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Re: Von Ost nach West oder von West nach Ost???

Verfasst: Sonntag 15. Juni 2014, 07:56
von Lahmekuh
Savethefreaks hat geschrieben:Wieso hast Du nur gezögert, diesen tollen Bericht zu posten??...
Na ja, mit der Erklärung habe ich ja angefangen (ich weiss, deine Fragen ist rhetorischer Natur...) und was noch entscheidender war, es existierte nur ein dünnes Tagebuch mit den Fragmenten des Erlebten, schnell abends in eine Kladde gekritzelt. Von da ab ist der Weg bis zu diesem Bericht ja noch etwas weit...
Savethefreaks hat geschrieben:...Hat mir bisher viel Spaß gemacht, Dir in diese tolle Gegend mit bekannten und vielen noch unbekannten Highlights zu folgen und ich bin gespannt, was Du noch so erlebt hast!

Und ich ziehe den Hut, dass Du diese lange Tour allein durchziehst!!
Ich freue mich, dass es dir gefällt und danke dir ganz herzlich das Feedback.

Die Tour, und auch die im Vorjahrt (ich glaube, da werde ich mein Tagebuch wohl auch noch mal aufarbeiten müssen... :) ) habe ich nicht aus "einsamer-Wolf-auf-Reisen-Mentalität (Sorry Wolf, keine Anspielung :D) allein durchgezogen, sondern schlicht aus der Situation heraus, dass ich niemanden im näheren oder ferneren Umfeld finden konnte, der zu meinen unflexiblen Terminen Zeit, Lust etc. hatte, um mitzukommen. Also die Tour canceln oder alleine los. Die Entscheidung kennst du ja jetzt.

Re: Von Ost nach West oder von West nach Ost???

Verfasst: Sonntag 15. Juni 2014, 08:43
von Lahmekuh
Tag 12 (444 KM)

Omegna - Il Colle - Piano di Sale – Centovalli - Passo Monte Ceneri - Passo di San Marco - La Forcella di Valpiana - Col di Zambla - Passo della Presolana - Prestine
2013-00557a_Tag12.jpg
Nach einem guten Tag folgt ein weniger guter Tag, ich will nicht sagen, ein schlech­ter.

Bei der Quartierwahl für heute abend habe ich mich ein wenig vertüddelt. Die heutige Etappe ist mit 400 KM eigentlich deutlich zu fett geworden. Aber egal.

Los geht es nach einem morgentlichen Frühstück um bereits 7.00 Uhr, damit ich möglichst vor Beginn der Hitze vom Lago d'Orta wegkomme. Um 8.00 Uhr sind es bereits stolze 21 Grad C. Für einen Norddeutschen wie mich ein paare Grade zuviel. Also schnell, schnell.

Schon nach kurzer Zeit muss ich gähnen, als ob ich die vergangene Nacht nicht geschlafen hätte. Hatte ich das denn? Wenn ein Hotel im Zentrum der Mitte liegt, ist das zwar schön, nachts aber eben nicht ruhig. Und wenn außerdem in der Nähe meines Zimmers die ganze Nacht über Wasserfontänen in Aktion sind, ist es nicht gerade ruhig.

Zu Tagesbeginn gleich wieder eine kleine Straße am Bergrücken entlang. Ein Baustellenschild mit dem Hinweis „Chiuso“! Aber wen interessiert das hier, schließlich bin ich in Italien! Fatal ERROR! Diesmal scheine ich kein Glück mehr zu haben, denn der Bauarbeiter ist überhaupt nicht amüsiert, dass ich die Sperrung missachtet habe und bis zu seiner Wirkungsstätte durchgedrungen bin.

Dementsprechend lässt er mich zunächst erst mal am ausgestreckten Arm zappeln, ich fürchte sogar verhungern. Da ich aber – renitenterweise – stehenbleibe (weniger aus gelebter Opposition, mehr aus Hoffnung!), lässt er sich entweder erweichen oder er resigniert. Keine Ahnung! Jedenfalls blöfft er mich mit gestrengem Blick an um sogleich aber die für mich mögliche Fahrspur mit seinem Minibagger zu verlassen. Puh, noch ein weiteres Mal habe ich Glück gehabt! Ist das Glückskonto denn immer noch ausreichend gefüllt?

Keine 10 Minuten später kommt die nächste Kontoabbuchung. Ich fahre auf einer ganz anderen Straße (war da etwa auch ein „Chiuso“-Schild?), die plötzlich komplett dicht ist, also so richtig dicht! Sch...e!!!

Zwei Schwarzafrikaner (ist das politisch halbwegs korrekt? Wenn nicht: Sorry) sind dort als Bauarbeiter tätig. Sind sie milde? Geht da was? Zweimal ein „Ja“! Aber es wird kribbelig.

Die gesamte Fahrbahnbreite ist auf einer Länge von ungefähr 10 – 15 m mit Bodenaushub blockiert. Unmittelbar neben der Fahrbahn ist rechts und links jeweils ein deutlich nach unten abfallender Randstreifen, rechts in Form eines kleinen Grabens, links mit nahestehender Leitplanke. Der Bodenaushub ist links auf einer Breite von ca. 20-30 cm nicht ganz so hoch geschichtet wie rechts.

Ich analysiere mit einer für mich erstaunlichen Gelassenheit die Situation über suche nach Lösungen.

Der Schaufelmann der beiden Arbeiter nimmt mir die Entscheidung letztlich ab, denn er winkt mit seiner Armen und deutet an, ich solle linksseitig auf dem Bodenaushub entlangfahren. Ja, weiß der Kerl nicht, dass man dabei heftig zu Fall kommen kann? Oder denkt der etwa, nur weil ich auf einer GS sitze, hätte ich schon die Sahara durchquert? Nun denn, er meint es ja doch nur gut und will mich durchlassen und eben nicht zurückschicken.

Also mache ich Handbewegungen, die er korrekt deutet, denn er ruft seinem Kollegen im obligatorischen Minibagger etwas zu und sogleich beginnt dieser, für mich den Bodenaushub wegzuschieben. Selbstverständlich ist sein Baggerarm nicht lang genug und so bleiben ein ganz paar Meter unberührt übrig. Aber allein sein guter Wille zählt.

Warum auch immer, aber ich erinnere mich genau im richtigen Moment an ein Video im Internet, wo jemand eine vergleichbare Situation (dort war es Schnee, nicht Sand) auch gemeistert hat, in dem er sich mit einem Bein im Schnee abstützt und so Stück für Stück und mit schleifender Kupplung durch die Passage durchkommt.

Mit leichter Panik in den Augen mache ich mich also vorsichtig auf den Weg der Überquerung dieses unberührten Haufwerkes, denn der Schaufelarbeiter deutet mir mittlerweile und mit unmissverständlichen Gesten und Blicken an: „Entweder du fährst jetzt und hier, oder du lässt es!“

Ist das jetzt gut oder schlecht für mein Glückskonto?

Gesagt, gezweifelt, getan, gezittert, geklappt! Hand zum Gruß und bloß weg hier.

Der Rest ist schnell erzählt.

Ein paar außerordentlich schöne Ecken sind dabei: die Ausblicke auf die oberitalienischen Seen, das Centovalli und das Valpiana.

Leider bereitet mir eine verwirrend ausgeschilderte Baustelle einen wenig netten Umweg von 40 Kilometer, und das auch noch auf einer Autobahn.

Also alles in allem, ein eher nicht so hübscher Tag...

Übernachtung: (+)
I-25040 Prestine Valcamonica, Hotel Oasis Verde
http://www.hoteloasiverde.it/preisliste" onclick="window.open(this.href);return false;
Aurano - Il Colle - Südanfahrt
Aurano - Il Colle - Südanfahrt
Aurano - Il Colle - Südanfahrt
Aurano - Il Colle - Südanfahrt
Piancavallo
Piancavallo
Il Colle - Nordanfahrt - Blick auf den Lago Maggiore
Il Colle - Nordanfahrt - Blick auf den Lago Maggiore
Il Colle - Nordanfahrt - Blick auf den Lago Maggiore
Il Colle - Nordanfahrt - Blick auf den Lago Maggiore
Piancassone - Blick auf Cannero Riviera am Lago Maggiore
Piancassone - Blick auf Cannero Riviera am Lago Maggiore
SS34 - Blick auf das Castillo di Cannero
SS34 - Blick auf das Castillo di Cannero
Malesco
Malesco
Centovalli - Re -  Blick auf Wallfahrtskirche Madonna del Sangue
Centovalli - Re - Blick auf Wallfahrtskirche Madonna del Sangue
Centovalli - Ribellasca
Centovalli - Ribellasca
Centovalli - Palagnedra -  Blick auf den Lago di Palagnedra
Centovalli - Palagnedra - Blick auf den Lago di Palagnedra

Re: Von Ost nach West oder von West nach Ost???

Verfasst: Sonntag 15. Juni 2014, 08:48
von Lahmekuh
...noch Tag 12:
Porlezza - Blick auf den Lago di Lugano
Porlezza - Blick auf den Lago di Lugano
Passo di San Marco
Passo di San Marco
Passo di San Marco - Was ist denn das für eine "Schutzhüttenkonstruktion"???
Passo di San Marco - Was ist denn das für eine "Schutzhüttenkonstruktion"???
Passo di San Marco
Passo di San Marco

Re: Von Ost nach West oder von West nach Ost???

Verfasst: Sonntag 15. Juni 2014, 09:14
von Lahmekuh
Tag 13 (350 KM)

Prestine - Passo di Croce Domini - Giogo della Bala - Passo di Croce Domini - Goletto di Cadino - Goletto Gaver - Giogo del Maniva - Passo di Marmentino - Caval di Novezzia / Malga Novezza - Bocca di Navene - Bocca del Creen - Passo Creina / Passo di Santa Barbara - Passo Bordala - Passo del Sommo - Luserna
2013-00586a_Tag13.jpg
Nach der „Gute Tage – Schlechte Tage“ Theorie müsste heute ein guter Tag werden. Ob es auch so wird?

Wetter: Ohne jeden Tadel, wenn ich mal von den hohen Temperaturen über 30 Grad südlich des Gardasees absehe.

Strecke: Croce-Domini – Maniva – Monte Baldo, landschaftlich alles in der Kategrie 1 A einzusortieren. Den Schotterteil vom Croce Domini in Richtung Maniva fahre ich hin- und zurück, nur um die zusammen 16 KM Schotter „mitzunehmen“. Südliche Umgehung des Gardasees – wie zu erwarten >>> eine Qual.

Straßenverbote: Die letzten geplanten Anlaufstellen in der Monte Baldo Höhenstraße sind mit einem Fahrverbot belegt, das ich wegen der vielen Wanderer dann auch respektiere.

Ansonsten mal wieder eine „Strada chiuso“. Ich ignoriere erneut das Verbot und werde an den drei Baustellen von den Arbeitern nett durchgewunken.

Am späten Nachmittag dann die Hotelankunft. Super!

Super? Nee nee! Eine Sache gab es noch, und die hat mich noch mehrere Stunden gedanklich sehr beschäftigt.

Kurz nachdem ich in die Ostauffahrt zum Maniva eingebogen bin, stoße ich auf eine Trainingsgruppe Radler und PKW-Begleitung. Es sieht nach einem Profi- bzw. Semiprofiteam aus. Ich fahre einige hundert Meter hinter dem PKW hinterher und beginne dann zu überholen, allerdings wie immer bei Radlern, mit nur geringem Geschwindigkeitsüberschuß. Die Gruppe besteht aus ca. 6 – 8 Mann. Es sind noch drei oder vier vor mir, da macht die Straße einen Rechtbogen und als ich zum Überholen ansetze, um noch vor dem Bogen an dem vordersten Radler vorbei zu sein, sehe ich, wie der Truppenerste einem scheinbar entgegenkommenden Fahrzeuglenker per Handzeichen bedeutet, langsamer zu fahren.

In diesem Moment sehe ich das Auto auch schon um die Kurve 'geschossen' kommen und zwar ziemlich präzise auf mich zu. Ich kippe mit dem Motorrad reflexartig nach rechts in eine vorhandene Radlerlücke ein. Dann höre ich schon ein Quietschen. Der Kleinwagen schleudert ein wenig, wie ich kurz im Rückspiegel erkenne, weil der Fahrer seinerseits nicht mit einem Moped zwischen den Radlern gerechnet hat. Ich mache eine Vollbremsung und sehe danach im Rückspiegel, wie der Kleinwagen auf der Straße steht und die Fahrer der beiden Autos miteinander sprechen.

Was soll ich jetzt tun? Mich auf irgendwelche Diskussionen auf italienisch einlassen, nach dem Motto, wer hat was und wann falsch gemacht?

Da auch die Trainingsgruppe unbeirrt weiterfährt, mache ich es ihnen gleich und ziehe ebenfalls los.

Gedanklich beschäftigt mich die Situation aber noch eine ganze Zeit sehr intensiv.

Ablenkung verschafft mir dann eine alte Mine bei Collio (Dank an Boro für den Tipp).

Abends im Quartier treffe ich auf zwei deutschsprachige Radler, mit denen der Tag dann nett zu Ende geht.

Dabei lerne ich noch, dass es in dieser Gegend wohl einige kleine und abseits gelegene Bergdörfer gibt, in denen heute ein seltsam klingendes Deutsch gesprochen wird. Der Grund liegt darin, dass aus dem Süddeutschen Raum vor einigen hundert Jahren wohl zahlreiche Familien aus Armut ihr Glück jenseits der hohen Berge gesucht haben und sich in diesen seinerzeit noch weitgehend unerschlossenen Tälern niedergelassen haben. Ob sie ihr Glück fanden? Jedenfalls ist die Sprache bis heute lebendig geblieben.

Übernachtung: (++)
I-38040 Luserna, Lusernarhof
http://www.lusernarhof.it/albergo/it/pr ... narhof.htm" onclick="window.open(this.href);return false;
Collio - Miniera Torgola
Collio - Miniera Torgola
2013-00591kompr.jpg
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2013-00597kompr.jpg
Monte Baldo Höhenstraße - Caval di Novezzia / Malga Novezza - Nordrampe
Monte Baldo Höhenstraße - Caval di Novezzia / Malga Novezza - Nordrampe
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Monte Baldo Höhenstraße - Bocca di Navene - Südanfahrt
Monte Baldo Höhenstraße - Bocca di Navene - Südanfahrt
2013-00606kompr.jpg
Calliano - Blick auf das Castel Beseno
Calliano - Blick auf das Castel Beseno

Re: Von Ost nach West oder von West nach Ost???

Verfasst: Sonntag 15. Juni 2014, 11:15
von maxmoto
Servus Michael,
auch auf diesen Strecken fast alles mitgenommen, das Beeindruckend und Sehenswert ist.
(Aber noch ganz kleine Schmakerl übrig gelassen, damit Du die Gegend nicht ganz als "war ich schon, kenn ich, muss ich nicht mehr hin" abhaken kannst.)
So kleine Widrigkeiten wie "nicht ganz Traumwetter" "freundliche Bauarbeiter" "nicht ganz ruhige Stadtmitte liegende Hotels" gehören einfach dazu. Sie sind auch kein Pech, sondern eben nur kein Glück - wobei die Reaktion der Bauarbeiter letzlich doch sehr positiv war.
Das mit den Radlern ist auch so ne Sache.... Ich versuche da auch immer rücksichtsvoll zu sein... stelle aber immer wieder fest, dass die Radler selbst am Rücksichtslosesten fahren. Oft fahren sie so, dass es für mich fast nicht vorstellbar ist, dass die auch einen Führerschein haben und sicher auch manchmal motorisiert unterwegs sind.

Auch diese Tage waren die Fortsetzung einer absoluten Traumtour. Was sage ich... Deine ganze Reise eine einzige Aneinanderreihung von einzelnen Traumtouren und das macht den Reisebericht so bemerkenswert, weil Du diese Riesentour so nachfahrbar beschreibst, obwohl sie schon eine Zeit lang zurückliegt und Du nur "kümmerliche" Aufzeichnungen gemacht hast. Aber wahrscheinlich erlebst Du durch das Schreiben des Reiseberichtes die ganze Tour im Kopf nochmal.

Auf jeden Fall wirfst Du das Kopfkino an und nimmst einen mit auf die Reise.

Danke!

Re: Von Ost nach West oder von West nach Ost???

Verfasst: Sonntag 15. Juni 2014, 12:48
von Savethefreaks
Lahmekuh hat geschrieben:
Warum auch immer, aber ich erinnere mich genau im richtigen Moment an ein Video im Internet, wo jemand eine vergleichbare Situation (dort war es Schnee, nicht Sand) auch gemeistert hat, in dem er sich mit einem Bein im Schnee abstützt und so Stück für Stück und mit schleifender Kupplung durch die Passage durchkommt.

Mit leichter Panik in den Augen mache ich mich also vorsichtig auf den Weg der Überquerung dieses unberührten Haufwerkes, denn der Schaufelarbeiter deutet mir mittlerweile und mit unmissverständlichen Gesten und Blicken an: „Entweder du fährst jetzt und hier, oder du lässt es."

Gesagt, gezweifelt, getan, gezittert, geklappt! Hand zum Gruß und bloß weg
Jetzt weiß ich, warum du Hechlingen machen willst :lol:

Und den Brunnen in Malesco find ich ja mal richtig klasse! Das hätte ich gern im Garten!

Re: Von Ost nach West oder von West nach Ost???

Verfasst: Sonntag 15. Juni 2014, 19:00
von Lahmekuh
maxmoto hat geschrieben:...Aber wahrscheinlich erlebst Du durch das Schreiben des Reiseberichtes die ganze Tour im Kopf nochmal....
Ja, genauso ist es und ich hatte darauf auch in gewisser Weise gehofft als ich anfing, den Bericht zu schreiben. Besser kann man nicht in seinen - verloren geglaubten - Erinnerung graben und schwelgen.

Re: Von Ost nach West oder von West nach Ost???

Verfasst: Sonntag 15. Juni 2014, 19:05
von Lahmekuh
Savethefreaks hat geschrieben:...Jetzt weiß ich, warum du Hechlingen machen willst :lol: ...
:L Treffer, versenkt :L
Savethefreaks hat geschrieben:...Und den Brunnen in Malesco find ich ja mal richtig klasse! Das hätte ich gern im Garten!
Jau, der ist grandios. Ich war schon einige Kilometer weitergefahren, weil ich zu dem Zeitpunkt etwas fotografiermüde war, bin dann aber doch noch mal umgedreht, weil ich dachte, so einen Brunnen sieht man wahrlich nicht alle Tage.