Mein erstes Mal...

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JamboF
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Mein erstes Mal...

#1 Ungelesener Beitrag von JamboF »

Inzwischen ist (M)ann ja ein bisschen älter und reflektiert ein wenig über die vergangenen Zeiten. Ich/wir waren nun schon sehr oft in Skandinavien und haben inzwischen auch gute Freunde in Oslo und Stockholm. Es gab aber auch mal eine Zeit, da war Norwegen für mich unerreichbar und ich habe sehr oft davon geträumt dorthin zu fahren. Das Erste Mal Norwegen war dann so beindruckend, dass ich damals Tagebuch schreiben musste, um alles zu verarbeiten. Daraus habe ich nun ein, ja was eigentlich? Ein Buchähnlichen Reisebericht gemacht.

Dies möchte ich euch nicht vorenthalten. Aus Ermangelung einer Webseite, oder ähnlichen hier im Forum. Mal nur zum lesen, ohne Fotos. Die entstehen vlt. in euren Köpfen!?

„Schlange, Dorsch und andere suchtgefährdende Dinge in Norwegen“

- Kapitel 1 -

Dienstag, 18 Juli, 17:34 Uhr, Berlin

Mhm, wenn ich das so bestelle bekomme ich das Messer noch bevor wir nach Norwegen fahren. Aber 12,50 Euro mehr für den 48-Stunden Versand? Gut nehme ich das Messer eben ohne das Lederetui. Auf dem Boot liegt das Messer sowie so in der Kiste! Was brauch ich noch?

»Hase kommst du mal bitte!« Meine Frau ruft aus Richtung Küche. Na toll! Jetzt aber schnell!

Pilker? Habe ich! Der Verkäufer bei Angel-Müller hat mir ja die richtigen eingepackt! Dorschvorfach? Meereswirbel? Hat er alles in die Kiste gelegt! Mann der Typ hat sich ja so richtig für mich gefreut, als wir alles zusammen ausgesucht haben. Für meinen ersten „Norwegen-Meeresangel-Urlaub“!

»Hase bitte, ich muss mit dir reden!« Toll! Frauen passen immer den richtigen Moment ab. Der Ton meiner Frau aus Richtung Küche wird lauter. »Was bestellst du da schon wieder?«

Ein kalter Schauer auf dem Rücken signalisiert mir, dass sie nun in meine Richtung unterwegs ist. »Nichts! Nur ein Fieletiermesser…«, ich schaue meine Frau, die nun direkt hinter mir steht, über meine linke Schulter an. Sie fixiert den Bildschirm meines Laptops, »Äh…«. Ihre Nasenflügel blähen sich auf. Schnell klappe ich den Laptop zu und drehe mich zu ihr um und versuche zu erklären, »…ich muss die Fische doch auch ausnehmen und filetieren, nach dem ich sie für dich gefangen habe«. Sie stemmt die Hände in die Seite, »…40,00 Euro«! Frauen sehen doch echt immer nur das Negative! »Schatz, weißt du noch, wir fahren nach Norwegen zum Angeln!« Ihre Augen fangen an zu zittern, »Falsch Hase, wir fahren nach Norwegen in den Familienurlaub und wenn du mir nicht gleich deine Sachen rauslegst die du mitnehmen willst, dann kannst du…«

Blablablabla, wenn ich mich jetzt wieder durch unwichtige Sachen ablenken lasse, dann vergesse ich bloß die Hälfte und Fisch fangen kann ich vergessen! Meine Frau dreht sich auf der Stelle um und dampft wieder ab in Richtung Küche, »…und du musst noch deine Gummistiefel aus dem Keller suchen, sonst kannst du Angeln vergessen!«

Ja Herrin, »Ich mache dass sofort nach dem ich hier fertig bin! Bitte! Ich muss mich konzentrieren, sonst vergesse ich noch irgendwas Wichtiges!« Ich klappe den Laptop wieder auf und suche den Button „Warenkorb“.
Aus der Küche schallt es: »Hase, kann das nicht warten, bis wir in Norwegen sind? Alle die schon dort waren, haben dir geraten, die Angelsache die du brauchst in Norwegen zu kaufen! Dort soll es auch billiger sein! Und jetzt mach, ich habe noch so viel zu tun und vor allem zu packen!«

Tolle Ansprache, so jetzt nur noch einen „Klick“ und abgeschickt. Ich streiche mit dem Zeigefinger über das Touchfeld meines Laptops um Mauszeiger und „Absende-Button“ zur Deckung zu bringen, während-dessen ich versuche meinen Status als Chef wieder herzustellen. »Schatz, wir haben das schon mal besprochen! Es gibt Frauensachen um die kümmerst du dich! Es gibt Männersachen um die kümmere ich mich! Angeln ist eindeutig Männersache, davon hast du keine Ahnung! Also lass mich das hier noch schnell abschicken und dann helfe ich dir bei deinen Sachen!« Jetzt „Klick“ mit der linken Touchfeldtaste und das Messer ist unwiderruflich bestellt.

»Ach so!? Hase, ich wusste gar nicht, dass deine Unterwäsche, in Größe „XXL“, Frauensachen sind!? Und jetzt mach schnell mit deinen „Männersachen“, ich habe noch soviel zu tun…«

Samstag, 22. Juli, 10:03 Uhr, irgendwo bei Åvik in Norwegen

Mann fährt der schnell durch diese kleinen Schotterwege! Der hat bestimmt vergessen, dass wir mit bis zum Rand voll gepackten Autos durch die Gegend fahren!

Wir, dass sind Ralf, seine Frau Sabine, ihr 10 jähriger Sohn Erik, meine Frau Edyta, unser 10 jähriger Sohnemann Max und ich, Frank, aufgeteilt in zwei Autos, die dank der Fähigkeiten unserer Frauen bis zum Rand voll bepackt, so aussehen als wollten wir auswandern und nicht, nur für 14 Tage, Urlaub machen! Aber es ist beruhigend zu wissen, dass man ein Bügeleisen, eine Brotbackmaschine, eine Playstation und diverse andere Sachen dabei hat, die Frau und Kindern glücklich machen.

So und weit kann das Ferienhaus ja nun auch nicht mehr sein! Da, dass sieht aus wie im Katalog! Na endlich. Nach rund 24 Stunden, inklusive Nachtfähre von Hirtshals in Dänemark nach Kristiansand, sind wir da! Seit dem wir aus dem Bauch der Fähre gerollt sind kommen wir aus dem Staunen nicht mehr raus! Das erste Mal in Norwegen. Das Land, die Küste, das Auto, das vor uns fährt.

Das Auto von Fred unserem Vermieter! Chevrolet V8, Avalanche, Pickup! Was kostet so ein Teil wohl in Deutschland? Ich dachte Sprit ist hier so teuer! Scheinbar haben wir für Haus und Urlaub doch noch zu viel bezahlt! So jetzt nur noch Auto entladen und dann kann der Urlaub losgehen. Auto entladen!? Ich muss eine Möglichkeit finden, wie wir Männer, uns beim auspacken abseilen können. Das ist eindeutig Frauensache. Na und Fred, unser Vermieter. Als wir am vereinbarten Punkt in Åvik angekommen waren stand der schon gut gelaunt und grinsend neben seinem „Megatruck“ auf dem Parkplatz. »Hey ich bin der Fred, herzlich Willommen in Norwegen und das „Du“ reicht hier, ihr braucht in Norwegen keinen „siezen“. Ich fahre mal vor, folgt mir.« Ich stelle mir während der Fahrt das vor: Uns zieht ein Norwegischer Polizist wegen irgendwie sieben Kilometer zuviel raus, was in Norwegen bekannter Maßen richtig teuer ist. Ich sage dann ganz locker zu ihm: „Du, lass mal das war keine Absicht! Hab dich mal nicht so, ich verspreche dir kommt auch nie wieder vor!“ Er, der nette Polizist sagt dann bestimmt, nach einem Blick in meinen Führerschein, ganz easy: „Du Frank entweder du bezahlst jetzt hier bei mir oder du gehst in den Knast!“ Tolle Vorstellung, ich bekomme eine Gänsehaut. Irgendwie habe ich noch im Hinterkopf, das in Deutschland, das „Duzen“ einer Amtsperson so richtig teuer war.

Egal, der Fred steht nun grinsend vor seinem Haus!? Ach nein, Hytte nennen ja die Norweger ihre Zweithäuser! Und bei dem Auto und dem Land hätte ich wohl auch ein Dauergrinsen im Gesicht.

»Der Schlüssel müsste unter der Treppe liegen!« Fred geht auf die Knie und wühlt im Kies. Unter der Treppe liegen? Na der Norweger im allgemeinem und unser Fred hier im speziellen, muss ja ein unbändiges Vertrauen zu seinen Mitmenschen haben! »Da ist er!« Fred hält triumphierend den Schlüssel hoch. »Wenn ich euch hier alles gezeigt habe dann fahren wir zum Boot, Ok?« »Ja, klar Fred!« Ralf und ich schauen uns voller Vorfreude an.

Zum Boot. Unser eigenes Boot, zu mindestens für die nächsten 14 Tage! Was habe ich mir Gedanken zum Boot fahren gemacht! Nächte lang nicht geschlafen! Soll ich wirklich auf den „Skagerrak“ raus fahren!? Mit den Kindern? Wie bedient man ein Boot? Muss man bestimmte Knoten zum „Festmachen“ lernen? Mhm, keine Ahnung! Nur so ein komisches Gefühl, wenn ich daran denke! Ralf hat gleich von Anfang an, die Sache für sich geklärt: „Du kümmerst dich um das Boot fahren und ich kümmere mich um den Rest!“ Welcher Rest? Ich vertraue mal auf meine Fähigkeit schnell mit ungewohnten Situationen zu Recht zu kommen. Ach, dass wird schon!

Inzwischen fährt Fred unbeirrt mit seinen Erläuterungen fort: »Also, hier hängen die Schwimmwesten. Der Tank liegt im Keller! Wenn Ihr soweit seid, dann fahren wir zum Anleger wo euer Boot liegt.« Der Tank liegt im Keller? Na, dass wird ein Spaß! Wie schließt man einen Tank an einen Bootsmotor an? Soll ich Fragen!? Nee, sonst denkt der Fred noch ich bin ein bisschen „Bubu“ im Kopf! Nur keine Blöße geben, dass ist Männersache! Fred senkt den Kopf und schaut mich schräg über seine Brille an und fragt: »Was ist mit dem Echolot? Das kostet 45,00 Euro pro Woche extra.« »Nein, lass mal Fred, dass machen wir auch ohne! Das geht schon. Beim ersten Mal!«

Freds Augen blitzen kurz auf. »Das erste mal? Ach ihr seid das erste Mal in Norwegen?« Verdammt! Ralf guckt mich vorwurfsvoll an! »Na dann muss ich euch noch ein paar Sachen erklären!« »Ja!?« Ralf und ich setzen, wie einstudiert, ein wissbegieriges Gesicht auf. Fred ändert die Haltung. Jetzt hebt er den Kopf und schaut von oben durch seine Brille auf uns Unwürdige herab. »Passt auf wenn ihr raus fahrt! Innerhalb von zwei Minuten kann sich hier das Wetter ändern! Bitte nehmt immer ein Telefon mit! Die Rufnummern der Seerettung hängen hier! Im Fall der Fälle ruft ihr mich direkt auf meinem Handy an! Nummer hängt hier und…« Na toll, da waren sie wieder meine 3 Probleme. Keine Ahnung vom Fischen, keine Ahnung vom Boot fahren und dicke Bauchschmerzen wenn ich nur daran denke! Nur nicht panisch wirken. Wir beide, Ralf und ich nicken fleißig und hören weiter zu.

»… Schwimmwesten immer mitnehmen.« »Ja, Ok!?« »Wenn ihr das alles beachtet, dann kann eigentlich nichts passieren. So schlimm wie es sich anhört, ist es nicht. Hier saufen eher die Einheimischen ab, als die Touristen!« Na dann ist es ja gut! »So kommt wir fahren zum Boot. Ich muss dann auch gleich wieder weiter. Lasst mal die Frauen euere Autos auspacken, ist ja eh Frauensache. Ihr versteht schon!« Klar verstehen wir. Wenigstens auf dieser Ebene sind wir irgendwie gleich. Männer halt!

»Äh Fred…« Irgendwie muss Ralf noch was loswerden. »…ich hätte da noch eine Frage!« Na was kommt jetzt? »Wie sieht das aus, mit Angeln, hier auf dem See!« Gut der Mann! Guter Ansatz! Bevor „Mann“ überfordert wirkt, bringt er das Gespräch auf eine Ebene auf der er sich wohl fühlt, etwas, bei dem er sich auskennt. Und beim Angeln auf Binnenseen kennt Ralf sich wirklich aus und ein Ruderboot gehört doch schließlich auch mit zum Haus!? »Auf dem See angeln!?« Fred legt den Kopf zur Seite und in den Nacken und schaut erst Ralf und dann mich nur so aus den Augenwinkel an. Na toll, der Blick sagt alles! Wir sind in Norwegen. Im Land des Meeresfischens und Ralf fragt ihn, wie gut man auf einem See angeln kann! Nach dem ich die Frage jetzt, etwas habe wirken lassen, kommt sie mir auch komisch vor. Bevor wir los gefahren sind, hat Ralf noch Maden und Tauwürmer gekauft! Sollte das vergebens gewesen sein?

Fred schaut uns verwundert an. »Also Leute lasst das mal lieber. Fische fangen könnt ihr auf dem Meer. Hier im See gibt es, so wie so, nur Schlange und Schlange isst doch keiner!« Schlange!? Ralf und ich schauen uns geschockt an. Was meint Fred wohl mit Schlange? Gibt es tatsächlich Wasserschlangen in Norwegen! Elch, Biber, Lump, Leng, Pollack und Dorsch. Davon habe ich gelesen. Aber von Schlangen?

»So jetzt lasst uns aber los fahren!« Fred macht Druck. »Ich muss dann auch. Wir nehmen mein Auto. Und echt, der See ist eigentlich nur zum baden da!« Fred entfernt sich mit einem Kopfschütteln und ich überlege: Ist baden in einem See, in dem Schlangen wohnen, wirklich gut? Wie schließt man einen Tank an einen Bootsmotor an? Wo hingen noch mal die Schwimmwesten? Hält Fred uns nun für total bescheuerte „Tysk“?

5 Minuten später. Lonestrand, Bootsanleger

»Also hier liegt euer Boot!« Fred bremst und zeigt auf die Reihe von Motorbooten die am Anlieger schaukeln. 19-Fuss-Boot mit 9,9PS-Motor! Na bin ich aber gespannt! Wir steigen aus, voller Vorfreude suchen wir nach dem passenden Gefährt.

Mit Schwung und Schmackes hebelt Fred den vollen Bootstank vom Pickup. »Ich muss nur mal fragen welches euer ist.« Er greift nach seinem Handy und wählt einhändig eine Nummer, in der anderen Hand schaukelt der rote Bootstank. »Sag mal welches Boot gehört noch mal dazu? Das blaue…? OK! Ja, ich komme dann gleich!«

Mir schießt es durch den Kopf, erst ganz hinten, ganz leise, dann immer eindringlicher: „Warum telefoniert der Fred auf Deutsch und warum kennt er sein eigenes Boot nicht!?“ Fragen? Nein! Ralf schaut mich an. An seinen etwas aufgerissenen, fragenden Augen erkenne ich, dass bei ihm wahrscheinlich auch gerade ein Denkprozess einsetzt. Wir schlendern an den Booten vorbei und in mir pocht es: „Frage ihn, los…!“ Ich schau Fred von der Seite an und dann… »Sag mal Fred, du sprichst ja auch gut Deutsch, wie kommt das?« »Na weil ick auch aus Berlin komme…«

Peng, ja wie jetzt. Habe ich den Berliner Dialekt nicht erkannt? »…bin aber schon eine ganze Weile hier. Ist ja auch viel relaxter. Nach Deutschland bekommt mich jedenfalls keiner mehr!« Er stellt den Tank ab und erkennt unsere fragenden Gesichter. Da kommt das Dauergrinsen wieder durch und er beginnt zu erzählen.

»Nein wisst ihr, ich war bei der Flughafenfeuerwehr in Tegel. Ja und mit fünfzig ist das ja auch nichts mehr. Zu viel Stress! Da habe ich mir meine Pension auszahlen lassen und bin hier runter gezogen. Davor habe ich hier immer Urlaub gemacht…« In mir rattert es: „Fünfzig, Feuerwehrmann, Flughafenfeuerwehr, Beamter, Pension…“ »…na und jetzt arbeite ich halt hier für einen Norweger der die Häuser hier vermietet. Ok. Jetzt aber. Hier liegt euer Boot!«

Erst jetzt schaue ich auf und fokussiere ein Boot das vor uns im Wasser liegt. Beziehungsweise ein großes, na ja, Ruderboot. Circa 4 m lang und mit Außenbordmotor! Ruderboot!? 15 Fuss? Wie war das? 1 Fuss = 0,30479 Meter! Dann sind 15 Fuss = 4.57185 Meter! Vier fünfzig! Skagerrak! Nebel! Wellen! Wetter ändert sich in 2 Minuten! Sturm! Kinder! Panik!? Wenn wir zurückkommen kein Wort zu den Frauen! Die lassen uns damit niemals raus auf das Wasser, eh aufs Meer. Ralfs Augen sagen mir das gleiche, als er mich ein bisschen geschockt anschaut!

Fred beginnt unbeirrt mit seiner Einweisung. »Also, den Tank dahin stellen, guck mal, da an der Seite den Schlauch raufstecken, ein bisschen pumpen, Schock rein, da ziehen…« Ich höre Fred reden, allerdings wie in der Ferne! Während es in mir noch immer arbeitet: „Wie bekommen wir da die Kinder rauf, ohne dass die Frauen uns den Hals umdrehen?“ »…wenn der Motor läuft dann sofort Schock raus und natürlich, vorher nicht vergessen den Motor abzuklappen. Beim Tanken müsst ihr Öl mit rein geben ist halt ein Zweitakter. Aber das erklären euch dann die von der Tankstelle dahinten.« Fred zeigt auf einen kleinen Kiosk inklusive Tanksäulen, der weiter hinten direkt am Wasser steht. Na super! Was habe ich noch vorher schnell gelernt: „Jeg snakker tysk, je ne pa norsk!“ Heißt soviel wie: „Ich spreche Deutsch, ich spreche kein Norwegisch!“ Mal sehen, mit Englisch komme ich hier bestimmt auch weiter.

Mein Blick schweift wieder von der Bootstankstelle zurück, zu dem „Ruderboot“ das vor uns im Wasser dümpelt. Sechs Personen müssten ins Boot passen. Na gut, eher fünf. Na sagen wir mal, maximal vier! Wie komme ich bitte, mit dem Tank, bis nach hinten zum Motor, ohne ins Wasser zu fallen. Spontan fallen mir die Sendungen im Fernsehen ein, wo man die Urlaubsvideos von irgendwelchen mitteilungsbedürftigen Mitmenschen sehen kann. Wie zum Beispiel: Onkel Paul springt mutig und siegessicher in genau so ein Boot, um dann, im hohen Bogen ins Wasser zu klatschen. Hatte Ralf nicht auch eine Videokamera dabei? Müssen die mich fragen bevor die mich im Fernsehen zeigen? Wie viel bekommt man eigentlich für so ein Video? »Sag mal Fred, wie ist das eigentlich mit dem Fischen hier auf dem Meer…«

Ich höre Ralf diese Frage stellen und überlege dabei, ob er eigentlich nicht gerade über ein paar andere Sachen nachdenken sollte. Oder zumindest den Ausführungen von Fred folgen sollte, falls ich nicht alles mit bekomme! Ach nein, wie war das: „Du kümmerst dich um das Boot fahren und ich kümmere mich um den Rest!“ Scheiße! Wie war das noch mal!? Da raufstecken, dort ziehen, dann reindrücken, runterklappen nicht vergessen! Man ich hab Urlaub.

»…nimmt man hier Pilker? Welche? Und wo fängt man die dicksten Fische?« Fred schaut Ralf an und fängt schon wieder leicht an den Kopf zu schütteln. Gibt uns dann aber noch einen guten Tipp! »Du ich habe es nicht so mit dem Fischen, aber der Uwe, der kommt übermorgen aus Deutschland wieder und mit dem Uwe könnt ihr raus fahren, der zeigt euch dass alles. Ist auch nicht so teuer! Der Uwe ist hier der „Deutsche Angelguide“, der hat auch alles an Bord, da braucht ihr nicht mal eure Angeln mitbringen.«

In mir schreit es auf: Ja, wie? Nicht so teuer? Keine Angeln mitbringen? Wozu habe ich mir den ganzen Scheiß dann besorgt? Der Uwe zeigt euch das alles! Hör mal, ich habe alles, wirklich alles, im Internet gelesen, was es dazu zu lesen gibt. Ich habe jedes, wirklich jedes, bescheuerte Angelvideo gesehen, was es zu kaufen gibt. Der nette Typ bei Angelmüller hat mir alles, wirklich alles, haarklein erklärt! Nicht mit mir! Mir muss hier keiner was zeigen!

Nach kurzem Zögern frage ich dann doch: »Fred, wo muss ich noch mal den Benzinschlauch raufstecken, zeigst du mir das bitte noch mal!«

Samstag, 22. Juli, 11:30 Uhr, Lone an der Hytte

Fred hat uns zurück zu unserem Haus gebracht und ist dann Kopfschüttelnd abgedampft. Nicht ohne uns noch seine und Uwes Telefonnummer zu geben. Gut zur Not rufen wir den Uwe an, aber nur im Notfall.

»Was machen wir jetzt?« Ich gucke Ralf an und weiß eigentlich keine richtige Antwort. »Erst mal was essen, ich habe Hunger!« Als wir uns zum Haus umdrehen, stehen da auch schon die Frauen und geben uns zu verstehen dass unsere Sachen nun schon im Haus sind. Allerdings nicht ohne, so einem komischen Unterton in ihren Stimmen. Gut der Plan hätte dann wenigsten funktioniert. Das ich Hunger habe, traue ich mich dann aber doch nicht zu sagen nach dem mir meine Frau diesen komischen Blick zugeworfen hat. Ihr wisst schon. Dass ist der, bei dem man ungefragt ausrufen möchte: „Ich war es nicht!“

Nach dem wir ein paar Sachen verstaut haben und der „Bootsschock“ nach einem Mittagsessen etwas verdaut war, fassten wir noch mal die Sache mit dem Angeln und dem Boot auf. Auf die Frage unserer Frauen nach dem Boot, haben wir nur so was geantwortet wie: Ja, alles schick! Alles super! Kein Problem! Frauen denken dann meistens, dass alles in Ordnung ist! Wenn ihre Männer Probleme hätten, würden sie ihnen das auch erzählen!?

Gut, also, wie war das jetzt? Wir brauchen einen Plan! Wir wollen zum Boot und angeln. Unsere Frauen wollen bestimmt dass wir im Haus helfen. Vielleicht wollen sie auch mitkommen! Nein, denk nach! Mein Blick fällt auf die an den Hacken hängenden Schwimmwesten. Schwimmwesten? Schwimmwesten! Mal durchzählen, eins, zwei, drei, vier. Vier hängen im Vorraum. Vier Stück! Warte mal. Dann könnten wir die Frauen ja gar nicht mit dem Boot mitnehmen! Was hat Fred erklärt: „In Norwegen muss man auf dem Meer immer eine Schwimmweste tragen!“ Perfekt! Haben wir den Frauen das eigentlich mit der „Schwimmwestenvorschrift“ schon erklärt! Nein, dann wird es Zeit!

»Ralf wie viele Schwimmwesten haben wir den eigentlich?« »Vier, ja, ja ich glaube vier Stück!« Obwohl wir beide fast neben einander stehen brüllen wir durchs ganze Haus. Sabine kommt aus der Küche um die Ecke und schaut uns fragend an. »Was machen wir Frauen eigentlich, wenn wir auch mit fahren wollen? Brauchen wir nicht auch eine Schwimmweste?« Ich setzte die Stirn in Falten. Ralf und ich schauen uns völlig überrascht an. »Eh, stimmt. Ja, dann haben wir ja zwei zu wenig. Mist!« Ralf bringt den Satz mit wirklicher Bestürzung zu Ende. Sabine guckt mich an und mir fällt nur ein: »Du, dann rufen wir halt den Fred an. Fred hat ja gesagt wenn wir noch was brauchen, dann sollen wir ihm Bescheid sagen!« Ralf kann sich hinter Sabines Rücken ein Lächeln nicht verkneifen. Die Telefonnummer von Fred haben wir, da sind wir Männer uns ganz sicher! »Ach siehste Sabine, wir wollen sowie so mal nach dem Boot schauen. Nur mal so. Wie alles so funktioniert. Ob auch alles da ist was wir brauchen. Was hältst du davon, wir fahren mal schnell gucken?« Sabine schaut sich suchend um, meine Frau ist weit und breit nicht in Sicht. »Ok!?« Zwei Männer mit großen Kulleraugen. Ralf setzt zu einem neuen Satz an. »Und ihr habt doch bestimmt noch ein bisschen was zu tun. Küche, Bad und die Sachen in die Schränke räumen.« Puh, Ralf! Ich gebe ihm, mit einer schnellen kleinen Kopfbewegung einen Wink. Hör auf damit! Hoffentlich war das jetzt nicht zuviel. Nicht übertreiben, ganz ruhig. Sabine sucht immer noch nach einer vernünftigen Antwort und sie sucht Hilfe. Meine Frau ist aber immer noch nicht in Sicht. Trenne sie und dann klappt das! Nie direkt in die Augen gucken, den Blick auf den Boden und hilflos wirken. Bevor Sabine reagieren kann fällt mir noch ein guter Spruch ein, einer der meistens funktioniert. »Du Sabine, die beiden Jungs brauchen ja auch mal Bewegung. Die haben gestern ja fast nur im Auto gesessen.« Zögernd kommt ein Satz von ihr. »Ok. Ja, macht das mal.« Gut, dass hätten wir!

Wie auf Kommando rufen Ralf und ich aus voller Brust: »Jungs, kommt wir fahren mal schnell zum Boot!« Wie eine Stempide kommen die beiden Racker um die Ecke gerannt. »Hurra! Ja, Boot fahren. Juchhu!« Sabine ist sich immer noch nicht ganz sicher ob sie eine richtige Entscheidung getroffen hat!? Aber immer hin hat ihr Mutterinstinkt gegriffen. Meine Frau kommt die Treppe runter. Wahrscheinlich um zu schauen was hier solche Unruhe ausgelöst hat. Jetzt muss alles sehr schnell gehen! Meine Frau kennt schon ein paar von den Tricks. Bevor sie was sagen kann gehe ich entschlossen auf sie zu und teile ihr Sabines Entscheidung mit: »Schatz da bist du ja. Sabine hatte eine gute Idee! Die beiden Jungs haben gestern ja nur im Auto gesessen und die brauchen jetzt mal Bewegung! Wir fahren mal schnell runter zum Boot und erkunden die Gegend!« Meine Frau sucht Augenkontakt zu Sabine, allerdings stehe ich zwischen den beiden und sie kann nicht an mir vorbei schauen weil ich ihre Kopfbewegungen geschickt und geschmeidig ausgleiche und ihr dabei tief in die Augen schaue. »Äh, ja, was…« Sie ist verwirrt und versucht mich sanft zur Seite zu drücken. »Mama wir fahren zum Boot, wir fahren zum Boot…« Max schießt um die Ecke und verschwindet Richtung Auto. »Max, warte, zieh dir was Warmes an.« Sie schaut unserem Sohn nach, dann schnellt ihr Kopf herum und sie zieht mich an den Händen zu sich herunter, fixiert meine Augen mit hartem suchendem Blick. »Hase pass bitte auf!« Meine Frau guckt mir noch tiefer in die Augen! „Ich war es nicht!“ will es mir entfleuchen aber ich kann mich zusammen reißen. Sanft befreie ich mich aus ihrem Griff. Ich richte meinen Oberkörper wieder auf und wende mich zum Gehen. In diesem Augenblick zieht sie mich noch mal zu sich herum, schaut wieder tief in meine Augen und fragt: »Übrigens Hase, wo sind eigentlich deine Gummistiefel? Ich habe sie auf die Veranda gestellt aber da sind sie nicht mehr!« Erwischt!? Scheiß Augenkontakt! Ich drücke ihr einen Kuss auf und wende mich endgültig Richtung Auto. »Du, die habe ich schon mal ins Auto gepackt, man weiß ja nie Schatz!« Sie erwidert: »Ja, ist klar Hase.« Diese kleinen Tonschwankungen bei dem Wort „Hase“ sagen mir das sie mich durchschaut hat.

Jetzt schnell ins Auto. Tür zu, „Plock“ Kurze Kontrolle. Ralf, Erik, Max, ja alle da! Gummistiefel, Ruten… Ich starte den Motor und lege den Hebel auf „R“. Pilker, Dorschvorfächer, Meereswirbel… Rückwärts ausparken! Schulterblick! Messer? Habe ich das Messer… So einschlagen, bremsen, den Hebel auf „D“. Oh, die Frauen winken etwas pikiert von der Veranda! Gas geben nicht umdrehen und los. Tank, Angel, Pilker, Schwimmwesten… Die ersten hundert Meter sind geschafft. Gut. Der Nacken entspannt sich. Schwimmwesten! Schwimmwesten? Ich schaue nach rechts. »Ralf hat du die Schwimmwesten eingepackt!?« Wir schauen uns kurz an und dann beide nach vorn ins Leere. Panik!

»Nein, ich dachte du hast…« Vollbremsung. »Und ich dachte du hast…« Von der Rückbank schallt es: »Was ist sind wir schon da? Wo ist das Boot?« Unsere Blicke treffen sich wieder. Wir wissen beide das muss jetzt richtig schnell gehen, wie bei einem Kommandounternehmen. Die Frauen haben in den letzten, rund dreiundzwanzig Sekunden, bestimmt schon alles mit einander besprochen und sie wissen auch, das, dass Angelzeug weg ist. Frauen schaffen so was.

Ok, los, Hebel auf „R“. In einem Zug parke ich das Auto wieder rückwärts vor dem Haus. Ralf springt raus und rennt Richtung Schwimmwesten. Ich lasse den Motor laufen, habe schon längst wieder auf „D“ geschaltet und halte das Auto nur mit der Bremse. Gut, da kommt er, die vier Schwimmwesten vor der Brust, den Weg zum Auto, über den Berg von Westen in seinen Armen, anpeilend. Max mach deine Tür auf! Zack, Westen rein, Max Tür zu. „Plock“ Ich warte nicht bis Ralf seine Tür zu gezogen hat. Ich gebe Gas! »Hase!!!« Habe ich mich verhört? »HASE warte mal!!!« Mist, die Frauen. Beide stehen in der, von Ralf offen gelassenen, Haustür und winken wild mit den Armen.

»Wartet mal! Bitte!!!« Wir haben einen Grundsatz nicht beachtet fahre nie, also wirklich niemals zurück! Ich bremse und Ralf öffnet das Fenster. »Was ist denn wir müssen echt los!« Ich nehme den Fuß von der Bremse und lasse das Auto wieder langsam rollen. »Der Geschirrspüler geht nicht!« Ja, was Geschirrspüler, hat Sabine gerade Geschirrspüler gesagt? Ralf und ich schauen uns entgeistert an. Mit meinem Blick sagte ich ihm: „Es ist deine Frau, mach was!“ »Du Sabine, nicht jetzt. Das zählt nicht, wir waren ja eigentlich schon weg!«

Sabines, bestimmt nicht wirklich, nette Antwort geht im Geräusch von aufwirbelndem Kies unter! Die Kinder schreien von der Rückbank »Juchu, Gas, Gas, wir fahren zum Boot!« Jetzt nicht umdrehen. Dorsch wir kommen!?

- Kapitel 2 -

Samstag 22. Juli, 13:54, Lonestrand Bootsanleger

»So Kinder jetzt hört ihr uns mal ganz genau zu.« Erik und Max schauen mich mit großen erwartungsvollen Augen an! »Wir erklären euch dass jetzt genau einmal, wie das hier läuft!« »Darf ich vorne sitzen?« Max schaut mich aufgeregt an. »Nein Maxe, jetzt höre bitte genau zu…« Max lässt die Arme nach unten fallen und senkt den Kopf. »Ich wollte aber vorne sitzen!« Erik kann es sich auch nicht verkneifen. »Ich will auch vorne sitzen!«

So langsam fängt mein Nacken an zu kribbeln! »Schluss! Jungs das ist wichtig! Wenn wir jetzt hier in das Boot steigen, dann gehe ich nach hinten an den Motor. Dann kommt Max auf die erste Bank, danach Erik auf die zweite Bank und Ralf setzt sich ganz nach vorne! Es wird nicht rumgehampelt und keiner steht auf, ihr bleibt sitzen egal was passiert!« Max schaut immer noch mit gesengtem Kopf auf seine Füße. Erik beobachtet die Möwen die über dem Anleger fliegen.

»So jetzt zieht ihr eure Schwimmwesten an und wenn Ralf und ich alles in das Boot geladen haben steigen wir der Reihe nach ein!« Die Aufregung erfasst die beiden Racker nun doch und sie kommen wieder in Bewegung.

»Darf ich auf der Rückfahrt vorne sitzen?« Max kommt ganz nah an mich ran, legt den Kopf in den Nacken und schaut mich von schräg unten an. »Bitte Papa!« Warum kommen meine Ansprachen bei Kindern nie an? Ich lege eine ernste Miene auf, nehme Max an den Schultern und gehe in die Knie. »Maxi wenn dir hier was passiert, werde ich nicht mehr froh! Ralf muss mir beim Ab- und Anlegen helfen! Das geht nicht anders. Bitte sei vernünftig!« Seine Arme fallen wieder nach unten und der ganze Körper scheint nach zu sacken. »Ach man, ich wollte aber vorne sitzen!« Jetzt aber Schluss! Ich setze mein Väterliches „Es wird nicht diskutiert! – Gesicht“ auf. Ehrlich gesagt würde ich aber auch gerne vorne sitzen.

Ralf ist inzwischen ins Boot gestiegen und verstaut vorsichtig die Angeln und das andere Zeug, dass wir dabei haben. Ich überlege schon wie ich das Boot rückwärts aus seines Position ausparke!?

Links von unserem Boot liegt noch eines. Ganz nah, nur die Poller die über die Bordwand hängen, verhindern dass die beiden zusammen stoßen! Rechts ist noch Platz. Da fehlt irgendwie ein Boot. Ansonsten liegen die Boote alle in Reih und Glied.

Vorne an der Kaimauer festgemacht und hinten an einer Boje, die im Wasser schwimmt und wahrscheinlich fest am Grund verankert ist! Durch einen Ring an der Boje geht ein Seil das von vorne von der Kaimauer kommt und am hinteren Ende des Bootes befestigt ist. Aha, jetzt erst mal überlegen wie diese ganze Konstruktion gemeint ist! Erst hinten los machen, dann vorne, dann müsste es gehen! Rückwärts raus fahren und dann kann es losgehen! Na und Rechts ist ja noch Platz. Das wird schon irgendwie gehen.

Ich schaue mich um, dass alles scheint hier ein Campingplatz zu sein. Ganz nah am Wasser, hinter uns stehen Wohnmobile und Hütten. Nur ein kleiner Weg trennt sie von der Kaimauer die hier als Bootsanleger dient. Gegenüber, auf der anderen Seite dieser kleinen Bucht verläuft die Strasse nach „Lindesnes Fyr“, Richtung Leuchtturm und „südlichster Punkt“ Norwegens. Soviel weiß ich inzwischen auch schon!

Die Autos und Wohnwagen die hier stehen haben ausschließlich Norwegische Kennzeichen. Also scheinen hier nur Norweger Urlaub zu machen. Nur gut dass keiner in der Nähe ist und uns, beziehungsweise mir, beim Versuch ein Boot auszuparken zuschauen kann.

Die Norweger haben ja die Seefahrt unbestritten im Blut. Ich meine die haben Holzboote gebaut und haben dann als Wikinger halb Europa erobert! Die sind sogar von hier bis „Vinland“ also Amerika gefahren! Ohne GPS! Tolle Sache! Bloß nicht auffallen, das muss jetzt überlegt aber schnell gehen!

Ralf hat inzwischen die meisten Utensilien irgendwie verstaut! Er klettert aus dem Boot, nur der Tank steht noch an Land. Er bedeutet mir einzusteigen. Ok. Dann mal los. Ich setzte mich auf meinen Hintern und lasse mich langsam ins Boot, auf den Bug herab gleiten. Das Boot sinkt vorn gewaltig ins Wasser als ich es mit meinem vollen Gewicht nach unten drücke. Wenn der Motor nicht schon hochgeklappt wäre, dann würde die Schraube jetzt garantiert aus dem Wasser, schräg nach oben in die Luft ragen! So jetzt schnell hinhocken und rechts und links festhalten! Puh, es wackelt aber ich habe alles unter Kontrolle! Triumphierend schaue ich Ralf, über meine rechte Schulter an.

Der hat inzwischen den Tank nach ganz vorne an die Kaimauer gerückt. Dahinter stehen die beiden Jungs und beobachten meinen artistischen Einsatz. Mist der Tank! Dass ich den Tank auch mit mir, nach hinten nehmen muss, hatte ich schon voll verdrängt. Ich muss mich umdrehen und den Tank entgegen nehmen. Toll, dass wird was.

Ich drehe mich in der Hocke kniend um. Richtung Ralf und Tank. Die Beine rechts und links ins Boot stemmend und damit das Gewackel ausgleichend strecke ich meine Arme aus um den Tank entgegen zu nehmen. Jetzt keinen Mist bauen. Ich lasse den Tank durch meine Hände gleiten und stelle ihn erst mal ab. Das hätten wir. Das Boot schaukelt. So jetzt den Tank hinter mich stellen und dann umdrehen. Auch das funktioniert. Ich lasse mich auf meinen Hintern sinken und feiere innerlich diesen Teilerfolg. Ich sitze im Bootsbug und vor mir steht der Tank. Ich muss nun einen vernünftigen Weg, über die beiden Ruderbänke zu meinem Sitzplatz am Heck finden. Gut das jetzt keiner zuschaut!

Noch als ich den Gedanken im Kopf habe erkenne ich ein Boot das den Liegeplatz rechts neben uns ansteuert. Es ist etwas größer als unseres. Mit den hohen Bootswänden sieht es auch viel stabiler aus, als unser Ruderboot. Ja genau so habe ich mir unser 15 Fuss-Boot, noch vor einer Woche vorgestellt.

Es hat einem Steuerstand hinter einer einteiligen Windschutzscheibe, die wohl nur den Fahrer, oder besser den Kapitän schützen soll. Hinter der Scheibe steht ein, natürlich, blonder Norweger am Steuerstand. Daneben steht wohl seine Frau, auch blond! Natürlich! Sie hat eine Hand ganz lässig auf der Windschutzscheibe liegen. Vorne im Bug sitzt ein circa fünf Jahre altes Kind und lässt die Beine über den Bug baumeln. Mit einem eleganten Schwung steuert das Boot in Richtung Parklücke rechts neben uns.

Mir erscheint die Geschwindigkeit etwas zu hoch. Wenn der weiter so schnell ist, dann rammt der die Beine seines Kindes inklusive Bug in die Kaimauer. In dem Augenblick als der Bug rechts an mir vorbei in die Kaimauer zu rauschen scheint, schaltet der Kapitän in den Rückwärtsgang.

Der Bug senkt sich tief ins Wasser und eine Welle rollt unter dem Boot durch. Das Boot schaukelt auf der Welle von hinten nach vorn durch. Der Bug hebt sich wieder und die Welle klatscht an die Kaimauer. Und das Boot? Es steht! Es steht Star und Still, einen Zentimeter vor der Kaimauer. Der Motor blubbert im Leerlauf und die Norwegische Kapitänsfrau läuft leichten Fußes vom Steuerstand Richtung Bug. Sie nimmt eine Leine die auf der Kaimauer liegt, macht das Boot fest und hebt ihr Kind an Land. Danach klettert sie lässig hinterher. Der norwegische Kapitän hat inzwischen ein Tau aus dem Wasser, an seiner Boje, gefischt und befestigt damit das Heck. Während er nun Richtung Bug läuft zieht er sich, wie beiläufig, seine Schwimmweste aus. Er schaut mich an, grinst und ruft mir ein plattes „Hey“ entgegen. Man hast du das gesehen?

Ich drehe mich zu Ralf um. Ralf steht mit offenem Mund da und guckt dem Norweger zu wie er ebenfalls behände an Land klettert. Mein Maxe ruft aus dem Hintergrund: »Ich will auch vorne sitzen!« Mist, tolles Vorbild. In meinem Kopf arbeitet es, wie hat der das gemacht?

Inzwischen kommen wie auf Kommando aus allen Ecken des Campinggrundes irgendwelche Norweger angeschlendert und begrüßen lautstark den „Einparkkönig“ von Lonestrand. Alles direkt vor unserem Boot! Los haut ab!

Ich sitze immer noch auf meinem Hinterteil im Bug unseres Bootes, den Tank zwischen den Beinen und male mir gerade in Gedanken aus, wie die ganzen Norweger hier heute Abend, jeder mit einem Trinkhorn voller Met in der Hand, vor Lachen nicht zum trinken kommen, weil unser Kapitän hier die Geschichte dieser etwas bekloppt guckenden deutschen Landratte, zum X-ten Mal zum Besten gibt. Nützt nichts, wir müssen da jetzt durch. Ich schaue noch mal nach Ralf, der hat inzwischen seinen Mund wieder zu gemacht, nestelt an seiner Jacke rum und schaut pikiert auf die Erde. Ok, noch mal tief durchatmen. Ich schätze noch mal die Entfernung zu meiner, mir zugewiesenen, Sitzposition ab.

Also los, ich stehe auf und tapse etwas unbeholfen über die Ruderbänke zum Heck. Mit beiden Händen den Griff des Tankes umklammert, hieve ich ihn über die Bänke um mich dann, auf ihn abzustützen und hinterher zu klettern. Scheppernd lasse ich den Tank fallen. Ich drehe mich mit einer einzigen Bewegung um und lasse mich fallen. Puh, Geschafft! Vor mir liegt der Tank, der Zeiger der Tankanzeige klackert nervös hin und her.

Ralf hält nun die Jungs an den Schwimmwesten fest als sie runter zum Boot klettern. Einer nach dem anderen nimmt seine Sitzposition ein. Erst Maxe vor mir, dann Erik und zu guter Letzt klettert Ralf in den Bug und setzt sich hin. Gut das hätten wir.

Inzwischen stehen rund 50.000 Norweger am Kai und unterhalten sich, klopfen sich gegenseitig auf die Schultern und lachen laut, weil wohl einer, eine lustige Geschichte erzählt. Oder werten die jetzt gerade meine Einlage mit dem Tank aus? Wie ich mit dem Arsch wackelnd, nach vorne gebückt mit stelzenden Bewegungen über die Ruderbänke den Weg vom Bug zum Heck dieses kleinen Bootes hinter mich gebracht habe. Ich merke wie ich warme Ohren bekomme! Jetzt nichts anmerken lassen. Mist was wollen die alle hier? Dafür habe ich aber jetzt keine Zeit.

Ich betrachte den Motor und versuche mir Freds Anweisungen ins Gedächtnis zurück zu rufen. »Tankschlauch auf den Motor stecken…« Ja aber wo? Ich untersuche den Motor, rechts an der Seite finde ich ein vorstehendes Teil das so aussieht als ob das Schlauchende da rauf passt! Ok, raufstecken und „Klick“ passt. Was kam dann noch mal? »…ein bisschen Pumpen…«

Ja damit ist wohl der Ball gemeint der sich im Benzinschlauch befindet. Ein bisschen pumpen. Wie ich so den Ball drücke höre ich es immer „tzisch, tzisch“ machen und es fängt an nach Benzin zu riechen. Scheiße der Schlauch sitzt wohl doch noch nicht richtig am Motor!

Ich entferne noch mal den Schlauch und habe die Hände voller Benzin. Im Wasser unter dem Motor bildet sich eine schillernde Benzinlache die wie ein Regenbogen schimmert! Na toll, da komme ich als Deutscher in dieses naturbelassene Land und habe nichts bessere zu tun als erst mal den Fjord zu verseuchen!

Ich schaue unter meinem Arm hin durch zu den nun schon ca. 80.000 Norwegern, die immer noch lachend auf der Kaimauer stehen und zur Zeit wohl nichts Besseres zu tun haben. Keiner von denen beachtet mich oder die Benzinlache die auf dem Wasser schwimmt! Gut. Also noch mal raufstecken!

Jetzt macht es nicht „Klick“ sondern richtig „Schnapp“. Das scheint jetzt aber zu halten. Ich pumpe noch mal am Ball. Nichts, keine neue Fontäne aus Benzin! So das scheint zu klappen.

Jetzt muss ich noch den Motor nach unten klappen. Jetzt zeigt die Schraube noch gen Himmel weil der Motor nach oben geklappt ist. Wie geht das denn jetzt bloß? Ich fasse den Motor oben an, ziehe ihn noch ein Stück zu mir und suche mit den Fingern links irgendeinen Hebel oder so etwas, der die Sperre lösen könnte. Da! Ja, da scheint etwas zu sein. Ziehen, drücken, loslassen.

Jetzt klappt der Motor mit der Schraube ins Wasser! Geschafft. So wie ging das bei Fred noch mal weiter? »Schock rein…« Kein Problem, ich ziehe den Schock bis zum Anschlag raus. »…da ziehen…« Ah, jetzt ja. Das habe ich schon tausend Mal gesehen. Am Seil ziehen wie ein Mann und dann springt der Motor schon an!

Ich zieh wie ein Mann am Griff des Anlasserseils. Nichts! Scheiße, nicht mal geschluckt hat er! Noch mal am Ball pumpen, da muss Benzin rein, wer weiß wie lange das Boot schon hier liegt! Oh, Stopp! Wie war das früher mit meinem Moped?

Wenn die Zündkerze abgesoffen war und das Mistding nicht anspringen wollte!? Zündkerze raus und trocken legen. Mir wird jetzt richtig warm! Ich kann doch hier, diese Kiste nicht aus einander schrauben. Nein! Also lass ich das mal lieber mit dem pumpen.

Ich ziehe wieder am Seil, eins, zwei, drei, vier Mal. Keinen Mux gibt das Mistding von sich! Ich drehe mich zu Ralf um. Der sitzt vorn im Bug und schaut interessiert meinen Bemühungen zu! Die Norweger an Land sind immer noch am Quatschen. Was jetzt! Max dreht sich zu mir um. »Wann fahren wir den los?« Anstatt ihm zu Antworten überlege ich, was ich, bei Freds Anweisungen verpasst haben könnte!? Während ich versuche mich zu erinnern fällt mein Blick auf Ralf rechte Hand.

Da baumelt eine orange Strippe die aus sieht wie eine „Telefonhörer-Schnur“. Halt nur Orange. An dem einen Ende hängt ein Armband mit Klettverschluss und am anderen Ende ein kleiner oranger Ball. An dem Ball, der an eine Boje erinnert ist ein Schlüsselring, daran ein kleiner Schlüssel und so ein kleines schwarzes Ding, was aussieht wie die Halterung für einen Einkaufwagen-Chip. Nur dass der Chip fehlt! Ich frage ihn: »Was hast du da?«

Er folgt meinem Blick und schaut auf das Ding in seiner Hand. »Das ist der „Bootsschlüssel“, den hat mir Fred heute Vormittag in die Hand gedrückt!«

»Wozu ist der Schlüssel?« »Na für das Schloss hier, mit dem das Boot an der Kaimauer angeschlossen ist!« Ralf zeigt auf ein Vorhängeschloss mit Kette, die an der Kaimauer befestigt ist! »Und das andere Ding?« »Weiß ich nicht!« Ich überlege.

Na klar, logisch, dass ganze sieht wie eine „Abreißsicherung“ aus! Man befestigt das Ding irgendwo am Motor und das andere Ende am Handgelenk. Durch die „Telefonschnur“ kann man sich noch bewegen, weil die sich dehnt und wieder zusammen zieht. Fliegt man aus dem Boot reist das Ding ab und der Motor stoppt! Das ganze baumelt dann noch an der Hand, wenn man im Wasser treibt und das Boot rauscht nicht mit Vollgas ins Nirvana.

Das ist es! »Gib mal her, aber zu erst schließe mal das Schloss auf!« Ich schaue Ralf vorwurfsvoll an! »Wann wolltest du mir das eigentlich sagen, dass du noch die „Bootsschlüssel“ in der Hand hast?« Er brubbelt was in seinen Bart, etwas das sich anhört wie: »Ja was weiß ich denn…« Nach dem er die Kette mit dem Schloss gelöst hat, geben mir die Kinder den Schlüssel nach hinten durch.

Wo kommt das „Einkaufswagenchipding“ jetzt hin? Als ich den Gasgriff anschaue fällt mir so ein runder „Knubbel“ auf, der etwas heraus steht. Ich ziehe den „Knubbel“ nach oben. Na klar, das Ding drunter schieben und wenn man an der „Handgelenks-Telefonschnur-Abreißsicherung“ zieht, schnappt der „Knubbel“ wieder nach unten.

Ich schiebe das Ding drunter, ziehe an der Anlasserschnur… spuckend und qualmend springt der Motor an. Ach du Scheiße!

Schock raus. Erst jetzt läuft der Motor ruhig blubbernd vor sich hin! Das hätten wir. Die Kinder rufen: »Ja, jetzt geht’s los!«

Innerlich triumphiere ich! „Die Macht in dir, Stark sie ist, mein junger Padawan.“ Ich schaue nach oben und sehe wie Joda mir zu zwinkert. »ICH HABE DIE MACHT.«

Noch während ich das ausrufe, denke ich wieder an die nun ca. 100.000 Norweger die immer noch am Kai stehen. Na gut, die verstehen so wie so nichts! Allerdings grinsen die immer mehr. Ich denke die werden heute Nacht, vor lauter Lachen über uns nicht in den Schlaf kommen!

Ohne weitere Freudesbekundungen oder wilde Gesten parke ich das Boot Rückwärts aus. Ganz cool. Hebel in Richtung „Rückwärts“. Boot rückwärts aus der Parkposition rausziehen und dann den Hebel auf „Vorwärts“. Eigentlich ganz Simpel, der Hebel am Motor kennt drei Stellungen: Vorwärts, Neutral, und Rückwärts. Der Gasgriff ähnelt dem eines Motorrades, einfach dran drehen und die Fuhre geht ab. Die Kinder sind relativ aufgeregt und rutschen auf ihren Sitzbänken hin und her. Ralf fletzt sich vorn im Bug. Ich sitze nun auch etwas entspannter auf meiner Position und dirigiere das Boot mit der „Pinne“ in Richtung Hafenausfahrt.

Ich umrunde die Landzunge auf die, der Campingplatz liegt. Die kleine Bucht öffnet sich in den „Schärengarten“. Es sieht so aus als hätten Riesen wahllos große und kleine Steine ins Wasser geworfen. Viele kleine, mittlere und große Inseln liegen im Blickfeld. Weiter hinten erblickt man zwischen den „Schären“ das offene Meer, den „Skagerrak“.

Etwas mulmig ist mir schon. Immer wieder hört man von verschwundenen Anglern und leeren Booten die auf dem offenen Meer treiben. Diesen Gedanken versuche ich jetzt so gut wie möglich zu verdrängen. Ich konzentriere mich jetzt lieber auf die Aufgaben die vor mir liegen. Der Papa ist jetzt auf der Jagd.

Nach dem wir die Hafeneinfahrt verlassen haben gebe ich ein bisschen mehr „Gas“. Der Bug hebt sich aus dem Wasser und wir kommen gut in Fahrt. Das einzige das stört ist, es spritzt wie die Sau! Ich werde eins ums andere Mal mit Salzwasser überschüttet. Ich überlege wie es sein kann das alle hier an Bord trocken sind und ich aussehe als hätte ich gebadet. Das Wasser spritzt direkt hinter Max´es Sitzposition über die Bordwand. Ich schaue auf die Leinen die über Bord hängen. Nein! Ich habe vergessen die Fender, die zum Anlegen über die Bordwand hingen und verhindern sollen, dass die Boote rechts und links zu sehr anschlagen, zurück ins Boot zu holen. Schnell hole ich die Fender ein und das „Gespritze“ hört augenblicklich auf.

Auf den Schären ist eine Menge los. Viele Boote sind unterwegs die kreuz und quer über den Fjord fahren. Einige von ihnen haben es scheinbar ziemlich eilig. Mit Vollgas ziehen sie ihre Bahnen. Ich versuche zu verstehen ob es einen Links- oder Rechts-Verkehr gibt. Aber anscheinend fährt hier jeder wie es ihm passt. Ok, wo wollen wir eigentlich hin. In diversen Angelvideos habe ich gesehen, dass es an diesen Schäreninseln steil bergab geht. Ich werde also versuchen eine dieser Inseln anzusteuern und zu Pilkern. In der Mitte des Fords ist eine Insel die nicht zu weit von unserem Hafen entfernt ist. Dahinter liegen noch ein paar Schäreninseln, so dass wir im Windschatten liegen könnten. Diese Stelle erscheint mir optimal.

Laut brummend nähert sich von rechts ein „Wassersport-Schumi“, er quert vor uns, unsere Bahn und hinterlässt eine riesige Heckwelle. Na toll, ich werde wieder Panisch. »Fest halten«, ich rufe den Jungs eine kurze Warnung zu und steuere genau im rechten Winkel auf die Welle zu. Der Bug hebt sich und „Klatsch“ springt unser Boot über die Welle. Die Kinder rufen, »Ja, Super. Gas, Gas.« Den beiden scheint das richtig Spaß zu machen. Ich schaue zu Ralf. Der sitzt vorn im Bug und krallt sich rechts und links an der Bordwand fest. Seine Augen sind so groß wie zwei Tischtennisbälle. Ich muss grinsen. Mein Freund „Ich kümmere mich um den Rest“ ist mit dem Bug nach oben geschossen und wieder runter geklatscht, als wir über die Welle gefahren sind. Ich stelle nun mit einer gewissen Schadenfreude fest, dass ich doch die bessere Sitzposition erwischt habe. Ich frage aber doch vorsichtshalber, »Alles in Ordnung?« Ralfi setzt sich wieder gerade hin und brummt ein, »Ja, ist schon gut«, in seinen Bart.

Ich umrunde die Insel und suche eine gute Stelle zum Angeln. Eine leichte Dünung kommt aus Richtung Meer und geht schräg über den Fjord. Ich versuche unser Boot so zu stellen das wir ungehindert treiben können. Leerlauf rein und dann ziehe ich die „Abreißsicherung“ aus dem Knubbel. Augenblicklich erstirbt der Motor. »So da wären wir«, ich lege die Hände in den Schoß und schaue zu Ralf. Der guckt so als würde ihm nicht einfallen warum wir hier sind.

»Ach so, ja«, er merkt dass ich es Ernst meine und hier jetzt angeln will. Er fängt an, an seiner Rute rum zu nesteln. »Irgendwas nicht in Ordnung«, ich schaue ihn fragend an. Ohne hoch zu schauen nestelt er weiter an seiner Angelausrüstung, »Nein, ich dachte nur wir fahren noch ein Stück raus!?« Toll, ich kann es absolut nicht leiden wenn mich einer nicht anschaut, wenn ich mit ihm rede. Ich fixiere Ralf so, dass wenn er hochschaut, ich ihm direkt in die Augen gucken kann, »Das reicht doch wohl für das erste Mal! Oder?« Ralf schaut nicht hoch, er beschäftigt sich weiter mit seiner Angel, »Ich meine ja nur! Ob das die richtige Stelle ist?« Innerlich könnte ich explodieren. »Das werden wir gleich rausfinden«, ich werde beim ersten Mal auf einem Norwegischen Fjord nicht alles riskieren, zu mal wenn ich die Kinder dabei habe. Außerdem was denkt Ralf, dass ich den Motor ausmache weil ich eine kleine Pause machen will!

Ich nehme meine Bootsruten und versuche mich aufs Angeln zu konzentrieren. Wir haben leider nur drei Bootsruten dabei. Ralf hat zwar noch drei andere Angeln, allerdings sind die für das „auf dem See angeln“ ausgelegt. Also einer von den Jungs muss nun zuschauen. Da Erik die ganze Zeit keine Anstalten gemacht hat, als ob ihm das Angeln wichtig ist und Ralf nur eine Bootsrute dabei hat mache ich meinem Max eine Rute fertig.

Max ixt total aufgeregt. Er beobachtet ganz genau wie ich jetzt die Schnur durch die Ringe an der Rute fädele und einen Meereswirbel befestige. »Was machst du da? Warum ist die Schnur grün und nicht durchsichtig? Was ist das, was du da ran machst?« Er ist total aufgeregt und stellt eine Frage nach der anderen. »Papa?« Ich antworte ihm nicht, sondern versuche das richtige Vorfach zu finden. Er nervt weiter, »Papa!« »Max was ist den, ich sitze genau neben dir! Ich kann dich hören!« Er schaut mich vorwurfsvoll an und fragt: »Warum antwortest du mir dann nicht?« Er dreht den Kopf zur Seite und grinst mich an. »Max, ich antworte nicht weil ich nicht Mama bin. Männer können sich immer nur auf eine Sache konzentrieren.« Max überlegt, »Kann Mama den Angeln?« »Was? Was kann Mama? Angeln!?« Ich überlege wie er das nun schon wieder gemeint hat, »Mama kann nicht angeln, das ist Männersache! Jetzt lass mich das fertig machen!« Max verdreht die Augen schräg nach oben und legt den rechten Zeigefinger an seinen Mundwinkel, »Wäre aber gut wenn Mama jetzt hier wäre.« Ich lasse die Rute und alles was ich in der Hand habe sinken und schaue ihn an, »Wenn Mama hier wäre, dann wärst du aber nicht hier!« Er nimmt den Finger runter und guckt mich an, »Warum?« »Weil Mama viel zu viel Angst hätte um dich!«, ich lege meine Hände auf seine Schultern, »Sie hätte Angst das du ins Wasser fällst oder irgendwas passiert!« Max lehnt sich nach hinten, »Quatsch ich kann doch schwimmen, ich habe das silberne Schwimmabzeichen und ich habe eine Schwimmweste an!« Irgendwie finde ich das süß wie unbeschwert mein Sohn seinen Fähigkeiten vertraut. Trotzdem schaue ich ihn ernst an, »Max das ist trotzdem gefährlich, wenn du ins Wasser fällst ist das richtig kalt. Das ist ein Fjord und kein See.« Max überlegt seinen nächsten Satz, »Dann hast du auch Angst um mich?« Ich lächle, »Na klar!« Er hebt wieder den Finger an den Mundwinkel, »Dann wäre es doch gut wenn Mama hier wäre! Dann könnte sie Angeln und mir alles erklären!« Er grinst und schaut mich an um zu sehen wie sein Satz auf mich wirkt. Ich gebe es auf und fange wieder an die Rute fertig zu machen. »Maxi, Mama könnte dir nichts erklären weil sie noch nie Angeln war.« Sofort kommt seine Retourkutsche, »Aber Papa, du hast doch auch noch nie hier geangelt!« Ich bekomme wieder dieses „Kribbeln“ im Nacken. »Aber ich weiß wie das geht!« »Warum? Woher weißt du das?«

Da war wieder dieses „Warum“. Max hat früher mit wachsender Begeisterung immer wieder gefragt, Warum? Warum? Er wusste ganz genau dass mich diese Frageweise früher oder später auf die Palme bringt. Er wusste aber auch dass wenn seine Mama in der Nähe war, ich geduldig bleiben würde. Kinder spüren so was! Und meiner ist ein Meister in „Papa auf die Palme bringen“. Oft genug verbünden Max und meine Frau sich zu Hause: „Papa, warum ist das so und so?“ und meine Frau sagt dann immer: „Genau Papa, warum ist das so, erklär das deinem Sohn!“

Jetzt versuche ich auch ruhig zu bleiben und erkläre ihm, »Max ich weiß wie man angelt weil ich ein Mann bin! Männer wissen so was!« Max fragt weiter, »Warum weiß Mama das nicht!« »Weil Mama eine Frau ist, die wissen so was nicht!«, brumme ich in meinen Bart. »Was weiß Mama?« Eine Ader an meiner Schläfe fängt an zu pochen, »Mama weiß eine Menge…« Ich versuche krampfhaft ein Beispiel zu finden, »…äh, zum Beispiel wie man Hemden zusammen legt!« Max guckt mich ganz genau an. Der „Schalk“ blitzt in seinen Augen auf. »Weißt du nicht wie man Hemden zusammen legt?« »Max, ich weiß auch wie man Hemden zusammen legt!« »Warum legst du keine Hemden zusammen, Papa?« Ich könnte schreien!? Irgendwie muss ich dieses Gespräch jetzt beenden, »Max ich weiß wie man das macht, aber ich kann das ebbend nicht richtig!« Ich schaue Max mit dem „Schluss-Jetzt-Blick“ an. Er lässt sich nicht davon beeindrucken, »Dann könnte Mama Hemden zusammenlegen und Angeln, gleichzeitig!?« Ich frage ihn erstaunt, »Warum das den?« Er kombiniert, »Du hast doch gesagt Männer können sich nur auf eine Sache konzentrieren. Mama ist eine Frau die könnte das dann gleichzeitig…« Triumphierend blitzen seine Augen, »…das kannst du nicht!« Ich schaue ihn drohend an, »Wenn du nicht gleich aufhörst, dann kann ich dich im Fjord versenken«! Max lacht, »Wenn du das machst bekommst du aber Ärger mit Mama!« Meine Drohung ist einfach verpufft!

»So entweder wir Angeln oder wir diskutieren hier noch weiter…«, ich drücke ihm eine Rute in die Hand, »…so halt das jetzt mal!« Ich habe eine Rute fertig gemacht und an die Schnur ein „Dorschvorfach“ und darunter einen so genannten Pilker montiert. Ein Pilker ist nichts weiter als ein schweres Stück glänzendes Metall, an dessen Ende ein Drillingshaken montiert ist! Angeblich finden es Fische, sehr verlockend sich so ein funkelndes Teil zu schnappen. Das Dorschvorfach darüber besteht aus mehreren Hacken die mit bunten Fäden, in diesem Fall mit roten Fäden, umwickelt sind und dem Dorsch den Eindruck von wild zappelnden Beutefischen geben soll! So zeigt man es zumindest in diversen Angelvideos. Warum Fische so blöd sein sollen geht mir zwar noch nicht ganz auf, aber was soll’s, das wird schon funktionieren!
Ralf ist inzwischen auch schon fertig mit seiner „Montage“ und lässt den Pilker in Richtung Tiefe sausen. »Wie tief ist das hier?«, fragt er mich. »Ich weiß nicht! Dreißig Meter oder hundert Meter!? Ich weiß nicht!« Ja hätten wir mal das Echolot genommen, dann wüssten wir es besser! Den Satz spare ich mir allerdings, Ralf hingegen nicht: »Hätten wir mal das Echolot genommen«, erwidert er. Toll! »Du hast doch gesagt das brauchen wir nicht!?« Ich schaue ihn Böse an. Das bemerkt er aber nicht weil er auf seine Rute konzentriert ist. Als wenn er den Aufschlag des Pilker´s am Grund hören könnte, hat er den Kopf leicht zur Seite gedreht, so dass es aus sieht ob er lauschen würde. Ich habe inzwischen auch eine Rute fertig und lasse den Pilker in Tiefe.

eine Stunde später, in den Schären vor Åvik

Nach nun mehr als einer Stunde zwischen den Schären habe ich mich an das Geschaukel gewöhnt. Der Wind vom Skagerrak bläst zwischen den äußeren Inseln in den Schärengarten. Wenn man sich in den Windschatten einer Insel legt, treibt man auch nicht zu schnell von einer vermeintlich guten stelle zum Pilkern weg. Unsere Ruten haben sich bis jetzt noch nicht gebogen und bei den Kindern kommt langsam Langeweile auf. Erik beschäftigt sich nun schon geraume Zeit mit seinem mitgebrachten Gameboy!? Und Max hört nicht auf Fragen zu stellen. Seine Fragen zum „Sein des Lebens“ werden regelmäßig von „Scheinbissen“ unterbrochen. Immer wenn seine Rute wackelt, was wohl eher von der leichten Dünnung herrührt, die unser Boot leicht schaukeln lässt, als von Bissen diverser Dorche oder anderer Fische, schreit er laut auf »Ich habe einen Fisch, ich hab was..!« Langsam bin ich richtig genervt und komme, trotz diverser mentalen Entspannungsübungen nicht zur Ruhe. Ich habe angefangen zwischen Maxis emotionalen Ausbrüchen die Sekunden zu zählen. Ich komme auf einen Schnitt von 120 Sekunden. Die benötigt er um seinen Pilker runter zu lassen, die Bremse einzuschalten, kurz zu warten, beim ersten vermeintlichen Wackeln zu rufen: »Ich habe einen Fisch«, den Pilker wild hoch zu kurbeln, zu erkennen das der Haken unter dem glänzenden Stück Metall leer ist und erneut die Bremse zu lösen um den Pilker runter sausen zu lassen. Ich überlege ob ich ihm sagen sollte, dass wenn er wirklich einen Biss hätte, sich die Schnur über die Bremse schnarrend abrollen würde, weil der Fisch unten im Fjord versuchen würde, abzuhauen. Aber ich bewundere seine Hartnäckigkeit und Ausdauer und will ihn nicht frustrieren. Ich fange an zu rechnen: Wir sind eine Stunde hier, eine Stunde hat 60 Minuten, eine Minute 60 Sekunden, dass sind 3.600 Sekunden. Alle 120 Sekunden ein Gefühlsausbruch, das heißt 3.600 durch 120? Wow, mein „Kurzer“ hat jetzt schon über 30 Mal seinen Pilker runter gelassen und wieder hochgekurbelt. Respekt! Das hat ja auch was Gutes! Er wird heute sicher gut schlafen!

So ein Scheiß, ich versuche immer noch heraus zu finden wie tief das hier eigentlich ist! Kein Echolot!? Wer ist eigentlich auf den Scheiß gekommen? Ich weiß es nicht.

Ich überlege. Wie war das mit der Fallgeschwindigkeit?! Die Erdanziehungskraft, auch Schwere- oder Fallbeschleunigung genannt, beträgt auf der Erde 1g! Das entspricht einer Fallbeschleunigung von 9,80665 m/s². Das heißt, dass ein Körper nach einer Sekunde Fallzeit eine Geschwindigkeit von 9,80665 m/s² erreicht! Sekunde zum Quadrat!? Wie war das? Na klar, bedeutet also, dass ein Körper in dieser Sekunde, eine Strecke von 4,903 m zurückgelegt hat. Also ich zähle die Sekunden!? Stopp! Gilt nur im Vakuum! Ein Vakuum im Fjord zu erzeugen, dazu sehe ich mich, zurzeit außer Stande. Fjord, Wasser, Wasserwiederstand! Strömungslehre!?

Wie war das noch mal? Strömungsvorgänge von Fluiden werden durch die Navier-Stokes-Gleichungen beschrieben, die sich aus Differentialgleichungen zusammensetzen und im Allgemeinen jedoch nur für spezielle Randbedingungen oder numerisch lösbar sind. Sie enthalten die Strömungsbeschreibenden Variablen wie Geschwindigkeit, Druck p, Dichte „ρ“, Viskosität „η“ und Temperatur „T“ als Funktion von Ort(x,y,z) und Zeit „t“. Die Bestimmung dieser Größen geschieht alternativ mit den Erhaltungssätzen für Masse, Impuls und Energie, einer thermischen Zustandsgleichung, sowie einem Materialgesetz des Strömungsmediums! Scheiße! Also ich rechne nach Abzug des Wasserwiederstandes und ein paar Unbekannten mit 3m/s.

Gesagt getan, ich löse die Bremse, lasse den Pilker versinken und zähle langsam mit 1, 2, 3… Währendessen schaue ich zu Ralf, der sitzt immer noch im Bug und scheint zu lauschen wann sein Pilker aufschlägt. 10, 11, 12… Unsere Blicke treffen sich, er schaut mich fragend an, »Was zählst du?« 18, 19, 20… Scheinbar bewegen sich meine Lippen bei Zählen. 22, 23, 24… »Pssscht«, zische ich ihm zu. 24, 25, 26! Bei 26 merke ich wie die Rolle stehen bleibt. Ralf schaut mich immer noch fragend an, während ich ihm triumphierend entgegen rufe, »Achtundsiebzig!« Etwas Konstatiert fragt er »Achtundsiebzig?« »Ja…« sage ich voller Überzeugung, »hier ist es Achtundsiebzig Meter tief!« Er zieht die Augenbraun zusammen, »Wie kommst du denn darauf?« Ich schüttle den Kopf »Na weil, Sechsundzwanzig mal drei ist Achtundsiebzig, ist doch klar!«

...to be continued - maybe

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McFadden
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Re: Mein erstes Mal...

#2 Ungelesener Beitrag von McFadden »

:LoL: :LoL: :LoL:

Mehr mehr mehr!!!

Es kostet zwar im ersten Moment etwas Überwindung dieses "Buch" am Stück zu lesen, aber deine Schreibe ist genial!
Ein ums andere Mal wurde aus dem Dauergrinsen ein Auflachen!
Also mehr davon!

Ach ja: habt ihr letztlich einen Fisch gefangen???
DD

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Chris aus Leonding
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Re: Mein erstes Mal...

#3 Ungelesener Beitrag von Chris aus Leonding »

... einfach köstlich beschrieben :LoL:

Und es kommen schöne Erinnerungen hoch, als ich vor 4 Jahren in den Schären vor Lillesand unterwegs war, wo es uns anfangs mit dem Boot ähnlich wie dir erging. :mrgreen:
Liebe Grüße von Chris aus Oberösterreich
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Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben.
(Alexander von Humboldt)

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