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Re: Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

Verfasst: Mittwoch 28. September 2016, 07:03
von steinmeister
Ich bin in Russland. Hinter mir ein kleiner Grenzposten, der seine Bedeutung verloren hat.
Eine Grenze, die keine mehr ist.
Wächst hier zusammen, was zusammen gehört?
Europa?
Mein Verstand erinnert mich daran, dass ich hier ziemlich genau im Zentrum Europas stehe.
Der Flächenschwerpunkt in Litauen liegt nur reichlich 200km von hier.
Mein Bauch widerspricht vehement: Europa liegt weit von hier im Westen!
Dieser Streit wird mir die nächsten Tage immer wieder am Gemüt kratzen.

Vor mir der Weg nach Norden, knapp dreitausend Kilometer über russischen Boden.

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Heute will ich mir noch den Kreml in Weliki Nowgorod anschauen.
Bis dahin fahre ich über gut ausgebaute, aber fast leere Straßen.

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In einer Kleinstadt ist dennoch Stau, weil die Feuerwehr das Wasser eines Wolkenbruches aus den Kellern pumpt.
Ich wate durch einen überschwemmten Platz zum nächsten Geldautomaten.
Auch ein Shop der Telefongesellschaft MTS ist in der Nähe.
Hier erstehe ich eine Sim-Karte. Laufzeit 30Tage, funktioniert in ganz Russland.
Versichert jedenfalls die junge Frau am Schalter.
Am Abend wird mir damit ein fünfsekündiges Telefonat nach Hause gelingen.
Immerhin.
Danach höre ich bei all meinen Anruf-Versuchen immer wieder dieselbe Dame,
die sich mit gereizter Stimme über irgendetwas bei mir beschwert.
Leider kann ich ihr auch nicht helfen – mein Russisch ist nicht so gut,
als dass ich ihren komplexen Jammer gefühlvoll mittragen könnte.
So verlagere ich für den Rest der Reise meine Kommunikation auf WhatsApp.
Das klappt.
Wenn ich mal irgendwo Wlan finde.

Der Große Vaterländische Krieg ist allgegenwärtig.
Alle paar dutzend Kilometer erinnert mich eine Gedenkstätte daran, dass es das russische Volk war,
welches unter unendlichen Opfern Europa von den Gräueln des Faschismus befreit hat.
Sei es in größeren Städten oder in offener Landschaft am Straßenrand: Die abgelegten Blumen sind immer rot und frisch.

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Eine PePeScha aus Holz ermöglicht auch Kinder nachzuerleben,
wie großartig man sich als Rotarmistischer Held fühlen kann.

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Irgendwie fühle ich mich an die Schul-Arbeitsgemeinschaft „Junge Tankisten“ erinnert,
wo meine Mitschüler in Trabi-motorisierten Papp-Panzern taktische Manöver nachvollziehen durften.

Re: Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

Verfasst: Mittwoch 28. September 2016, 07:03
von steinmeister
Manchmal begegnet mir 15 Minuten lang kein einziges Fahrzeug.
Ich genieße die sprichwörtliche russische Weite.
Dörfer sind rar.
Selten säumen Felder die Straße.
Ich sinniere darüber, wie einfach es hier sein muss, Straßen zu planen:
Eine Landkarte, ein Strich mit dem Lineal, und schon können die nächsten 100km in Auftrag gegeben werden.

Was mich wirklich fasziniert:
Flüsse im Flachland ohne jegliches Korsett.

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Mit entspannten 110km/h komme ich gut voran.
Erlaubt sind 90.
Nach offiziellem Straf-Katalog wären ca. acht Euro fällig, wenn ich geblitzt werden sollte.
Aber ich sehe – wie schon in Weißrussland - den ganzen Tag nicht einen einzigen Verkehrs-Polizisten.
Die Nähe Nowgorods kündigt sich durch zunehmenden Verkehr an.
Auch die Regenschauer werden dichter und häufiger. Über lange Strecken ist der Asphalt von einer Wasserschicht bedeckt.

Die zweispurigen Straßen sind breit genug, dass trotz Gegenverkehrs überholt werden kann.
Von dieser Möglichkeit wird rege Gebrauch gemacht.
Am Morgen fand ich den ersten Regen ja noch erfrischend,
aber jetzt wird es anstrengend.
Denn ich bin nicht der Einzige, der das Tempolimit großzügig interpretiert.
Sattelzüge überholen mich und tauchen mich viel zu viele Sekunden lang in Wassernebel.
Visier und Spiegel geben nur vage Andeutungen des Verkehrsgeschehens um mich her weiter.
Uralt-Ladas mit defekten Rückleuchten schleichen am Straßenrand, während Mercedes- und Volvo-Limousinen in beiderlei Richtung um die Vorherrschaft auf der Mittelspur streiten.
Das vertraute Gefühl, auf dem Motorrad der Hecht im Karpfenteich zu sein, will sich nicht einstellen.
Ganz und gar nicht.
Ich ertappe mich bei dem Wunsch, rechts ran fahren und anhalten zu wollen, wenn ich im Rückspiegel wieder die Umrisse eines Trucks erahne.
Ich fühle mich wie das Mohnkorn zwischen den Mühlsteinen.
Vielleicht bin ich auch das Sandkorn im Getriebe.

Eine halbe Stunde vor Nowgorod reißt der Himmel auf.
Die Rushhour ist vorüber.
Die Abendsonne vergoldet die Kuppeln des Kremls, als ich meine AT auf dem fast leeren Touristenparkplatz abstelle.
Die meisten Souvenier- Kioske haben schon die Läden vorgeschoben,
einige wenige hoffen noch auf letzte Touristen.

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Ich spreche die Kiosk-Dame auf ihre Putin- Devotionalien an. Freudig und auch ein wenig stolz stellt sie eine Auswahl für ein Handy-Foto-Shooting zusammen.

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Im Kreml steht ein gigantisches Monument mit zahllosen in Bronze gegossenen Szenen.

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Ich schließe mich einer jungen Familie an. Der Vater erklärt seiner Gattin und der halbwüchsigen Kinderschar einige der mehr als hundert dargestellten Figuren : Katharina die Große, General Kutusow, Puschkin, Gogol….
Iwan der Schreckliche aber fehlt: Der hat seinerzeit die Bewohner Nowgorods massakrieren lassen.

Dann stehe ich vor einem ziemlich großen, vor fast fünfhundert Jahren in Magdeburg gegossenen Bronzetor einer Kathedrale und male mir aus, wie dieses Monstrum mit Schiff und Ochsenkarren seinen Weg bis hierher gefunden haben mag…

Ich schlendere auf der Fußgängerbrücke über den Wolchow.
Über Lautsprecher werben die Fahrgastschiffe um späte Kundschaft: weiter unten am Fluss und an den Ufern des Ilmensees liegen malerisch Klöster und Schlösser.

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Der Vorplatz des Kreml sieht aus, wie eben postsowjetische Stadtzentren aussehen:
Russlands Farben, bewacht von Wladimir Iljitsch.

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Ich beschließe, noch ein paar Kilometer zu fahren in der Hoffnung, eine Möglichkeit zum Zelten zu finden.

Re: Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

Verfasst: Mittwoch 28. September 2016, 07:04
von steinmeister
Aus tiefen grauen Wolken fällt ein stetiger Regen.
Ich reihe mich in den Verkehr ein, der im trüben Morgenlicht durch Wassernebel tost.
Links und rechts der vierspurigen Überlandstraße Richtung St. Peterburg
habe ich gestern Abend nur versumpfte regenverhangene Wälder und Wiesen gesehen.
Auch die wenigen schlammigen und vermüllten Rastplätze waren nicht geeignet, mich zum Zelten zu animieren.

Das Motel war einfach, aber teuer, und hat meine letzte Barschaft verschlungen.
Jetzt brauch ich erst einen Geldautomaten, bevor ich mir einen Morgenkaffee gönnen kann.
Unterm Helm singe ich vor mich hin.
Lindenberg. Natalie aus Leningrad….
Noch drei Stunden, dann bin ich dort.

Mittlerweile rolle ich auch zwischen dem Fernverkehr, der aus Richtung Moskau dazugekommen ist.
Die zwei Richtungsspuren nach Norden sind voll. Trucks liefern sich Überholmanöver bei Tempo 110.
Auch hier werden aus den zwei Spuren manchmal drei gemacht, wenn sich auch noch PKW an diesem Spiel beteiligen.
Ich denke an die Statistiken, die ich im Internet gefunden hatte:
Gemessen an Fahrzeugen ist die Anzahl der Verkehrstoten in Russland 14 mal höher als in Deutschland.
Mir ist nicht ganz geheuer.

Dann ein Sattelzug unterhalb der Böschung. Er liegt auf der rechten Seite. Der Fahrer hat seine Tür schon in den Himmel gestemmt und ist dabei, aus dem Wrack zu klettern.
Vielleicht hat ihn das zerfahrene und aufgeweichte Bankett aus der Bahn geworfen.

Noch 50km bis St. Petersburg.
Stau.
Die Fahrzeuge stapeln sich in vier oder fünf Reihen, stehen mit laufenden Motoren und Scheibenwischern.
Zum Glück sind die Schluchten im zerfahrenen Bankett oft so tief, dass sich ein PKW nicht hinein trauen dürfte.
So finde ich, durch Pfützen kletternd und zwischen LKWs Slalom fahrend, einen Weg am Stau vorbei.

Einige Kilometer weiter liegen Kartons auf der Straße.
Sie sind der offensichtliche Grund, warum der Verkehr nicht fließt.
Auf der Gegenspur liegt ein umgekippter Truck. Das Fahrerhaus ist arg zerstört.

Nochmal zweihundert Meter weiter wieder ein Truck, halb die Böschung heruntergerutscht, aber noch auf den Rädern.
Diesmal in meine Fahrtrichtung. Auch dieser hat seine Ladung auf der Fahrbahn verstreut.
Die beiden werden sich wohl etwas zu nah gekommen sein….

Am Abend werde ich noch ein Knäuel von fünf ineinander verkeilten PKW überholen und einen vierten abgeflogenen Truck passieren.
Letzterer war auf der wenig befahrenen, kleinhügeligen und engkurvigen Straße nordöstlich des Ladogasees unterwegs, als hätte er ein Formel-1-Rennen zu gewinnen.
Einige Kilometer vorher hatte er so hinter mir gedrängelt, dass ich rechts ran fuhr, um ihn mit leer scheppernder Kippermulde an mir vorbeirasseln zu lassen.

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Re: Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

Verfasst: Mittwoch 28. September 2016, 07:05
von steinmeister
Im Stop and Go geht es nach St. Peterburg hinein.
Von der Peripherie bis zum Zentrum brauche ich gut zwei Stunden.
Ich will jetzt endlich einen Kaffee!

Ich fitze mich durch die mit Touristenbussen verstopften Einbahnstraßen der Innenstadt, über Kanalbrücken, vorbei an Winter-Palais und dem Denkmal Peter des Großen.
Trotz strömenden Regens reiht sich vor dem Eingang zur Eremitage eine mehrere hundert Meter lange Menschenschlange.
Mein Handy ist wasserdicht, so dass ich einige Fotos machen kann.
Aber wo ich auch halte: Ich stehe im Halteverbot, und es kommt sofort einer der allgegenwärtigen Milizionäre und fordert mich zum Weiterfahren auf.

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Neben der Kirche „Erlöser auf dem Blut“ finde ich einen Parkplatz.
In der Nähe wird sich sicher auch Cash auftreiben lassen.
Ich mache mich auf den Weg, vorbei an Souvenir-Buden und Straßenrestaurants.

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T-Shirts für jede Kragenweite.

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Den in der Mitte erkenne ich an seiner Zottelfigur.
Rechts daneben Viktor Zoi, der Jim Morrison Russlands.

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Es ist genau 40 Jahre her, dass ich hier,
bei bestem Sommerwetter durch Gassen und Kirchen, Museen und Cafés streunend,
eine Woche lang aus dem Staunen nicht herausgekommen bin.
In meiner Erinnerung ist Leningrad eine der schönsten Städte,
die ich je in meinem Leben gesehen habe.

St. Petersburg wird mich mit Sicherheit wiedersehen.
Aber dann komme ich mit Flugzeug.
Oder Schiff.

Jetzt also der verspätete Morgenkaffe.
Außerdem hab ich Mittagessen- Hunger.
Ein Restaurant wirbt mit einem Wappen, welches mir irgendwie vertraut vorkommt.

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Ausgerechnet hier muss mir die DDR wieder begegnen?
Das kann nur ein schlechter Scherz sein.

Oder ein richtig guter.

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Okay, den Spaß nehme ich mit.

Die Speisekarte ist im Stil der Tageszeitung „Neues Deutschland – Zentralorgan der SED“ gehalten.

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Bei einem Thälmann-Pionier bestelle ich Spaghetti Bolognese.

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Die Werbung ist offensichtlich zielsicher platziert:
Am Nachbartisch schwatzt eine Rentnergruppe in breitem Sächsisch.
Als ich mich als Ossi oute, schallt mir ausgelassenes Hallo entgegen.
Woher? Wohin?
Es dauert nicht lange, bis die politische Weltlage thematisiert wird:
Nein, der Russe ist NICHT ....!
Der verteidigt sich nur! Die NATO soll nur …. Napoleon und Hitler haben auch schon …..

Ich schlürfe meine Nudeln und sehe zu, dass ich weiterkomme.

Weiter Stau von Ampel zu Ampel.
Obwohl die Stadt verstopft ist, fährt es sich ziemlich entspannt.
Drei Auto-Reihen auf zwei Fahrspuren sind völlig normal,
trotzdem wird mir mit meinen breiten Koffern bereitwillig Platz gemacht,
wenn ich in Rückspiegeln auftauche.
Jeder Quadratmeter wird genutzt, man muss ein bisschen flink sein.
Aber Berlin zur Rushhour habe ich bissiger in Erinnerung.
Von Paris ganz zu schweigen.

Ich fahre noch einige hundert Kilometer auf guten Straßen Richtung Norden, bis ich mich spät abends ein heimeliges Hotelchen am Nordufer des Ladogasees aufnimmt.
Die Balken meines Dachgeschoss-Büdchens hat der Zimmermann nicht mit der Säge, sondern unverkennbar mit der Axt zugerichtet.

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Die Landschaft ist hier ganz anders als südlich von St Petersburg.
Niedrige Felskuppen, Fichtenwald, rauschende Flüsse.

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Ich bin in Karelien angekommen.

Re: Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

Verfasst: Mittwoch 28. September 2016, 07:06
von steinmeister
Die Straße windet sich in engen Kurven.
Dreidimensional.
Mein Motorradfahrerherz jubelt.
Aber ich merke schnell, dass ich höllisch aufpassen und mir jeden Übermut verkneifen muss.
Hinter jeder Kuppe kann es unvermittelt mit 12% Gefälle 50 Meter hinuntergehen, und während dessen scharf nach rechts/links abbiegen.
Auch wechselt der erstklassige Asphalt manchmal ohne Vorwarnung für einige hundert oder tausend Meter in Schotter oder Schlamm.

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Mein nächstes Ziel ist ein Marmorbruch, der über zwei Jahrhunderte den Stein für das Venedig des Nordens geliefert hat.
Hier könnte ich mit gemietetem Ruderboot durch unterirdische Hallen schippern, als Fliegender Fuchs über den See schweben oder Bungee-Jumping betreiben.

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Ich stöbere lieber in alten Steinschutt-Halden und suche nach besonders schönen Stücken farbigen Marmors.
Später werde ich sie sicher in den Sturzbügel-Taschen verstauen.

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Die Souveniere aus Marmor sind schick.
Na ja.
Vielleicht sind sie auch aus Plastik.

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Re: Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

Verfasst: Mittwoch 28. September 2016, 07:06
von steinmeister
Tief in den Wäldern östlich des Ladoga-Sees soll es ein Dorf geben,
welches sich den ursprünglichen Charme aus einer Zeit bewahrt haben soll, als es seinen finnischen Namen noch zu recht trug.
Kinerma.

Von Vidlitsa aus führt eine Straße dorthin.

Jetzt frohlocke ich, dass ich mit Heidenau beschuht bin.
Heißa, was für ein Spaß! Im Rückspiegel sehe ich den Dreck fliegen.
Streckenweise ragen große Steine aus ziemlich tiefem Sand.
Hier wird das schnelle Fahren richtig anspruchsvoll .
Ich genieße es!

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Die vielen Holzbrücken sind nicht immer in bestem Zustand.

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Immerhin sind die Löcher, durch die ich unter mir das schwarze Wasser gurgeln sehe, eindeutig und international gekennzeichnet.
Auch das 4-Tonnen-Schild stärkt mein Vertrauen.

Nach 20km fange ich an, mich nach Asphalt zu sehnen.

Nach 30km atme ich auf: Ein schmales asphaltiertes Band zeigt sich vor mir.

Für ca. 3km.

Dann wieder Sand, Schotter, Steine.
Wald.
Wald.

Noch mehr Wald.

Nach 50km: Kinerma.

Die Zivilisation hat mich wieder.

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Sechs, vielleicht acht Holzhäuschen.
Eine Kirche.
Ein paar gegen Wildtiere eingezäunte Gemüsegärtchen.

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Der sehr rustikale Kinderspielplatz erinnert mich an meine Kindheit,
als noch kein TÜV die Erfahrung verhindert hat,
dass Unvorsichtigkeit schmerzhaft sein kann.

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Kein Mensch weit und breit.
Wahrscheinlich werden an Wochenenden hier russische Großstadt- Nostalgiker nach dem Pilze-Finden die klassische finnisch-russische Sauna zelebrieren.
Heute, am trüben frühen Dienstagnachmittag, ist hier nix los.

Re: Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

Verfasst: Mittwoch 28. September 2016, 07:07
von steinmeister
Es ist nicht mehr weit bis Petrosawodsk, der karelischen Hauptstadt am Onega-See.

Lange vor Sonnenuntergang treffe ich dort ein.
Das ist keine Kunst. Die Sonne geht heute erst halb elf unter.

Die Läden haben noch geöffnet, das kommt mir sehr recht.
Ich brauche ein Hotel-taugliches Handy-Ladekabel .
Im Tankrucksack laden ist nett, aber nicht wirklich zuverlässig: Dauernd irgendwelche Kontakt-Probleme.
USB-Ladegeräte gibt’s zum Glück auch hier an jeder Ecke.
Also kein Problem.

Außerdem rutscht mir meine Zivil- Hose, weil ich meinen Gürtel vergessen habe.
In einem riesigen Kaufhaus werde ich fündig.
Die Gürtel haben Einheitslänge und kosten zwischen (umgerechnet) 30 und 60 Euro.
Das Dutzend.
Ich brauch nur einen.
Aber gekürzt. Die Verkäuferin ist verlegen.
Ein vierschrötiger, zufällig anwesender Kunde zeigt sich hilfsbereit.
Er reißt mir den frisch erworbenen Gürtel aus der Hand und beginnt, mit seinem Taschenmesser Löcher hineinzubohren.
Ich mache ihn darauf aufmerksam, dass man den Gürtel kürzen und die Schnalle nach hinten versetzen kann.
Dann bringen wir als Dreamteam das Werk zu Ende.
Der Gürtel ist nicht wirklich schick, eher richtig hässlich..
Aber er wird wohl als nostalgische Reminiszenz noch eine Ewigkeit in meinen Hof- und Gartenhosen dienen.

Nicht so das Ladekabel. Das habe ich Mülleimer des Hotels versenkt, weil es schlicht nicht funktionierte.

Das Hotel „Sport“ am Stadtrand von Petrosawodsk ist die einzige Unterkunft, die ich mir schon vor der Abreise zurechtgelegt hatte.
Hier werde ich zwei Nächte bleiben.

Ich kaufe mir im Hafen ein Ticket für das erste Schnellboot, das morgen früh nach Kischi fährt – der UNESCO-Weltkulturerbe- Insel mitten im Onegasee, von der meine Schwiegertochter nicht aufhören kann, zu schwärmen.

Mit solchen Tragflächen- Booten bin ich schon einmal gefahren,
damals, als Halbwüchsiger.
Von Leningrad über die Ostsee nach Petrodworez.
Ich weiß noch, wie mir die Luft weg blieb, als ich den Kopf aus der Luke reckte.

Während ich versuche, die im Wasser dümpelnde "Raketja" mit meinen Erinnerungen in Übereinstimmung zu bringen
muss ich dran denken, was mir letzten Abend die Dame von der Rezeption erzählte:
Im Frühjahr sind auf dem Onegasee zwei dieser Boote im Sturm gekentert. Es gab mehr als hundert Tote….

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Aber der russische Wetterdienst verspricht mir über’s Handy Windstille und strahlenden Sonnenschein.

Also alles prima.

Re: Baltic Circle - Solo durch Russlands Norden

Verfasst: Mittwoch 28. September 2016, 07:07
von steinmeister
Die Kriminalität in Russland ist bekanntermaßen legendär.
Meine nagelneue AT einen ganzen Tag allein am Hafen stehen lassen-oh nein - das ist mir nicht wirklich geheuer.
Also hab ich mir extra für den heutigen Tag ein Vorhängeschloss eingepackt.
Für die Bremsscheibe.

Aljona hatte Recht:
Wer in Russland war und Kischi nicht gesehen hat, hat wirklich was verpasst.
Hier kann man anschaulich miterleben, was es heißt, Gebäude oder Schiffe aus Holz zu bauen.
Also ausschließlich aus Holz.
Als altgewordener Holzschiffchen- und Flitzebogenbauer krieche ich in jeden Winkel und komme aus der Begeisterung gar nicht mehr heraus.

Nein, ich will gar nicht mehr davon erzählen.
Das muss man selbst erleben.



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