Ortsnamensuche im goldenen Oktober – unterwegs in den Landkreisen Pinneberg, Steinburg und Segeberg
Der Wecker piept mich an diesem wunderschönen Sonntagmorgen bereits um sieben Uhr heraus. Ich hab ihn freiwillig so gestellt. Sanft küsse ich die Liebste und schleiche mich davon. Im Bad steht die siebenjährige Tochter, noch schlafrosa im Gesicht und mit verwuschelter Haarpracht. „Gudn Morgn, Papa…“. Dann verschwindet sie wieder in ihrem Zimmer, Heike Makatsch liest Pippi Langstrumpf.
Eine Runde im Bad, einen Pott Kaffee und eine Schüssel Müsli weiter hole ich die Diva aus der Garage. Ist schon noch ganz schön frisch grad. Egal, um kurz nach acht drücke ich den Startknopf und ziehe aus, um neue, besondere, lustige oder vielleicht auch skurrile Ortsnamen zu suchen. Meine mit roten und grünen Nadeln gespickte Schleswig-Holstein-Karte im Keller färbt sich stetig von rot auf grün. Vieles habe ich also schon besucht. Heute will ich in die Landkreise Pinneberg, Steinburg und Segeberg erfahren.
von meinem Heimatort in Stormarn geht`s zunächst zum anderen Tangstedt im Kreis Pinneberg
Kummerfeld macht seinem Namen alle Ehre, gleich bei Einfahrt präsentiert sich eine lange Baustelle.
Kummerfeld
Kurz darauf sehe ich schon von weitem einen großen Helikopter unbewegt in der Luft stehen. Was mag da wohl los sein? Beim Näherkommen fällt mir auf, dass er direkt über einem Turm „hängt“.
Wartungsarbeiten via Helikopter über Elmshorn
Gleichmäßiges Donnern der Rotorblätter erfüllt die Luft. Der Lärm ist unglaublich, der Helikopter erscheint riesig. Nach kurzer Zeit beginnt er zu steigen und hat das obere Gerüst des Turms am langen Seil hängen. Eine Antenne? Nirgends ist ein Mechaniker da oben zu erkennen, der das ganze Ding ja losgeschraubt haben muss. Wenig später senkt sich Fluggerät samt Metallgitterkugel gen Boden ab und ward nicht mehr gesehen.
In der online-Ausgabe des Pinneberger Tageblattes wird später zu lesen sein:
„Elmshorn - Ein im wahrsten Sinne des Wortes herausragendes Wahrzeichen von Elmshorn ist geschrumpft. Die im Volksmund als Fernsehturm bezeichnete Anlage an der Hamburger Straße verlor am Wochenende ihre markante weiß-rote Spitze und ist nun knapp 23 Meter kürzer als zuvor. Somit ragt der Gigant nur noch 85 Meter aus dem Boden. Grund für die Demontage der Turmspitze: Die dort eingebaute analoge Technik wird nicht länger benötigt.“
Ich biege an der großen Kreuzung vor Elmshorn rechts ab und erreiche Kölln-Reisiek.
Kölln-Reisiek
Auf meinen nächsten Stopp aber freue ich mich ganz besonders:
Bullenkuhlen
Der Himmel ist goldenoktoberklar, die Landschaft von Baumschulen geprägt. Manchmal erscheinen die Monokulturen schon einer industriellen Produktion angelehnt, dicht an dicht stehen die Bäume im Spalier. Aber es geht auch anders und verspielt und ich mache zwei schnelle Fotos.
Baumschulgebiet
Vor Horst beginnt die Ampelanlage eines Bahnüberganges zu blinken. Beim Abbremsen rolle ich an einem zermatschten Tier vorbei. So etwas habe ich heute bereits mehrmals umkurvt, und irgendeine kleine vierbeinige Rasse scheint wohl gerade eine trafficsuizidale Phase zu haben…
Bei Weiterfahrt begegne ich den ersten zwei Motorrädern des Tages. Schon von weitem leuchten die Neonwesten unter den Klapphelmen. Komisch, irgendwie wusste ich schon von weitem, welche Marke die beiden fahren würden*. Ein Blick in den Rückspiegel bestätigt meine Vorannahme: Ja, TopCase ist `ne Alubox. Ist das bei Kauf eines solchen Motorrades irgendwie Vertragsbedingung?
(Hui, jetzt mache ich mich hier im Forum aber unbeliebt... duckundwech)
Horst / Grönland / Sommerland
Neben mir liegt ein Feld mit fußballgroßen Rotkohlpflanzen. Bin ich schon in Dithmarschen? Noch nicht, aber immerhin die Himmelsrichtung stimmt. Und schon kommt das nächste Schild in Sicht.
Engelbrechtsche Wildnis, hier gibt es eine Grillchaussee!
Glückstadt
Ich folge der Grillchaussee, die mich direkt nach Glückstadt führt. Und wie durch glücklichen Zufall führt mich das Navi zum kleinen Hafen. Ich gönne mir eine kurze Pause auf den hölzernen Stufen zum Wasser und trinke einen Kaffee. Neben mir fachsimpeln einige ältere Herren um einen knallrot lackierten alten Traktor herum. Nennt man das jetzt dieselreden?
Es ist Erntedanksonntag, und ich werde heute noch vielen solcher liebevoll restaurierten Landmaschinen begegnen. Mal mit, mal ohne geschmückte Hänger.
Der Marktplatz zu Glückstadt ist heute wegen einer Festivität gesperrt und ich verzweifle schier an meinem Navi, das mich unbedingt zum Ortsmittelpunkt führen will, bevor es mich zum nächsten Zwischenziel zu geleiten gedenkt. Da hilft im Moment nur eines: Kurzerhand lösche ich Glückstadt aus der Liste und kann endlich weiterfahren.
Blomesche Wildnis
Ich nähere mich dem großen Sperrwerk, das den Zu- bzw. Rückfluss zwischen Stör und Elbe reguliert. Die Straße steht wie eine Zugbrücke senkrecht in den Himmel hinauf, davor hat sich schon eine ordentliche Warteschlange gebildet. Todesmutig rolle ich links vorbei und bringe mich in Poleposition. Quälend langsam senkt sich die Fahrbahn herunter, dann dauert es noch etwas, bis auch die Schranken sich öffnen. Und das alle für drei winzige Segelboote, die den sicheren Hafen hinter dem Sperrwerk aufsuchen. Pah!
Schon auf der Fahrt zum Trischendamm vor kurzer Zeit sind wir hier entlang gekommen. Die Straßen beginnen sich wieder zu heben und zu senken. Das Fahren ist lustig!
Und wie auch neulich erstrahlt das AKW Brokdorf – in der Sonne.
AKW Brokdorf
Ecklak / Aebtissinwisch
Ich liebe diese Landschaft! Sattes Grün, wellige Straßen, endlose Weite und sich drehende Windräder. Dennoch ist Vorsicht geboten, denn neben den Straßen finden sich teilweise tief im wuchernden Gras versteckte Gräben und ich muss gut gucken, wohin ich meine Diva zum Fotoshooting parke. Ist da noch fester Grund? Kann ich beim Wenden noch ein Stück zurückrollen? Oder lieber nicht? Ohauerha!
Ich fliege eine lange Gerade entlang, da sehe ich weit vor mir einen Trecker queren. Was fährt der denn so langsam? Und was bitteschön ist DAS? BREMSEN! In aller Seelenruhe zieht der Trecker eine lange gespannte Kette hinter sich her. Und erst nach einigen Metern folgen ihm scheppernd und rasselnd zwei dicke fette Rollen aus mehreren übergroßen Zahnrädern. Damit will er wohl seine Ackerkrume kleinwalzen… und bitte nicht mich.
Wenige Kilometer später lädt ein Hinweisschild zur Rast ein. Gut, Trinkpause, also rechts ran. Und dann staune ich doch, was ich hier vorfinde! Die tiefste Stelle Deutschlands! Ich hätte ja gedacht, die wäre irgendwo im Nirgendwo in einem hinteroberbayerischen Bergtal. Aber nein, weit gefehlt. Sie ist genau hier! Und ich stehe just in diesem Moment dreieinhalb Meter unter null.
Ich genieße diese Entdeckungen auf meinen Ausfahrten. Denn auch wenn ich die wesentlichen Zielpunkte schon von Zuhause aus planen und festlegen kann, so hält der Tag doch auch immer zusätzliche Überraschungen bereit. Seien es die Zugbrücken, Treckerketten oder Orte wie dieser hier, die Kraniche im Herzogtum Lauenburg oder lustige Begegnungen auf irgendeinem Rastplatz zwischen Hier und Da. Jedes Mal kehre ich reicherlebt nach Haus zurück.
„Tiefste Landstelle B.R. Deutschland“ / Pfahl mit Flutmarken, ganz oben die Deichhöhe von acht Meter
das Grundwasser drückt von ganz allein in diesem Brunnen nach oben
Frisch gestärkt und erholt geht meine Reise weiter, die vier Zylinder unter mir arbeiten ruhig voran. Ich freue mich einfach immer wieder über mein Motorrad! Einfach drauf - und los!
Nutteln / Wacken / Pöschendorf
Winseldorf / Vollsperrung
Zufallstreffer dank Umweg: Krücken
Ich erreiche mein nächstes Ziel und damit eine beliebte Motorradstrecke. Hier in den Kurven zwischen Schmalfeld und Kaltenkirchen kann der Norddeutsche mal ein wenig Rastenkratzen. Allerdings hat die kurze Strecke auch schon eine traurige Berühmtheit erlangt, denn immer wieder geschehen hier schreckliche Unfälle. Ich fahre ein paar Mal hin und her und genieße das Wedeln, aber die Freude trübt sich leider recht schnell. Ich bin zu langsam! Finden zumindest zwei andere hinter mir. Und auch der Heizer aus der Gegenrichtung, der mehrfach die Mittellinie überfährt. Nein, das muss ich mir wirklich nicht geben.
Also fahre ich bei nächster Gelegenheit an den Rand und parke hinter eine dicken Eiche. Soll mir keiner das Mopped schrotten, wenn`s ihn aus der Kurve haut. Nun haben die wahren (selbsternannten) Meister ihre Piste wieder zurück. Und zeigen mir ihr Können.
Schon von weitem höre ich sie heranbrüllen, dB-Eater stören offensichtlich bei der Schräglage. Dann rast es in ungeheurem Tempo an mir vorbei. Eine Weile gucke ich mir das wilde Treiben an, dann hält einer der Fahrer plötzlich neben mir. Ein hochrotes Gesicht kommt unter dem Helm zum Vorschein, mit zitternden Fingern wird an der Zigarettenschachtel herumgenestelt. Als der erste tiefe Zug Erleichterung bringt, werde ich begrüßt: „Wie iss`n das hier mit Polizei?“ „Ja, die kommen hier bestimmt mal vorbei“, so meine Antwort. Und tatsächlich, da fährt auch schon ein Polizeiwagen ganz langsam über die Strecke. Direkt dahinter einer der Heizer von eben, er streckt uns den Daumen hoch.
(Bin ich eigentlich fies, wenn ich heimlich hoffe, dass die Jungs mal in seinen Endtopf gucken? Naja.)

S
chmalfeld / Hinweisschild / Kaltenkirchen
Für heute habe ich genug gehabt, das hier war schon ein ganz schönes Kontrastprogramm. Aber ich bin auch hin- und hergerissen. Ich halte es einerseits für Wahnsinn, was die Jungs hier veranstalten und glaube nicht, dass die alle ihr Fahrzeug wirklich unter Kontrolle haben. Vom Krach mal ganz abgesehen, aber das werde ich wohl nie verstehen… Andererseits muss es auch ein großartiges Gefühl sein, so vollkommen dahinzurasen, Beschleunigung und Schräglage zu spüren, die Knie auf den Asphalt zu bringen und wieder anzugasen… Hmm…
Jetzt fahre ich erstmal nach Haus, rote gegen grüne Nadeln tauschen.
P.S.: Film zur Tour:
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* Sorry, Bruderherz! DU bist die rühmliche Ausnahme!
