Salut les Alpes françaises! – Unterwegs auf und abseits der Route des Grandes Alpes

Cote Azur, französiche Alpen und Pyrenäen, Normandie, Bretagne, Zentralmassiv uvm.
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Saruman
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Salut les Alpes françaises! – Unterwegs auf und abseits der Route des Grandes Alpes

#1 Ungelesener Beitrag von Saruman »

Für viele von euch weitgereisten Globetrottern, Schotteramigos und Entdecker-Naturen ist die Reise auf befestigten Wegen durch die französischen Alpen sicher nichts Besonderes mehr.
Für mich ist die Route des Grandes Alpes mit seitlichen Abstechern aber immer wieder großes Kino bei reinstem Fahrvergnügen.
Dieses Jahr hatte ich endlich mal wieder die Gelegenheit, mein Lieblingsrevier zu befahren.
Von dieser Reise, begleitet von meinem Flügelmann Jens, Pässeneuling und Höhenangstler, möchte ich hier mit ein paar Zeilen und Bildern berichten.



Salut les Alpes françaises!

Seit Wochen, ach was, Monaten freue ich mich, mal wieder raus zu kommen. Sonne, Wind und die Vibrationen meines Boxers zu spüren und in die Welt der französischen Alpenpässe einzutauchen. Die › Planung für die diesjährige Tour stand ja schon geraume Zeit. Jetzt war endlich der Tag der Abfahrt gekommen.
Sechs Tage, um auf der Route des Grandes Alpes und diversen Nebenstrecken ans Meer zu fahren, den großen Zeh an der Cote d’Azur ins Wasser zu halten und wieder ins alltägliche Räderwerk heimzukehren. Kurz. Intensiv. Anstrengend. Aber aufregend!

Die folgende Route hatte ich für uns ausbaldowert:

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TAG 1 | KILOMETER MACHEN

Am ersten Tag gehts morgens um 7 Uhr bei Pforzheim auf die Autobahn Richtung Freiburg. Dann durch die Schweiz über Basel und Bern bis an den Genfer See, dann Montreux bis Martigny. Diese 450 km sitzen wir locker ab, danach erwarten uns ja noch ein paar schöne, nicht ganz so hohe Pässe zum Eingrooven. Vor dem Absitzen kommt aber das Aufsitzen – ein fast unmögliches Unterfangen. Sollte die Tour daran scheitern, dass ich meinen Astralkörper nicht mehr über die Gepäckrolle auf die Sitzbank wuchten kann? Was für ein Galama! Vielleicht sollte ich zukünftig meine schwindende Fitness mit einer Kofferlösung kontern? Kollege Jens hat die gleichen Schwierigkeiten. Liegt wohl doch am Wetter? Nassgeschwitzt gehts auf die Bahn.

Über die Autobahnetappe gibt es nicht viel zu berichten. Fahren, tanken, rasten, langweilen. Aber gut, das ist der Preis. Bei Montreux am Genfer See erwartet uns das erste Panorama und es kommt gleich Urlaubsstimmung auf. Es gibt bestimmt schlechtere Plätze um zu Wohnen.


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Der Genfer See bei Montreux


Noch ein paar Meter Autobahn bis Martigny, dann runter und der Spaß kann beginnen. Schon der erste Anstieg auf den Col de la Forclaz deutet an, was uns in den nächsten Tagen erwarten wird: Kurven, Berge, Panoramen satt.


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Der erste Pass unserer Tour


Nach ergebnisloser Suche nach der Keramik ziehen wir weiter über den unscheinbaren Col des Montets, überqueren die Schweizer Grenze, vorbei am Montblanc durch Chamonix zum Col des Saisies, unserem Einstiegspunkt in die Route des Grandes Alpes (RdGA). Ein eher unscheinbarer Anstieg und nicht wert, das Bein wieder über die Gepäckrolle zu wuchten. Ein paar Meter weiter verlassen wir bei Beaufort die offizielle Strecke der RdGA und fahren auf die Alternativroute über den Col du Pré. Der schmale Anstieg führt erst sanft gerade, dann in Serpentinen bei schöner Aussicht in höheres Geläuf. Idyllisch. Auf der Passhöhe finden wir einen Parkplatz mit schönem Blick auf die Gipfel rund um den Lac de Roselend, unserem nächsten Ziel.


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Pause auf dem Col du Pré


Die Straße windet sich vom Col du Pré talwärts und gibt bald eine wunderbare Aussicht auf den azurblauen Lac de Roselend frei. Geflasht von diesem Panorama fahren wir am See entlang über den Col de Méraillet, den wir vor lauter Glotzen aber gar nicht bemerken.


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Am Lac de Roselend


Hier zeigt sich uns zum ersten Mal deutlich, unter welchen ›Wasserproblemen‹ Frankreich derzeit leidet. Im Verlauf unserer Reise werden wir leider noch öfter an ausgetrockneten Flussbetten und halbvollen Seen vorbeikommen. Nachdenklich nehmen wir den weiteren, eher harmlosen Anstieg zum Cormet de Roselend in Angriff. Der erste ›richtige‹ Pass der RdGA ist selbst abends noch gut besucht. Es dauert eine Weile, bis alle Reisenden ihr obligatorisches Selfie vor dem Passschild gemacht haben.


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Auf der Passhöhe des Cormet de Roselend


Das Panorama auf dem Roselend ist eher durchschnittlich, was uns veranlasst, auf die letzten Meter bis zu unserem Tagesziel Bourg-Saint-Maurice durchzustarten.
Unsere im Voraus gebuchte Unterkunft, das Hôtel Restaurant Angival, liegt versteckt in mittelalterlichen Gässchen mitten in der Altstadt.


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Das Hotel Angival in Bourg Saint-Maurice


Die Moppeds finden ihren Platz direkt vor dem Hotel und wir den Weg zur Rezeption. Der Check-In ist mit meinen wenigen (erbärmlichen) Brocken Schulfranzösisch, einigen Fetzen Englisch und einer Hand-Fuß-Choreografie erstaunlich schnell erledigt. Was hat die Dame am Empfang sich über meine paar Wörtchen in der Landessprache und mein gewinnendes Lächeln gefreut. Meine anfänglichen Bedenken über die Verständigung im Nachbarland verfliegen sofort. Zunächst das lokale Hopfengemisch austesten, dann abrödeln, das eher einfache Gemach beziehen und dann ab zum Essen.


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Abrödeln vor dem Hotel


Das ›rare‹ bestellte Entrecôte ist so rare, es hätte locker noch um Hilfe rufen können. Und das andere, ›well-done‹ bestellte, hätte locker antworten können. Egal. Hier ticken die (Bratzeit-)Uhren anders und früher haben Männer den Säbelzahntiger auch nicht durchgebraten verspeist. Müde und mit merkwürdigem Gezappel im Gedärm fallen wir in unsere Kissen.
Zuletzt geändert von Saruman am Samstag 1. Oktober 2022, 08:20, insgesamt 1-mal geändert.
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Saruman
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#2 Ungelesener Beitrag von Saruman »

TAG 2 | HAPPY PASSDAY

Unser zweiter Reisetag – ein Highlight, auf das ich mich im Vorfeld besonders gefreut habe. Wer hat schon Gelegenheit, seinen Geburtstag auf einigen der höchsten Pässe der französischen Alpen zu feiern? Heute stehen mit dem Col de l’Iseran, dem Col du Galibier und dem Col d’Izoard drei der höchsten Klassiker der RdGA auf unserem Zettel. Zuerst aber Frühstück. Meine Erwartung an ein französisches Frühstücksbuffet waren eher bescheiden. Jeder kennt das ›Petite Déjeuner‹, das aus einem Croissant und einer Tasse Kaffee besteht. Umso überraschter sind wir über das Angebot, das uns am Morgen erwartet. Alles da.

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Ein untypisches Frühstücksbuffet für Frankreich


Zufrieden, gesättigt und mit der notwendigen Portion Koffein im Blut packen wir die Bikes und starten Richtung Iseran. Unterwegs meldet sich Jens über Funk. Er hat eine Schraube locker. An der Verbreiterung des Ständers. Wir sollen doch unterwegs mal in einer Werkstatt anhalten und nach einem Torx-Schraubenzieher fragen. Ok. Denkt der, ich hätte ein Übersetzerdiplom? Probieren wir mal unser Glück. Ein paar Meter weiter taucht dann eine Tankstelle mit ›Garage‹ auf. Anhalten, absitzen, fragen. Nur wen. Der Lehrling in der offenen Werkstatt tritt sofort die Flucht an. Dann halt rein ins Büro und der Dame hinter dem Tresen ein »Tournevis?« freundlich fragend entgegengeflötet. »Aahh, Tournevis!« Sie versteht, wechselt in die Werkstatt und fängt den flüchtigen Azubi ein. Ein paar Minuten später ist die Schraube fest und ich bin erstaunt, welche Vokabeln in meinen Synapsen schlummern. Irgendwie gehts immer.


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Blick vom Iseran auf den Lac du Chevril bei Val d'Isére

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Auf der Nordrampe des Iseran


Nicht viel später schrauben wir uns gemütlich den Col de l’Iseran hoch. Morgens um Neun ist es da wirklich noch einsam. Je höher wir kommen, desto ruhiger wirds im Sprechfunk. Während ich die Aussicht genieße, verweigert Jens immer mehr den Blick nach unten. Der arme Kerl hat Höhenangst, hält sich aber tapfer.


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Morgens auf der Passhöhe des Col de l'Iseran


Oben angekommen erwartet uns ein Bombenwetter. Sonne satt, der Himmel in tiefem Blau. Wir steigen ab, machen eine Dose Kaffee auf und genießen die Atmosphäre auf diesem majestätischen Berg. So geht Geburtstag! Genial!

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Wer den Iseran kennt, weiß, dass es an manchen Tagen fast unmöglich ist, das Passschild ohne Menschen und/oder Drahtesel davor zu fotografieren. Nicht so heute.
Es war so wenig los da oben, da waren die unverzichtbaren Fotos schnell gemacht.
Mittlerweile genieße ich es immer mehr, früh morgens oder spät abends auf den Pässen zu sein. Das hat eine ganz andere Qualität. Leider ist das in der Praxis kaum realisierbar.


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Der Abstieg vom Iseran Richtung Süden


Wir reißen uns los und trudeln abwärts unserem nächsten Ziel entgegen. Der Galibier wartet ca. 100 Kilometer weiter auf uns. Dazwischen gut fahrbare Landstraße und der Col de la Telegraphe, ein kurviger Einstieg ins Valloire, der meist überquillt vor Radlern. Heute gehts. Einmal kurz den Zinken in die Sonne halten ist drin.


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Sonne tanken am Col du Télégraphe


Danach gehts weiter durchs Valloire-Tal dem zweiten Highlight des Tages entgegen. Der Galibier ist im direkten Vergleich zum Iseran etwas anspruchsvoller zu fahren. Jens zieht mit Blick auf die Felsseite hochkonzentriert seine Bahnen nach oben. Bin ich froh, dass mir ungesicherte Abhänge nichts ausmachen. Der morgige Tag wird mich allerdings darüber nochmal nachdenken lassen. Aber dazu später mehr.


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Die Nordrampe des Col du Galibier


Natürlich gehen auch wir den zahlreichen Streckenfotografen am Galibier in die Falle. Zwei davon haben uns schön getroffen und dürfen sich über einen bezahlten Download freuen. Wir haben eh viel zu wenig ›Action‹-Fotos gemacht.

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Auf der Passhöhe des Galibier das übliche Bild. Kirmes! Überall Menschen und Fahrzeuge aller Klassen und Antriebsarten. Zuviel!


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Das Panorama auf der Passhöhe des Col du Galibier


Nach einem kurzen Stopp rollen wir ein paar Meter runter ins Refuge du Galibier, das anscheinend von einem Wirt aus unserer Gegend betrieben sein soll. Das urige Refuge liegt direkt am Tunneleingang vom Galibier und lädt durch seine exponierte Lage und seine fantastische Aussicht ein, ein kleines Mittagspäuschen zu machen.

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Der schwäbische Wirt ist mittlerweile in Rente, wurde aber durch eine freundliche Wirtin abgelöst, die uns umgehend mit Getränken versorgte. Es gibt wahrlich schlechtere Plätze, um Kaffee zu trinken!


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Man kann an schlechteren Orten Kaffee trinken


Wir ziehen weiter zum Col d’Izoard. Die Abfahrt auf der Südrampe des Galibiers ist traumhaft. An der Kreuzung auf dem Col du Lautaret ändert sich das sofort.
Die restliche Strecke bis Briançon ist Bundesstraße, die Stadt selbst ein chaotischer Hexenkessel. Baustellen an allen wichtigen Knotenpunkten. Da macht selbst unser Navi die Grätsche. Doch GoogleMaps weiß Rat und lotst uns durch.
Während der Anfahrt zum Izoard verdunkelt sich der Himmel und spuckt uns ein paar Tröpfchen entgegen. Sollte ich diesen Pass wie immer im Regen fahren müssen? Merde! Doch das Wetter hält sich glücklicherweise mit Ausscheidungen zurück, sodass wir die letzten Kurven bis zur Passhöhe doch genießen können. Der Izoard zeichnet sich durch seine ganz eigenwillige Landschaft und seine besonderen Farben aus.


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Die Nordrampe des Col d'Izoard


Auf der Passhöhe des Col d’Izoard treffen wir auf einer Großbaustelle ein. Rund um den bekannten Obelisken werden geschotterte Wege und Parkbuchten angelegt. Gegenüber scheint eine Gaststätte zu entstehen. Alles voll mit Absperrgittern und Baugedöns. Nicht schön. Selbst einen Abstellplatz für unsere Bikes zu finden ist nicht einfach. Der Obelisk selbst ist umringt von Bauarbeitern – da ist kein Herankommen möglich. Wetter: Naja. Passhöhe: Baustelle. Atmosphäre: Nicht vorhanden. Also: Schnell weiterziehen.


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Beim Obelisken wird gebaut


Ein paar Meter talwärts halten wir dann doch nochmal an, um die einzigartige Wüstenlandschaft der ›Casse Deserte‹ einzusaugen. Beeindruckend!

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Die Casse Deserte am Col d'Izoard


Wir reißen uns los und gehen auf die Tagesabschlussetappe mit Ziel Savines-le-Lac am Lac de Serre-Ponçon. Über Guillestre erreichen wir Embrun und damit den See. Wir verlassen die am Lac entlangführende Hauptstraße und wählen die schmale Strecke durch die Berge oberhalb. Ein Gedicht. Und die Aussicht auf den See ist grandios. Erschrocken sind wir von dem Wasserstand. Der nordwestliche Teil des Sees ist komplett ausgetrocknet. Was für ein surreales Bild.


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Unser Ziel kommt in Sicht


Weiter südlich können wir von oben das erste Wasser sehen. Auch die Brücke über den See taucht auf. Am uns gegenüberliegenden Ende liegt das ›Hôtel Les Flots Bleus‹, das wir für heute gebucht haben.


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Der Lac de Serre-Ponçon


Auf dem Weg dorthin treffen wir auf zahlreiche bewaffnete Soldaten. Hinter den Gebüschen und in den kleinen Nebenwegen sind immer wieder Geschütze versteckt. Wir fahren offensichtlich direkt durch eine Militärübung. War da ein Schild oder eine Sperre? Wir haben beide nichts gesehen. Egal. Die Jungs sind entspannt und wir haben eh nur noch wenige Meter bis zur Brücke über den See.
Am Hotel angekommen fallen uns zuerst ein paar leichte Enduros aus Dresden davor auf. Die Fahrer dazu sitzen schon auf der Seeterrasse beim kühlen Bier. Da wollen wir auch hin. Doch zuvor der Check-In Nummer 2 in Französisch. Wir treten ein und ich fange an, mich meinem männlichen Gegenüber vorzustellen. Zu meiner Überraschung nennt er mir sofort meinen Namen und grinst. Auf meinen fragenden Blick malt er mit den Händen ein Viereck in den Raum und sagt amüsiert ›Google‹. Hat mich dieser Schlumpf doch im Vorfeld gegoogelt und wusste daher sofort, wer vor ihm steht. Notiz an mich selbst: Unbedingt meinen Namen googeln und schauen, welche Fotos da von mir auftauchen. Evtl. korrigierend eingreifen.


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Tagesabschlussbier am See


Natürlich kommen wir so ziemlich schnell an unser Tagesabschlussbier, das wir auf der Seeterrasse im Abendlicht zu sächsischen Lauten genießen. Unser Abendessen nehmen wir in der benachbarten Pizzeria ein, da das hauseigene Restaurant wegen Personalmangels bis zum Jahresende geschlossen hat. So ging einer meiner schönsten Geburtstage zu Ende. Gerne mehr davon!

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Zuletzt geändert von Saruman am Samstag 1. Oktober 2022, 08:24, insgesamt 1-mal geändert.
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#3 Ungelesener Beitrag von Saruman »

TAG 3 | AB ANS MEER

Heute wollen wir die französische Mittelmeerküste erreichen. Über den Col de Pontis und den Col de la Cayolle soll es durch die Schlucht ›Gorges de Daluis‹ ins bergige Hinterland von Nizza gehen. Die Innenstadt wollen wir möglichst vermeiden, denn eine Fahrt durch diese Metropole ist so angenehm, wie Durchfall während eines Open-Air-Konzerts. Deshalb: Oberhalb der Küste der Cote d’Azur über die ›Grande Corniche‹ zu unserem Tagesziel Cap Martin bei Menton. Soweit der Plan. Jetzt erstmal Kaffee! Mein googelnder Freund von gestern hat auch am heutigen Morgen Schicht und jongliert im Küchenbereich mit den übersichtlichen Bestandteilen des morgendlichen ›Buffets‹. Egal. Kaffee gabs en masse. Aufgerödelt und ab auf die Bahn – die Berge rufen.


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Morgens auf dem Col de Pontis


Wir verlassen gleich nach dem Ort die am See entlangführende Hauptstraße und schlagen uns nach links in die Berge. Auf einem schmalen Weg geht es über den Col de Pontis, vorbei an zahlreichen Steinschlägen, den See immer im Blick. Vor Barcelonette in Les Thuiles biegen wir nach Süden ab und wenden uns dem Col de la Cayolle zu. Mit seinen eigenwilligen Gesteinsformen einer meiner Lieblingspässe. Die schmalen Sträßchen führen uns vorbei an einsam gelegenen Gehöften über zig Brückchen nach oben. Alleine diese Strecke lohnt sich.


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Auf der Passhöhe des Col de la Cayolle


Das steinerne Passschild wird gerade von einer größeren Gruppe französischer Motorradfahrer belagert. Das wird dauern, bis da jeder sein Foto gemacht hat. Also Koffer auf, Kaffeedose zücken, Landschaft aufsaugen und dabei versuchen, nicht in die zahlreichen Scheißhaufen zu treten, die hier überall verteilt sind. Für Murmeltiere, die hier hinter jedem Stein sitzen und Schafe zu groß, für Berglöwen zu klein. Keine Ahnung, wer oder was sich hier erleichtert. Nichtwissen schützt vor Panik. Mit uns wartet ein kleiner Hund in einer Transporttasche auf dem Tank darauf, dass die Franzosen sich wieder in Bewegung setzen. Als der Hundebesitzer sich auf seinen Bock schwingt, sehen wir erst, wie eng und gequetscht der arme kleine Kerl die Fahrt verbringen muss. Mit dem Kupplungsarm auf dem Kopf scheint er die Reise dennoch zu genießen.


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Der geduldige Travel-Dog


Wir erledigen ebenfalls unsere Fotografenpflichten und fahren passabwärts in die Var-Schlucht ein. Was für eine schroffe, aber herrliche Landschaft. Hier könnte ich noch stundenlang fahren. Und, wie so oft, wieder nicht fotografiert. Merde! Nur gefahren und genossen. Unser nächstes Ziel ist der ›Gorges du Daluis‹, ein Canyon mit blutrotem Gestein und tiefen, senkrecht abfallenden Steilwänden.


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Die Straße durch den Gorges du Daluis


Der Streckenverlauf ist so eng, dass die Fahrspuren getrennt wurden. Wir fahren südwärts an der Bergseite durch zahlreiche Tunnel. In Gegenrichtung geht es um die Tunnel herum an der ca. 800 Meter tief abfallenden Kante entlang. Ein spektakuläres Naturschauspiel, eine spektakulärere Streckenführung. Konzentrierte Atemgeräusche im Helm hinter mir.
Wir steigen ab, machen Ortsbegehung, linsen über die Kante nach unten und fragen uns, warum zur Hölle man hier solche Straßen hinbaut. Ein Dankeschön geht raus ans französische Straßenbauamt.


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Der Gorges du Daluis – in natura noch viel eindrucksvoller


Diese Eindrücke müssen wir jetzt erstmal sacken lassen. Wir steuern im mittelalterlichen Städtchen ›Entrevaux‹ ein Restaurant an und machen Mittagspause. Unter der hoch über uns thronenden Burg serviert uns ›Madame de Maison‹ eine Riesenpizza und einen Mega-Burger. Jessas!


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Entrevaux und seine Burg

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Das war mal richtig gut!


Neben uns sitzt ein junger Italiener, der mit einer alten, verranzten Gilera unterwegs ist. Mit abgeschabtem Lederkoffer und Reservekannister am Motorrad, stilecht gewandet in einen uralten Ledermantel. Cool. Nach dem Essen treffen wir ihn am Parkplatz in einer Spritlache stehend wieder, als er seine Gilera mit dem Kannister betankt. Dabei wird er laufend von den Passanten auf sein Mopped angesprochen. Als nach mehrmaligem Kicken seine Maschine zum Leben erwacht, zittert die Burg auf dem Berg und alle Köpfe drehen sich in seine Richtung. Er genießt seinen Auftritt und röhrt davon. Wir zuckeln dann auch mal wieder los.

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Schade, dass diese Bilder keinen Ton haben


Wir fahren an der Vars entlang, vorbei am Eingang zur ›Cians‹-Schlucht. Dafür reicht die Zeit heute leider nicht. Stattdessen gehts ein paar Kilometer später links in die ›Mescla‹-Schlucht entlang des Tinée. Auch nicht schlecht. Wir biegen ab Richtung ›La Tour‹ und schrauben uns auf sehr kurzer Strecke in eine gewaltige Höhe. Die Straße, besser der Weg, so breit wie ein PKW. Links gehts steil bergab, die Kante nach unten schon stark abgebröckelt. Wir konzentrieren aus darauf, den immer zahlreicher werdenden Steinschlägen auszuweichen. Oh, oh. Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich Jens diese Strecke nicht angetan.


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Meine Sonderprüfung für Jens


Der schwitzt vermutlich gerade Blut und Wasser. Im Helm ist es sehr ruhig. Zu ruhig. Geht der Sprechfunk überhaupt noch? Einige Kilometer weiter höre ich ihn fluchen. Wir machen nahe eines idyllischen Bergdörfchens eine Pause. Es ist heiß, selbst da oben. Ich versuche zu beschwichtigen und entschuldige mich für meine Routenwahl. Das hier ist wahrlich kein Kindergeburtstag, selbst für Fahrer ohne Höhenangst. Ich behaupte wider besseres Wissen: »Das meiste haben wir schon geschafft!«. Da weiß ich noch nicht, dass wir erst rund ein Fünftel dieser Art Strecke hinter uns gebracht hatten. Ich hatte mir die Strecke doch mit GoogleView vorher angeschaut? Wenn das GoogleCar hier lang fährt, schaffen wir das doch locker! Dachte ich. Daheim. Am PC.


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Pause in den Bergen


Egal. Augen auf und durch bis zum ›Col de la Porte. Da müsste es sich wieder entspannen. Und Jens zieht tapfer mit. Pfundskerle! Nach gefühlten 200 Kilometern, real vermutlich nur 30, kommen wir fix und fertig in normaleres Gelände. Heute beim Schreiben dieses Rückblicks sage ich: »Es war anstrengend. Es war intensiv. Es war geil. Diese Ecke lohnt sich für einen separaten Urlaub. Ohne Gepäck und mit viel Zeit.«

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Auf dem Col de la Porte


Wir müssen heute aber noch ein Stück weiter bis zum Meer. Also den Berg runter Richtung Nizza, aber ja nicht so tief rein. Wir finden die Abzweigung nach Osten ziemlich schnell, verfranzen uns dann aber im Gewirr der kleinen Bergstraßen oberhalb der Küste auf der Suche nach dem Einstieg in die ›Grande Corniche‹. Auf dieser Panoramastraße wollen wir dem Verkehr der Küstenstraße entgehen und mit Blick von oben aufs Meer, auf Nizza und Monaco ans Cap Martin zu unserem Hotel weiterziehen. Dem Verkehr sind wir entkommen. Die Attraktivität der Grande Corniche wird aber stark überschätzt. Muss nicht wieder sein.


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Blick auf die Bucht von Nizza von der Grande Corniche


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Blick auf Monaco von der Grande Corniche


Nassgeschwitzt und abgekämpft erreichen wir schließlich unser Hotel ›Reine D’Azur‹ direkt am Strand. Der Check-In ist schnell und professionell auf Englisch. Die Zimmer sind im Voraus zu bezahlen, die Moppeds finden einen Platz im Hof. Unser Zimmer hat die Größe einer Schuhschachtel, dafür aber Klima. Und wir haben Durst. Und Hunger. Duschen, umziehen, raus ans Wasser, Bier. Das mit dem Duschen ist übrigens gar nicht so einfach. Bedingt durch die Größe des Bads müssen wir uns beim Eintreten im Vorfeld überlegen, ob wir links zur Dusche oder rechts auf den Topf wollen. Ein nachträglicher Richtungswechsel im Bad ist aufgrund des Waschbeckens in der Mitte bei geschlossener Tür nicht möglich. Um ins Bad zu kommen, müssen wir zudem das Bett zuerst an die andere Zimmerseite schieben. Sonst geht die Tür nicht auf. Aber heute ist uns das egal. Und morgen ziehen wir eh weiter. Das Wasser ruft.


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Das Hotel Reine d'Azur


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Am Strand vor unserem Hotel


Gute Nacht, Johnboy

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Unser Zimmer, nur geringfügig größer als das Fenster
Zuletzt geändert von Saruman am Samstag 1. Oktober 2022, 08:28, insgesamt 1-mal geändert.
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#4 Ungelesener Beitrag von Saruman »

TAG 4 | AUF DER RDGA NACH NORDEN

Den vierten Tag werden wir – außer dem Schlenker über den Bonette – hauptsächlich auf der Route des Grandes Alpes verbringen. Aber jetzt erstmal Kaffee! Wir entern den Frühstücksraum, der sich in einer Art Wintergarten im Hotelhof befindet und tanken Koffein.


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Da unten links gibts gleich Kaffee


Aufrödeln und ab nach Menton zum Endpunkt der Route des Grandes Alpes. Wir können doch nicht einfach wieder gen Norden fahren ohne das Pflichtbild eines jeden RdGA-Touristen. Am Influencer-Point angekommen, leisten wir erstmal Amtshilfe. Ein belgischer Kradkollege müht sich sichtlich ab, sich, sein Mopped und das Objekt der Begierde im Boden gleichzeitig fotografisch in Szene zu setzen. Da helfen wir doch gerne.


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Die Rose von Menton – der Endpunkt der Route des Grandes Alpes am Meer


Wir pflügen uns durch den morgendlichen Verkehr von Menton und steuern den Col du Turini an. Die südliche Rampe dieser Filmkulisse wird von Meter zu Meter interessanter und entwickelt sich zu einem wunderschönen Fahrerlebnis. Serpentinen, enge Straßenführung, steil abfallende Felswände. »Jens, bist du noch da?« Ich höre nur ein konzentriertes Atemgeräusch. »Wenn wir oben sind, hast du es geschafft. Danach entspannt es sich.«, flöte ich ins Mikro. Ich denke nicht daran, dass es auf der anderen Seite auch noch runtergeht.


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Der kurvige Anstieg auf der Südrampe des Col du Turini


Und wie schön! Überall Schluchten und Kurven, soweit das Auge reicht. Genial. Vor allem nach der doch sehr öden Passhöhe des Turini. Wir zirkeln anschließend durch das Vesubie-Tal und sind erschrocken, wie stark die Auswirkungen der Überschwemmungskatastrophe vor zwei Jahren heute noch zu sehen sind. Zerstörte Häuser, Brücken und Straßen, Überall Steine und Schutt. Baustellen wohin man schaut. Das wird sich wohl noch eine ganze Weile ziehen.

Unser Weg führt uns weiter durch den Nationalpark ›Mercantour‹ zur Passgruppe um den Bonette. Die Straße gewinnt langsam aber stetig an Höhe und gibt immer wieder den Blick auf ein phantastisches Bergpanorama frei.


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Blick vom Col de la Bonette auf den Col du Raspaillon


Wir lassen den Col du Raspaillon mit seinen kleinen Natursteinhäusern hinter uns und ziehen weiter bergauf zum Col de la Bonette. Mittlerweile schaue ich wieder mehr in die Ferne als auf die Straße. Nicht gut. Zum Glück ist hier fast nichts los. Und der Anstieg hat keine Tücken. Kein Vergleich zu gestern oder zum Turini von heute Morgen.


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Der bekannteste Hinkelstein der Alpen


Wir passieren den Col und ziehen weiter die Ringstraße zur Cime de la Bonette hinauf. Oben, am höchsten Punkt der Straße auf 2.802 Metern, machen wir halt am bekanntesten Hinkelstein der Alpen. Hier ist Party. Ein paar wenige Motorradfahrer gehen fast in einem Meer von Radlern unter, die sich laut grölend anfeuern und beglückwünschen. Dazwischen die Versorgungsfahrzeuge mit Technik, Entertainment und Catering. Wir scheinen mitten in die Ankunftsfeier einer gewerblich organisierten Radlertour geplatzt zu sein.


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Panorama auf der Cime de la Bonette


Kurz eine Lücke genutzt und die üblichen Bilder gemacht. Danach fällt mir eine BMW mit heimischem Kennzeichen auf. Natürlich quatsche ich die Fahrerin an und will wissen, wo sie genau herkommt. Sie wohnt drei Ortschaften von uns weg und im weiteren Gespräch stellt sich heraus, dass Jens und Bettina eine Menge gemeinsame Bekannte haben. So klein ist die Welt! Die beiden plaudern sich warm und ich mahne etwas später mit der Uhr. Wir haben heute noch ein paar Kilometer vor uns. Wir wünschen uns alle eine gute Weiterfahrt und setzen uns bergab Richtung Col de la Bonette und dann zum Col de Restefond mit seinen Forts in Bewegung. Die Nordrampe zieht sich in sanften Kurven ins Tal und ist nach den bisher gefahren Strecken fast erholsam.

In Jausier wählen wir die Route zum Col de Vars, dessen Südrampe schon autobahneske Züge hat. Die Straße zieht sich breit und fast spielerisch fahrbar zur unscheinbaren Passhöhe hinauf. Wir rasten und lassen den Betrieb rund ums Bergrestaurant auf uns wirken. Nächster Streckenpunkt wäre jetzt eigentlich nochmal der Col d’Izoard, bevor wir dann wieder durch Briançon zum Col du Lautaret weiterfahren. In Anbetracht der Baustellensituation auf dem Izoard und der fortgeschrittenen Uhrzeit entscheiden wir uns aber nun abzukürzen. Wir fahren den Izoard kein zweites Mal, sondern biegen in Guillestre Richtung Briançon ab. Zwar nur 20 km kürzer, dafür wesentlich zügiger zu fahren. Und so gings gemeinsam mit ein paar verrückten Porsche-Fahrern ins Tal. Mann, was für Idioten!


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Auf der Passhöhe des Col de Vars


Wir wühlen uns durchs nachmittägliche Briançon und fahren weiter auf der fast schon langweilig ausgebauten Strecke hoch zum Col du Lautaret. Meine bisherigen Besuche des Lautarets beschränkten sich immer auf den Abbiegevorgang vom oder zum Galibier. So richtig wahrgenommen hatte ich Pass bisher nicht. Diesmal jedoch steigen wir ab und schauen uns um. Wenn man sich die Mühe macht, mal hinter die etlichen Buden und Restaurants zu latschen, kann man durchaus schöne Bergpanoramen einfangen. Zeit dafür hatte ich genug, denn Kollege Jens war eifrig am Telefonieren.


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Der Lautaret Richtung Westen


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Das vergessene Passschild


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Erfolgreiche Besteigung einer Radler-Requisite


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Der Blick zum Galibier


Anschließend gehts auf der Westrampe den Lautaret runter mit Ziel ›La Grave‹, wo wir heute nächtigen wollen. Die Strecke dorthin ist ein schöner Abschluss des mittlerweile lang gewordenen Tages. In sanften Kurven schwingen wir talwärts und finden unser ›Hotel Castillon‹ am anderen Ende des Bergdörfchens. Wir steigen ab und wundern uns. Hier steppt ja richtig der Bär. Das Restaurant vor dem Hotel ist proppenvoll und daneben erledigt eine Band gerade ihren Soundcheck. Ok, heute senken wir den Altersdurchschnitt signifikant.


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Der Check-In in einer Mischung aus Französisch und Englisch ist schnell gemacht, die Moppeds wandern hinters Haus in die Garage. Das Haus hat irgendwie Charme. Uralt, krumm und schief. Der Boden im Zimmer steigt zum winzigen Fensterchen hin an, der Teppich hat schon ein paar Jahrhunderte hinter sich. Aber das Bad ist ein Palast gegenüber gestern. Sogar rollstuhlgerecht. Umziehen. Was Gezapftes suchen.


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Die Kulisse zum Bier


Wir lassen uns vor dem Haus in der Menge nieder und genießen zum Bier den Ausblick. Es stellt sich raus: Der Soundcheck war kein Soundcheck, sondern das Programm selbst. Die Sängerin kreischt um ihr Leben, die Anlage knirscht, knarzt und fiept und ich wundere mich nicht mehr über Murenabgänge und deren Entstehung.


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Käsefondue mit geräuchertem Allerlei vom Tier


Wir ziehen um nach drinnen und ich gönne mir ein schönes, leckeres Käsefondue. Müde und erledigt schleppen wir unseren Wanst auf unser Zimmer.
Zuletzt geändert von Saruman am Samstag 1. Oktober 2022, 08:31, insgesamt 2-mal geändert.
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tornante
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Re: Salut les Alpes françaises! – Unterwegs auf und abseits der Route des Grandes Alpes

#5 Ungelesener Beitrag von tornante »

... sehr schöner Reisebericht mit guten Photos
Gruß Michael
es gibt immer etwas zu entdecken

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Re: Salut les Alpes françaises! – Unterwegs auf und abseits der Route des Grandes Alpes

#6 Ungelesener Beitrag von Saruman »

TAG 5 | AUF ATTRAKTIVEN NEBENSTRECKEN UNTERWEGS

Heute werden wir die Route des Grandes Alpes verlassen und auf einer westlichen Alternativroute einige Pässe überqueren, die mir in meiner Sammlung noch fehlen. Nach Kaffee und recht ordentlichem Frühstück beziehen wir unseren heutigen Arbeitsplatz auf dem Bock und trudeln talwärts Richtung Westen mit Ziel Alpe d’Huez. Die durch etliche Radsportveranstaltungen bekannte Strecke zieht sich in gleichmäßigen Serpentinen den Berg hinauf zum Wintersportort Alpe d’Huez. Schön zu fahren, aber nichts Besonderes. Abhaken. Einmal reicht.

Unser nächstes Ziel heißt Col du Glandon, den wir über eine schmale Kammstraße über Villard-Reculas erreichen möchten. So der Plan. Die Realität: Die Straße ist von 9-19 Uhr gesperrt. Was jetzt? Entweder die gesamte Strecke wieder runter und über einen erheblichen Umweg durchs Tal? Oder Augen zu und durch. Ist ja nur eine zeitlich begrenzte Sperre, vermutlich wegen der schon weiter vorne sichtbaren Baustelle. Wenn man nachts durch darf, kanns ja nicht so schlimm sein. Ohne zu wissen, was uns erwartet, passieren wir die Absperrung und schlängeln uns auf schmalem, ungesichertem Weg nach oben. Links der tiefe Abhang, rechts der Berg und dazwischen je Menge Steinschlag. Morgens gleich ne Sonderprüfung für Kollege Jens – der Tag fängt gut an. Mit jedem weiteren Meter wird klar, dass dies hier der Normalzustand der Strecke ist und nichts mit der Sperre zu tun hat. War wohl doch nur die winzige Baustelle zu Beginn. Unsere Entscheidung ist goldrichtig. Die Strecke entlang des Kamms ist ein Gedicht.

Wir ziehen vorbei am Lac du Verney und nehmen Kurs auf den Col du Glandon, der durch seine einzigartige Landschaft schon beim Anstieg begeistert. Auf dem Weg zur Passhöhe passieren wir den Lac de Grand Maison. Was für ein Blau! Was für eine Atmosphäre! Wow! 


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Der Lac de Grand Maison auf dem Weg zum Col du Glandon


Die Straße führt am See weiter in sanftem Anstieg nach oben zum Col. Bestes Wetter, kaum eine Menschenseele – wir genießen die Stimmung und machen eine Dose Kaffee auf. Das Zeugs entwickelt sich wirklich langsam zum Game-Changer. Wie konnte ich bisher ohne auf Tour? Wir schlendern umher und saugen das Panorama auf. Im Osten ist schon unser nächstes Ziel, der Col de la Croix de Fer, erkennbar. Kaum 3 km bis zum nächsten Stopp.


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Auf der Passhöhe des Col du Glandon


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Im Hintergrund unser nächstes Ziel: Der Col de la Croix de Fer


Wir klappen die Ständer ein und nehmen die paar Meter zum Col de la Croix de Fer unter die Reifen. Dieser Pass hat seinen Namen von dem ›Eisernen Kreuz‹, das weithin sichtbar auf einer Kuppe thront. Der Wind da oben pfeift kräftig, die Aussicht ist grandios. Ein idyllisches Fleckchen ist das hier.


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Auf der Passhöhe des Col de la Croix de Fer mit seinem Wahrzeichen, dem eisernen Kreuz


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Ein idyllischer kleiner Bergsee unterhalb der Passhöhe


Wir setzen uns wieder in Bewegung, denn wir müssen heute noch ein paar Meter abreißen. Es geht auf kurviger Straße vor bezaubernder Kulisse talwärts nach Saint-Jean-de-Maurienne, dann ein Stück nach Norden, vorbei an den ›Lacets de Montvernier‹, der halsbrecherischen Anfahrt zum ›Col du Chaussy‹. Man kann von unten bereits gut sehen, wie sich die Serpentinen am Berg hochschrauben. Es wäre möglich gewesen, über die Lacets unser nächstes Ziel, den Col de la Madeleine, anzufahren. Mit Rücksicht auf Jens fahren wir aber vorbei. Das tue ich ihm nicht auch noch an.

Die Anfahrt zum Col de la Madeleine ist aus südwestlicher Richtung eher unspektakulär und wird nicht lange in meinen Synapsen hängen bleiben. Oben auf dem Pass ändert sich das allerdings.


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Die Zeichen der Tour de France auf dem Col de la Madeleine


Auf der Passhöhe ein großer geschotterter Parkplatz, links und rechts davon eine grandiose Aussicht auf die benachbarten Bergketten. Es pfeift ein starker Wind, als wir die jeweiligen Seiten erkunden und uns auf den aufgestellten Panoramakarten die Namen der gegenüberliegenden Gipfel anschauen. In weiter Ferne zeichnet sich auch der Gipfel des MontBlanc ab. Den werden wir heute Abend noch tunneln.


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Die Passhöhe des Col de la Madeleine mit beidseitigem Panorama


Wir suchen uns ein nettes, sonniges Plätzchen im urigen Bergbistro und ordern einen Kaffee. Auf die Frage, ob kleine oder große Tasse, antworte ich natürlich: »Grande, s’il vous plaît«. Die Dame vom Berg meinte dann grinsend »Voulez-vous donner un litre?« Einen Liter? Den pack ich. Gekommen ist dann ›nur‹ ein doppelter Espresso, für den ich aber fast Messer und Gabel brauche. Der hat schon was von Sirup. Aber gut ist er. Der Wind pfeift ums Haus und irgendwo quietscht ein Schild. Ich werde dabei sofort an die Szene am Bahnhof in ›Spiel mir das Lied vom Tod‹ erinnert. Ein wirklich schönes Plätzchen da oben.


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Das urige Bergbistro auf dem Madeleine lockt mit starkem Kaffee


Nach Verlassen des gastlichen Orts empfängt uns eine der schönsten Tal-Fahrten unserer Reise. Die Nord-Ost-Rampe des Madeleine ist traumhaft zu fahren und wird sich mit Sicherheit tief in meine Synapsen einbrennen. Als wir unten ankommen, würde ich am liebsten umdrehen und die Strecke gleich nochmal rauf. Doch mein Garmin weist mich mahnend auf die Strecke nach Bourg Saint-Maurice hin. Nicht sexy, aber notwendig, um auf den Kleinen Sankt-Bernhard oder Col du Petit St. Bernard zu gelangen. Es geht zunächst in Serpentinen bergauf, bevor die Straße dann in einem Hochtal sanft bis zur Passhöhe ansteigt.


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Die Passhöhe des Kleinen Sankt Bernhard

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Unser nächstes Ziel, der MontBlanc, ist schon in Sicht


Ein kurzer Stopp mit Begehung ist Pflicht. Neben der alten Grenzanlage fällt ein Souvenirshop ins Auge, der allerlei hölzernes Getier um die Hütte feilbietet. Bei jedem Vorbeilaufen pfeift und trällert es aus allen Ecken. Wers mag. Ich brauchs nicht. Unser Blick nach Norden fällt auf einen Gipfel mit weißer Mütze, den MontBlanc. Da müssen wir jetzt durch. Manch einer wird nun sagen: »Wieso fahrt ihr überhaupt durch den Tunnel?« Weil wir es noch nie getan haben und weil er die schnellste Verbindung zu unserem Tagesziel ›Chamonix‹ ist. Alle Alternativen wären heute nicht mehr machbar gewesen. Also rein ins Loch. Zuvor heißt es jedoch erstmal warten und darauf achten, dass die Windböen uns nicht mit samt dem Bock umschmeißen.


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Warten vor dem Tunnel


Nach der kurzen, aber öden Tunnelfahrt erreichen wir Chamonix und ein paar Meter weiter gleich unsere heutige Bleibe. Das ›Hotel Vert Lodge‹ ist eine alternativ und modern geführte Lodge ohne Personal, dafür mit Online-Check-In und Ohrstöpsel statt Süßigkeiten auf dem Bett. Mal ganz was anderes. Vor der Lodge steppt der Bär. Überall kletterbegeistertes Jungvolk. Wir beide werden heute den Altersdurchschnitt im Haus drastisch erhöhen.

Das Zimmer ist in Ordnung, die Klamotten schnell getauscht. Wir mischen uns unter die fröhlich plappernde Menge und genießen Bier und Burger. Unsere Buchungsunterlagen nötigen uns noch, wegen der noch ausstehenden Bezahlung ein Mitglied vom ›Staff‹ zu kontaktieren. Gar nicht so einfach. Als wir fündig werden, vertröstet uns der Staff-Bube mit: »After dinner!« Ok, wir warten. Gegen später, Jens hatte sich bereits abgeseilt, mache ich mich auf die Suche nach meinem Kontakt beim Staff. Ich finde ihn, zusammengesackt und mit dem Kopf auf dem Tresen liegend, schlafend zwischen mehreren, leeren Weingläsern. War wohl ein lustiger Ausklang des Dinners. Und bei wem bezahle ich jetzt unsere Rechnung? Die zwei Mädels hinter der Theke erbarmen sich. Und jetzt ab in die Falle.
Zuletzt geändert von Saruman am Samstag 1. Oktober 2022, 08:33, insgesamt 1-mal geändert.
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Saruman
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Re: Salut les Alpes françaises! – Unterwegs auf und abseits der Route des Grandes Alpes

#7 Ungelesener Beitrag von Saruman »

TAG 6 | ES GEHT ZURÜCK

Am letzten Tag der Tour ist dann wieder Kilometerfressen angesagt. Also früh raus. Das ganze Haus liegt im Dunkeln, die Jugend schläft noch. Wir schleichen zum 24/7-Frühstücksraum, der über einen Code zu öffnen ist. Neben zwei großen Kaffeeautomaten steht allerlei Verpacktes auf und in den Schränken. Nicht der Hit, aber ok.


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So sieht ein 24/7-Frühstücksbuffet aus

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Das ganze Haus schläft noch. Nur im Frühstücksraum brennt Licht.


Dann zusammenpacken, Moppeds abwischen, aufsitzen. Die Wetterlage für heute prophezeit nichts Gutes. Anscheinend soll es den ganzen Tag regnen, umso mehr, je weiter wir gen Heimat kommen. Die ersten Wolken zeichnen sich hinter Chamonix auch schon ab. Der MontBlanc ist, wie so oft, in einen weißen Umhang gehüllt.
Wir geben unseren Plan auf, über den Nufenenpass und die Alte Gotthardstraße (Tremola) zu fahren. Kopfsteinpflaster im Regen ist nicht sexy. So soll der Furkapass unser letzter Pass auf der Heimreise sein. 


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Morgenstimmung auf dem Col de la Forclaz


Auf feuchten Straßen überqueren wir den Col des Montets und stoppen abermals auf dem Col de la Forclaz für eine kurze Rast. Anschließend gehts kurvig ins Tal mit schönem Blick auf Martigny. Die Strecke von Martigny bis zum Abzweig Furkapass bei Ulrichen ist öde, stark befahren und nicht der Rede wert. Auf den ersten Kurven passaufwärts wird der Himmel wird zusehends grauer. Zunächst fallen Tröpfen, dann regnets richtig. Mit jedem Meter nach oben scheint das Thermometer auch noch um 1 °C zu sinken. Nass, kalt und langsam wirds auch rutschig. Im Helm hinter wirds ganz ganz ruhig. Die Passhöhe vom Furkapass empfing uns bei 2 °C mit Schneeregen und ekligem Wind. Bäh! Kurz anhalten, Ausrüstung checken und die warmen Handschuhe rauskramen.


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Grau, kalt, nass und ungemütlich – die Passhöhe des Furka


Wir setzen uns zügig wieder in Bewegung, denn: gemütlich ist anders. Ein paar Meter talwärts sind erste helle Streifen am Horizont sichtbar. Gottseidank!


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Ein paar Meter weiter ändert der Furkapass seine Meinung


Ein letztes Mal zirkeln wir gemütlich ins Tal, tanken nochmal voll und steuern die nächste Einfahrt zur Autobahn an. Vor dem Gotthardtunnel die gewohnte lange Schlange gen Süden. Wir entern die Schweizer A2 und fahren vorbei am Vierwaldstätter See über Zürich und Winterthur bis zur Grenze bei Schaffhausen. Bei grauem Himmel, aber trocken erreichen wir die A81, die uns bis Stuttgart in heimatliche Gefilde führt. Auf den letzten Metern bekommen wir nochmal richtig unser Fett weg und erreichen triefend unseren Zielhafen.



EPILOG

Ich verabschiede mich von Jens, der gerade überfallartig von seinen Hunden begrüßt wird und schwinge ein letztes Mal mein Bein über die Gepäckrolle. Mittlerweile habe ich den Dreh raus und denke über die Teilnahme an einem Karate-Aufbaukurs nach. Oder doch Ballett? Mal sehen.

Ich fahre das letzte kurze Stück alleine weiter, den Kopf voller Gedanken, Geschichten und Erlebnisse. Irgendwann geht jede Reise zu Ende und es kommt der Punkt, ein Fazit zu ziehen.

Wieder einmal hat mich mein Lieblings-Reiseland begeistert. Die Französischen Alpen sind ein Erlebnis für jeden Motorradfahrer. Phantastische, immer wechselnde Landschaften, Berge, Pässe, Schluchten, Täler – alles im Überfluss, mal chillig, mal anspruchsvoll zu fahren. Die Straßen sind meist in gutem Zustand, aber hin und wieder auch ungesichert und mit Überraschungen gespickt. Das nötige Salz in der Suppe. Der Verkehr ist überschaubar, oft gar nicht vorhanden. Kaum Beschränkungen, irrsinnige Regelungen und Verbote oder Kontrollen. ›Vivre et laisser vivre‹, leben und leben lassen – so, wie ich mir das vorstelle. Einzig die fast durchgehende 30er-Grenze in den Ortschaften nervt mitunter. Durch Schwellen über die gesamte Fahrbahnbreite findet man sich bei schnellerer Gangart kurz mal einen Meter über dem Sattel wieder. Wer das nicht abkann, fährt automatisch langsamer. Funktioniert! Bei meiner nächsten Tourplanung werde ich das einfach berücksichtigen und die erzielbare Reichweite je Stunde etwas nach unten anpassen. Mit 80/50/30 kommt man eben etwas langsamer vorwärts, vor allem in entsprechendem Gelände.

Das befürchtete Sprachproblem war keines. Sicher, die Franzosen können oder wollen oft nur in ihrer Landessprache kommunizieren. Who cares. Mit ein paar Worten Französisch (gebietet schon die Höflichkeit), ein paar Brocken Englisch, Händen und Füßen, einer Portion Gelassenheit und einem freundlichen Lächeln geht alles.

Abschließend noch ein dickes Danke und großen Respekt an meinen Flügelmann Jens. Als eher unerfahrener Berg- und Pässefahrer hat er trotz seiner Höhenangst immer durchgezogen und selbst anstrengende und fiese Abschnitte gemeistert. Ohne Mecker, Nörgel und Gezicke. Großes Kino! Danke, dass du mich begleitet hast. Es war mir ein Fest! Jederzeit und gerne wieder!

Der letzte Satz soll auch mein persönliches Fazit der Reise sein:

FRANZÖSISCHE ALPEN: JEDERZEIT UND GERNE WIEDER!
Zuletzt geändert von Saruman am Samstag 1. Oktober 2022, 08:37, insgesamt 1-mal geändert.
Es grüßt der Achim von

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M. aus L.
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Re: Salut les Alpes françaises! – Unterwegs auf und abseits der Route des Grandes Alpes

#8 Ungelesener Beitrag von M. aus L. »

Fabelhaft :Sl:
Viele Grüße
Marc

Mit vierzig beginnt das Altsein der Jungen, mit fünfzig das Jungsein der Alten.

(Aus Frankreich)

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