5 Uhr morgens: Die polnischen Pass- und Zollkontrollen nehmen ca. 30 Sekunden in Anspruch.
Der weißrussische Posten hat noch geschlossen.
Aber ich bin ausgeruht und habe mich mit Tiefenentspannung gewappnet, denn ich ahne schon, was kommt.
Nach einer Stunde zieht Leben ein, und eine sehr aparte junge Frau,
dezent geschminkt, edles Parfüm, perfekt sitzende Uniform,
erbittet sich freundlich meinen Reisepass, mein Visum, meine Fahrzeugpapiere, meine KFZ- sowie meine Krankenversicherung
und händigt mir im Gegenzug einige leidlich lesbar kopierte Fragebögen zum Ausfüllen aus.
In Din-A4- Format.
Mit weißrussischen Schriftzeichen.
Die kann ich zwar zur Not buchstabieren, aber beileibe nicht übersetzen.
Macht nichts, dafür gibt es einen Schalter mit einer aufgedonnerten Blondine dahinter, die, ohne eine einzige Frage an mich zu richten, alles für mich ausfüllt.
Aber sie gibt mir die Zettel nicht zurück.
Ich muss diese Dienstleistung erst bezahlen.
Und zwar mit achtzigtausend weißrussischen Rubeln.
Das sind ca. 4 Euro, aber Euro nimmt sie nicht.
Also reihe ich mich in die Schlange vor dem Wechselschalter ein, der in einer halben Stunde öffnen wird.
Als ich mit einem gewaltigen Stapel von Geldscheinen wieder am ersten Schalter eintreffe, ist die Blondine eben mal schnell frühstücken gegangen.
Kurz und gut: Drei Stunden nach Abgabe habe ich meinen Reisepass nebst diversen anderen Zetteln mit vielen Stempeln wieder in den Händen.
Zwischendurch haben Zoll-Offiziere mit ihren Lehrlingen mein Gepäck gründlichst inspiziert,
an der Zahnpasta gerochen und ins Batteriefach vom Fotoapparat geschaut.
Dann muss ich nur noch nacheinander drei Schlagbaum- und MP-bewaffnete Posten passieren,
die nochmal meinen Reisepass begucken, sich aus meinem Zettelwust was herausfischen, abstempeln, darauf herumkritzeln oder ihn gegen andere Zettel eintauschen.
Ich passe peinlich genau auf, alle erhaltenen Zettel gut zu verstauen.
Aus Erfahrung weiß ich nämlich, dass ein einziges fehlendes "Dokument" bei der Ausreise heftige Komplikationen auslösen kann.
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Grenz-Festung Brest-Litowsk.
Hier kann man - wenn man will - lernen, wie man Mythen meisterhaft kreiert, inszeniert und instrumentalisiert.
Nach dem Überfall der Wehrmacht Juni `41 haben hier eine Handvoll russischer Soldaten noch mehr als einen Monat lang gekämpft;
die Front war schon viele Hundert Kilometer weiter nach Osten gerückt...
Heute spricht man in Russland von "Heldenfestung". Die Größe des Bus-Parkplatzes ist gigantisch.
Dieser Klotz stand mal auf der CNN-Liste der zehn hässlichsten Denkmäler der Welt. Danach war natürlich eine Entschuldigung fällig.
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Die Autobahn über endlos flaches Land gehört mir fast allein.
Nur selten sind ein paar Hausdächer zwischen Wäldern und Feldern zu sehen.
Die Welt schläft den Sonntag-Vormittag-Schlaf.
Hin und wieder rauscht ein BMW- oder Mercedes- SUV mit russischem Kennzeichen an mir vorbei.
Einmal versuche ich, an so einem Hochglanz-Geschoss dranzubleiben.
Bei 180 gebe ich auf und lass mich wieder auf die erlaubten 120 zurückfallen.
...
Mein nächstes Ziel ist ein UNESCO-geadeltes Renaissance- und Barockschloss aus der polnisch-litauischen Herrschaftszeit.
Die Händlerinnen auf dem Parkplatz bieten mir scherzend und lachend ihre Souveniere an.
„ Für deine Mutter. Oder deine Frau. Oder deine Geliebte.“
Eine will wissen, wohin meine Reise noch geht.
„Nach Russland? Ganz allein?
Das kannst du nicht machen! Da gibt es viel zu viele Verbrecher! Bleib lieber in Weißrussland!“
Und sie schwärmt von weiteren Schlössern und Kirchen in der Nähe, die ich mir unbedingt anschauen soll.
Zum Abschied schenkt sie mir ein von Hand auf Birkenrinde gemaltes Bildchen mit Kühlschrankmagnet
und weigert sich beharrlich, Geld dafür zu nehmen.
Schade – ich habe nicht daran gedacht, irgendetwas einzupacken, was als Gegengeschenk taugt.
Als ich auf der AT vom Parkplatz rolle, winken wir uns herzlich zu.