunde, die wir noch nicht kennenlernen durften

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