Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

Polen, Tschechien, Balkanstaaten, Rumänien, Griechenland, usw.
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Grenzgänger
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Re: Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

#9 Ungelesener Beitrag von Grenzgänger »

Sehr schön zu lesen, eine super Reise bisher. :L
Bei mir sind alle Bilder zu sehen, kein Problem...
Hattest Du bei den Schlammigen stellen keine Bedenken weil Du allein Unterwegs bist?

Weiter so, freue mich auf die Fortsetzung des klasse Berichtes! :L
-Grüße Cornell-


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steinmeister
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Re: Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

#10 Ungelesener Beitrag von steinmeister »

Das Problem mit den Fotos ist wahrscheinlich, dass meine Einzelbeiträge sehr viele Fotos enthalten und die Seite versucht, alle gleichzeitig zu laden.
Ich hätte den Reisebericht wohl besser in mehrere kürzere Abschnitte splitten sollen.
Ich werde das mal nachholen.

Ansonsten freue ich mich natürlich über die positive Resonanz. :)
Schöne Grüße aus Boblas
Matthias

Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um. Ernst Bloch (1885-1977)
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steinmeister
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Re: Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

#11 Ungelesener Beitrag von steinmeister »

Hier ein neuer Versuch, den Reisebericht mitsamt Fotos gut genießbar einzustellen:

The baltic circle!

Mein alter Traum.
Vor nunmehr 25 Jahren hatte ich schon mal versucht, die Ostsee komplett zu Lande zu umrunden.
Per Anhalter damals. Vergeblich, aber das ist eine eigene Geschichte.
Die Straßen über den Großen Belt und den Öre-Sund gab es damals noch nicht, so dass ich doch irgendwann mit Fähren über Ostseewasser schippern durfte.
Heute gibt’s keine Ausreden mehr.
Landweg ist Landweg. Auch wenn das Land partiell aus Beton ist und Brücke heißt.

Meine neue Begleiterin ist eine Africa Twin, Bj. 2016, mit Schaltgetriebe und ABS.
Ich hatte schon Gelegenheit, mich auf und auch abseits von Straßen schwer in sie zu verlieben.
Aber ob es zur wirklich großen Liebe reicht, wird sich erst rausstellen.

Ende Juni. Die Zwölftausender-Durchsicht ist erledigt, obwohl nicht mal 7000 auf der Uhr stehen.
Das Gepäck ist verschnürt, die Ersatzreifen haben es sich in einem Extra-Gestell auf dem Rücksitz bequem gemacht.

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Schnell hole ich noch – für alle Fälle – eine Buddel Öl zum Nachfüllen bei meinem freundlichen Fachhändler.
Der ist wirklich freundlich und schießt auch das Start-Foto.

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Den späten Sonnenuntergang will ich nutzen, um Strecke zu machen.
Irgendwo tief im Polnischen werde ich das erste Mal mein Zelt aufstellen.
Autobahn? So eilig hab ich’s auch wieder nicht.
35°C, manchmal auch 37°C zeigt das Bord-Thermometer. Ich nutze jeden Ampelstopp,
um mir aus einer Plastikflasche Wasser über die Kombi und in die Handschuhe zu gießen.

Irgendwo in Sachsen.
Umleitung. Sackgasse. Frei bis Baustelle.
Am Wochenende ist das erfahrungsgemäß eine leere Drohung.
Vor allem, wenn man mit Bodenfreiheit und Federwegen nicht geizen muss.
Aber 12km weiter fehlt unvermittelt die Straßenbrücke über ein kleines Flüsschen -Schiet!
Ich fahre Waldwege entlang des Flüsschens und finde einige km weiter eine Radwegbrücke.
Sieht stabil aus, und es guckt grad keiner.

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Als die Dämmerung hereinbricht, fällt das Thermometer endlich unter die 30-Grad-Marke.
Zwei Stunden später baue ich in nächtlicher Stille und Dunkelheit neben einem Waldweg das Innenzelt als Mückenschutz auf
und schlafe tief und fest, bis mich pünktlich gegen 6 ein Sommerschauer weckt.

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Dann wieder ein Tag durch glühende Luft und flimmerndes Licht über endlose feldbefleckte Ebenen,
durch komatöse Dörfer, erste Erntekolonnen überholend, im nachmittäglichen Stop-And-Go durch das hitzewabernde Warschau,
bis ich wenige Kilometer vor der belarussischen Grenze ein Hotelchen finde.
Duschen, schlafen.
Morgen will ich der Erste an der Grenze sein, um mir stundenlanges Anstehen in der Hitze zu ersparen.
Schöne Grüße aus Boblas
Matthias

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steinmeister
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Re: Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

#12 Ungelesener Beitrag von steinmeister »

5 Uhr morgens: Die polnischen Pass- und Zollkontrollen nehmen ca. 30 Sekunden in Anspruch.
Der weißrussische Posten hat noch geschlossen.
Aber ich bin ausgeruht und habe mich mit Tiefenentspannung gewappnet, denn ich ahne schon, was kommt.
Nach einer Stunde zieht Leben ein, und eine sehr aparte junge Frau,
dezent geschminkt, edles Parfüm, perfekt sitzende Uniform,
erbittet sich freundlich meinen Reisepass, mein Visum, meine Fahrzeugpapiere, meine KFZ- sowie meine Krankenversicherung
und händigt mir im Gegenzug einige leidlich lesbar kopierte Fragebögen zum Ausfüllen aus.
In Din-A4- Format.
Mit weißrussischen Schriftzeichen.
Die kann ich zwar zur Not buchstabieren, aber beileibe nicht übersetzen.
Macht nichts, dafür gibt es einen Schalter mit einer aufgedonnerten Blondine dahinter, die, ohne eine einzige Frage an mich zu richten, alles für mich ausfüllt.
Aber sie gibt mir die Zettel nicht zurück.
Ich muss diese Dienstleistung erst bezahlen.
Und zwar mit achtzigtausend weißrussischen Rubeln.
Das sind ca. 4 Euro, aber Euro nimmt sie nicht.
Also reihe ich mich in die Schlange vor dem Wechselschalter ein, der in einer halben Stunde öffnen wird.
Als ich mit einem gewaltigen Stapel von Geldscheinen wieder am ersten Schalter eintreffe, ist die Blondine eben mal schnell frühstücken gegangen.
Kurz und gut: Drei Stunden nach Abgabe habe ich meinen Reisepass nebst diversen anderen Zetteln mit vielen Stempeln wieder in den Händen.
Zwischendurch haben Zoll-Offiziere mit ihren Lehrlingen mein Gepäck gründlichst inspiziert,
an der Zahnpasta gerochen und ins Batteriefach vom Fotoapparat geschaut.

Dann muss ich nur noch nacheinander drei Schlagbaum- und MP-bewaffnete Posten passieren,
die nochmal meinen Reisepass begucken, sich aus meinem Zettelwust was herausfischen, abstempeln, darauf herumkritzeln oder ihn gegen andere Zettel eintauschen.
Ich passe peinlich genau auf, alle erhaltenen Zettel gut zu verstauen.
Aus Erfahrung weiß ich nämlich, dass ein einziges fehlendes "Dokument" bei der Ausreise heftige Komplikationen auslösen kann.
:::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::

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Grenz-Festung Brest-Litowsk.
Hier kann man - wenn man will - lernen, wie man Mythen meisterhaft kreiert, inszeniert und instrumentalisiert.
Nach dem Überfall der Wehrmacht Juni `41 haben hier eine Handvoll russischer Soldaten noch mehr als einen Monat lang gekämpft;
die Front war schon viele Hundert Kilometer weiter nach Osten gerückt...
Heute spricht man in Russland von "Heldenfestung". Die Größe des Bus-Parkplatzes ist gigantisch.

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Dieser Klotz stand mal auf der CNN-Liste der zehn hässlichsten Denkmäler der Welt. Danach war natürlich eine Entschuldigung fällig.

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:::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::

Die Autobahn über endlos flaches Land gehört mir fast allein.
Nur selten sind ein paar Hausdächer zwischen Wäldern und Feldern zu sehen.
Die Welt schläft den Sonntag-Vormittag-Schlaf.

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Hin und wieder rauscht ein BMW- oder Mercedes- SUV mit russischem Kennzeichen an mir vorbei.
Einmal versuche ich, an so einem Hochglanz-Geschoss dranzubleiben.
Bei 180 gebe ich auf und lass mich wieder auf die erlaubten 120 zurückfallen.
...
Mein nächstes Ziel ist ein UNESCO-geadeltes Renaissance- und Barockschloss aus der polnisch-litauischen Herrschaftszeit.

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Die Händlerinnen auf dem Parkplatz bieten mir scherzend und lachend ihre Souveniere an.
„ Für deine Mutter. Oder deine Frau. Oder deine Geliebte.“
Eine will wissen, wohin meine Reise noch geht.
„Nach Russland? Ganz allein?
Das kannst du nicht machen! Da gibt es viel zu viele Verbrecher! Bleib lieber in Weißrussland!“
Und sie schwärmt von weiteren Schlössern und Kirchen in der Nähe, die ich mir unbedingt anschauen soll.
Zum Abschied schenkt sie mir ein von Hand auf Birkenrinde gemaltes Bildchen mit Kühlschrankmagnet
und weigert sich beharrlich, Geld dafür zu nehmen.

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Schade – ich habe nicht daran gedacht, irgendetwas einzupacken, was als Gegengeschenk taugt.
Als ich auf der AT vom Parkplatz rolle, winken wir uns herzlich zu.
Schöne Grüße aus Boblas
Matthias

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steinmeister
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Re: Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

#13 Ungelesener Beitrag von steinmeister »

Beim Weiterfahren Richtung Minsk denke ich daran, dass das heute schon die zweite Warnung vor Russland und seinen Kriminellen war.
Die erste hat mir mit fast den gleichen Worten ein junger Russe mit auf den Weg gegeben,
der mit seinem Auto zeitgleich mit mir die Grenze passiert hatte.


In einigen Stunden werde ich in Minsk sein, der Metropole der letzten Europäischen Diktatur aus kommunistischen Zeiten.
Was das bedeutet, kenn ich ja gut aus meinem Leben als DDR-Bürger,
und so mache ich mich auf eine öde Stadt im Einheitsgrau gefasst.
Mir fällt auch wieder ein, was ich letztlich erst im Internet über das Lebensgefühl der weißrussischen Jugend gelesen habe:
Konservativ bis zur Verstocktheit.
Wer hier als Punk herumlaufe riskiere, verprügelt zu werden...

Die Vorstadt- Sihouette der Beton- Wohnsilos bestätigt meine Erwartungen.
So ziemlich.
Oder fast.
Gar nicht.
Kein Dreck am Straßenrand.
Keine windschiefen Laternenmasten oder Vorgartenzäune.
Keine vom Rost abblätternde Farbe.
Dafür gepflegte Straßen mit Oberleitungsbussen und sehr entspannten Autofahrern,
sommerlich bunt gekleidete Passanten zwischen Blumenrabatten, mobile Eisverkäufer an den Haltestellen, Straßencafes….
Ich glaub, ich gönne mir eine Cola.

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Das dachte ich mir:
Im Herzen der Stadt vor dem „Palst der Republik“ lässt sich keiner der knapp 2 Millionen Minsker blicken.

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Aber knapp 200m weiter in einem Park am Ufer der Swislach sehe ich beim Vorbeifahren einen Menschenauflauf.
Ich wende, suche einen Parkplatz, schließe Helm und Jacke an und gelange durch ein großes barockartiges Portal in den Park.
Aus kühlschrankgroßen Boxen kullert Hip-Hop in die Menge, begleitet von der anheizenden Stimme eines Mannes, dessen Worte ich nicht verstehen kann.

Im Schatten warten Uniformierte. Worauf?

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Ich dränge mich durch bis zur „Bühne“.
Und staune.

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Footwork, Freezes, Powermoves in Vollendung.
Einer nach dem Anderen lösen sich die Tänzer ab.
Am Ende wird der Sieger gekürt. Das Publikum johlt und klatscht.

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Moderator, Bühne und Boxen verschwinden blitzschnell, als sich 50m weiter ein LKW mit Wasserkanone in Stellung bringt.
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steinmeister
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Re: Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

#14 Ungelesener Beitrag von steinmeister »

Aus dem Truck springen Uniformierte.
Aber das Publikum zerstreut sich nicht.
Im Gegenteil.
Aus den Tiefen des Parks kommen immer mehr Menschen,
in Erwartung dessen, was gleich passieren wird.
Die Kinder sind ganz aus dem Häuschen. Auch die Gesichter der Erwachsenen spiegeln Aufregung wieder.

Die Männer vom Truck sind routiniert.
Jeder Handgriff sitzt. Jetzt verlegen sie Schläuche.
Eine starke Pumpe läuft an und saugt das Wasser aus dem Fluss.

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Sekunden später prasselt ein Regenguss auf den Platz.

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Zuerst springen die Teens ausgelassen im Wasserwirbel herum.
Dann folgen die Kinder und schließlich auch einige ältere Semester.

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Was für eine Wohltat bei weit über 30°C!
Die Minsker Feuerwehr erfüllt ihren Job: Katastrophen-Abwehr!

Auch die beiden Soldaten,
die sich mittlerweile jeder einen Plastikbecher Kwas von einer der Buden geholt haben,
genießen die ausgelassene Stimmung der planschenden Leute
und die Abkühlung, die die Wassernebel im Park verbreiten.
Ich genieße noch ein Weilchen die fröhlich gelöste Sonntag-Nachmittag-Stimmung…..

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….. bevor ich mich auf den Weg Richtung Norden mache.
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Re: Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

#15 Ungelesener Beitrag von steinmeister »

Die Straße führt durch waldbedecktes sanftes Hügelland.
Der heiße Fahrtwind ist schwer zu ertragen.
Fräulein Garmin gibt mir immer wieder dezente Hinweise auf einladende Seen,
versteckt in den Wäldern links und rechts der Straße.
Schließlich geb ich der Versuchung nach und folge einige Kilometer einem Sandweg durch jungen Mischwald und dann einer ausgefahrenen Autospur auf morastigem Grund,
im Slalom um alte Eichen und Eschen.

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Nicht nur die Kühlung tut gut.
Es fühlt sich auch super an, den Schweiß und Staub eines langen heißen Tages loszuwerden.
Die Phrase "wie neu gebohren fühlen" wird wieder mit Bedeutung gefüllt.

Etwa 100km weiter sehe ich ein Schild. was mir im gesamten russischsprachigen Gebiet kein zweites Mal begegnen wird:

Campingplatz.
20km abseits.

Jepp! Das kommt genau zur richtigen Zeit!
Die Straße dorthin ist zum Glück wenig befahren. Denn jedes Auto, das mir entgegenkommt oder den Weg kreuzt, lässt eine Wand aus Staub stehen.

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Ich habe einige Mühe, den „Campingplatz“ in einem Gewirr sandiger Waldwege zu finden.
Mein Verweis auf mein Palatka (Zelt) löst beim dortigen Chef erst Verwunderung, dann Belustigung aus.
„Junge, hier gibt es Holzhütten zu mieten! Da wirst du doch nicht in einem Zelt schlafen wollen. Bist du ein Steinzeit-Mensch?“
Ich blieb ihm gegenüber starrköpfig, und konnte mich nach harten Disskussionen schließlich durchsetzen.
Er dagegen bestand darauf, diese Einigung mit seinem „Domskaja Whisky“ zu begießen.

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Wie sich herausstellte war ich auf keinem gewöhnlichen Campingplatz, sondern im nationalen Leistungszentrum für Wasserski- Artistik der Republik Weißrussland gelandet.

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Später haben wir dann noch auf „ewige Freundschaft“ angestoßen.

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Re: Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

#16 Ungelesener Beitrag von steinmeister »

Hier auf dem Platz bin ich eine exotische Abwechslung.
Zuerst schließen die Kinder und die Hunde mit mir Freundschaft.
Kaum steht mein Zelt, steht der Chef neben mir, nimmt mich am Arm und führt mich eine hölzerne Treppe hinauf.
Von der Galerie seines Holzhauses zeigt er auf den See.
„Moja Schena Natascha.“ Der Stolz in seiner Stimme ist unüberhörbar, und seine Augen leuchten.
Seine schöne Frau Natascha winkt uns aus dem Wasser lachend zu.

Das ganze Dachgeschoss seines Holzhauses ist einer Trophäensammlung geweiht: Regale voller Pokale aus vielen Ländern, bündelweise Medaillen und großformatige erstklassige Fotos von Wasserski-Helden in voller Aktion ringen mir ehrfürchtiges Staunen ab.
Mit ganz besonderem Stolz, in dem aber auch etwas Belustigung mitschwingt, präsentiert er mir sein Artefakt aus längst vergangenen Sowjetzeiten:

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„Weißt du, was das ist? Ein Deutscher war‘s.“
„Ja, ich weiß. Das kommunistische Manifest.
Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“
„Wacht auf, verdammte dieser Erde….“
Wir singen holprig und lachend, ich deutsch und er russisch, die ersten Zeilen der „Internationale“.
Unsere gemeinsame kommunistische Geschichte verbindet eben...

Er reicht mir eine Schwimmweste. „Zieh an!“
An den abgestoßenen Kanten seines Motorbootes bilden viele Farbschichten ein buntes Mosaik. Aber der Außenborder ist alles andere als altersschwach.

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Später sitzen wir zu dritt unter einem Baldachin aus Mückengaze um einen Klapptisch herum, der vollständig von Köstlichkeiten bedeckt ist.
Natascha schneidet Speck und Brot für mich ab, der Chef gießt ein.
Ich will nicht unhöflich sein, und so trinke ich doch noch einen „Domska“ (Selbstgebrannten) mit den beiden.
Auf ewige Freundschaft.
Ich muss an Pinselreiniger denken.
Zur dritten Runde lasse ich einen Trinkspruch los, den ich mal irgendwo aufgeschnappt habe:
Pod stalom uwidimsja!“
Die beiden fallen tatsächlich vor Lachen und Begeisterung fast unter den Tisch.
Dann natürlich Männergespräche:
Wie alt ist dein Motorrad? Wie viel PS?
Was musstest du dafür bezahlen?
Meine letzte Antwort bringt ihn etwas aus der Fassung.
„Dafür kannst du hier ein Haus kaufen.

Oder drei Autos. Gebrauchte.“
Hoffentlich habe ich morgen keine Kopfschmerzen.

Die Morgensonne quält sich rot durch Schleierwolken, als ich aufbreche.
Mein kleiner Kopfschmerz zerstreut sich schnell im heute erfrischend kühlen Fahrtwind.
Ich versuche, mich beim Fahren auf den bald bevorstehenden Grenzübertritt nach Russland einzustimmen.
Regen setzt ein.
Die Straßen werden schmaler und schlechter, die Dörfer kleiner und ärmlicher.

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In einem kleinen Laden erstehe ich für meine letzten Belarus-Rubel Brot, Käse, Speck und Wasser.
Dann versperrt ein altersschwacher Schlagbaum die Weiterfahrt.
Ich zücke den Reisepass und die Plastik-Tüte mit den Gesammelten Zetteln und begebe mich in die Grenzer-Holzbude.
Der missmutige Zivilist hinterm Schalter fragt, ob ich Geld tauschen wolle.
Als ich verneine, schlurft er nach draußen und hebt den Schlagbaum hoch.
Der Pass und die Papiere in meinen Händen interessieren ihn nicht.
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