Wieder lockt ein sonniger Morgen bei angenehmen, da zweistelligen Temperaturen. Mittlerweile sind wir durch das tägliche Weiterfahren so routiniert, dass wir
zeitig reisefertig sind. Aber komisch: die KTM will nicht anspringen. Batterie leer. Gestern Abend haben wir Ulrich kennengelernt, der mit seinem T4 auf die
Lofoten will und ein Starthilfekabel dabei hat. Muss ich heute Abend mal nach gucken. So der Plan...
Das Ziel für heute soll der Atlanterhavswegen sein, die Atlantikstraße, die mittels Brücken über mehrere kleine Inselchen die Insel Averøya mit dem Festland
verbindet.. Schon bald erreichen wir die erste, optisch spektakuläre Brücke und halten zum obligatorischen Fotostopp an.
Genug geguckt, jetzt wollen wir auch drüber fahren. Aufsteigen, starten, Kupplung ziehen, Gang einlegen, Kupplung kommen lassen,... Was ist das? Motor läuft,
Kupplung ist ausgerückt und wir stehen immer noch auf der Stelle? Und das Geräusch kommt nicht von einem Gartenhäcksler, sondern von meinem Motorrad.
Eine kurze Überprüfung ergibt schnell, dass sich die KTM mit eingelegtem ersten Gang quasi widerstandslos schieben lässt. Der Blick unter die Ritzelabdeckung
bringt dann die Gewissheit, dass hier am Straßenrand nichts auszurichten ist. Die Getriebeausgangswelle hat nach 98.000 km keine Verzahnung mehr und nimmt
das Ritzel nicht mehr mit. Eine kurze Internetrecherche ergibt, dass sich einer von 12 norwegischen KTM Händlern in 30 Kilometern Entfernung befindet. Telefonisch
wird der ADAC kontaktiert und drei Stunden später rollen wir wieder; leider nur als Beifahrer im Abschleppwagen. Bei Hatlemotor in Einesvagen hat man uns telefonisch
versichert, dass sie im Laden bleiben, bis wir da sind. Zwei Stunden nach Feierabend. Das Motorrad kommt direkt auf die Bühne und wird gecheckt. Stirnrunzeln und
bange Blicke inklusive. Ist das das Ende der KTM? Oder zumindest das Ende des Urlaubs? Wir verschieben weitere Überlegungen auf den nächsten Tag und wollen ein
Taxi zum nächsten Campingplatz organisieren. Wie selbstverständlich übernehmen die Jungs von Hatle Motor den "Fahrdienst" und setzen uns samt Gepäck an einem
20 km entfernten Campingplatz in Bud ab. Morgen früh kommen sie uns wieder holen, um das weitere Vorgehen zu besprechen.
Lagebesprechung in der Werkstatt. Da zwei der drei Alternativen den Abbruch der Reise bedeuten würden, entscheiden wir uns für eine Notreparatur und fangen direkt an.
Roger ist der Inhaber des Ladens und bestreitet seit Jahren Supermotorennen. Seine Rennmotoren baut er selber auf und entsprechend ist seine Werkstatt auch eingerichtet.
Voller Euphorie über die geglückte Reparatur verlieren wir das Startproblem aus den Augen, was sich am nächsten Tag rächt. Murphy hat zugeschlagen, und für zwei Defekte
gleichzeitig gesorgt, da auch der Regler hinüber ist und bestellt werden muss. Leider über das Wochenende.
Auch wenn dieser Defekt nicht nötig ist so betrachten wir es doch als großes Glück, dass uns das nicht einen Tag vorher widerfahren ist. In der Einsamkeit und Kälte des
Eikesdalen wäre schnelle Hilfe unmöglich gewesen. So gelingt es uns auch, das Positive aus der Situation zu ziehen und verbringen das Wochenende mit ausgedehnten
Wanderungen und einer eingehenden Besichtigung des wirklich schönen Städtchens Bud.
Ein besonders herzlicher Dank gebührt dem Team von Hatle Motor mit denen wir gute Gespräche, viel Kaffee und das ein oder andere Glas Rotwein geteilt haben.
Es ist wie immer auf Reisen: es sind nicht die Orte, die sich dauerhaft einprägen. Es bleiben die Menschen!
Bedingt durch die ungeplante Unterbrechung müssen wir uns langsam mit dem Rückweg befassen, sodass leider nur noch die Richtung Süden bleibt. Bei Molde
unterqueren wir unseren ersten Fjord und erreichen kurz nach der nächsten Fähre Åndalsnes wo eine der spektakulären Touristenstraßen startet, die uns über
den Trollstigen (das norwegische Stilfser Joch) und an den Geirangerfjord führt.
Landschaftlich beeindruckend und absolut nachvollziehbar, dass man an solch schönen Orten auch viele andere Menschen sieht. Wir amüsieren uns auf der
Aussichtsplattform über den Geiranger nur über die 90-Minuten-Hektik einer Kreuzfahrtschifftausendschaft, die mit 15 Bussen über die engen Serpentinen
dorthin gekarrt wird und gestoppte zehn Minuten Zeit hat. zwei Fotos und 5 Millionen Selfies zu schießen. Danach herrscht himmlische Ruhe und wir genießen
den Ausblick, bis sich das nächste schwimmende Dorf in den Fjord schiebt .
Abends finden wir nach 330 km in Innvik den Viking Camping mit Fjordblick und freuen uns über den pannenfreien Tag.
Neu von Touratech: das Kreuzfahrtschiff für den Tankrucksack
Tageskilometer ca. 330
Mit dem Wissen um die begrenzte Haltbarkeit der Reparatur stellt sich kein echter Fahrgenuss ein. Vor dem Hintergrund entscheiden wir, die langen Tunnelfahrten
zu umgehen und nehmen den ein oder anderen Umweg in Kauf, um nicht gerade in so einer endlos langen Röhre liegen zu bleiben, die bis zu 25 km lang sind.
Zur Belohnung bekommen wir dann so landschaftlich beeindruckende Gebiete wie das Gaularfjellet, Bordalen, Mørkedalen und Hemsedal geschenkt, die aufgrund
der Höhenlage zwar mitunter eiskalt sind, aber den Augen viele Höhepunkte bieten. So gelangen wir aufgrund der Nutzung einer historischen Route zur Umfahrung
gleich dreier aufeinanderfolgender Tunnel auch den Ort Borgund, der mit einer sehenswerten Stabkirche überrascht.
In Ørpen bauen wir unser Zelt nach 428 Tageskilometern am Krøderen See auf und entscheiden uns für den nächsten Tag für die kürzere Fahrstrecke nach Oslo.
Die Fähre ist schnell per Handy gebucht und wir kriechen ein wenig wehmütig in die Schlafsäcke, da dies unsere letzte Nacht in Norwegen sein wird.
Der Rest ist schnell erzählt. Bis Oslo sind es nur noch 126 km und die Color Fantasy legt bereits um 14 Uhr ab. Nach einer ruhigen Überfahrt erreichen wir vormittags
Kiel und ruinieren im Raum Hamburg einem lieben Forumsmitglied die Mittagspause, bevor wir wiederum bei der Familie in Bremen einen Übernachtungsstopp einlegen.
Am nächsten Mittag werden die letzten 400 km bereits nach einer Stunde beendet, da sich der Erfolg der Notreparatur erschöpft hat. Jetzt ist die Reise wirklich beendet
und wir überlassen die weitere Reiseorganisation dem ADAC . Auch hier ist es verblüffend, wie zuverlässig das Bauchgefühl wieder funktioniert hat. Aus einer Vorahnung
heraus sind wir über Landstraßen gefahren, wo wir gefahrlos ausrollen konnten, statt den schnellen Weg nach Hause über die Autobahn zu nehmen.
Fazit: eine wunderbare Reise, deren Eindrücke und Erfahrungen durch die Pannen und Reparaturstopps in keinster Weise geschmälert werden. Im Gegenteil: wir haben
dadurch wunderbare Menschen kennen gelernt und großartige Hilfsbereitschaft erfahren dürfen.
Schweden hat uns durch seine Einsamkeit und Ruhe fasziniert. Entschleunigung und Genuss sind hier garantiert. Norwegen ist so reich an Naturschönheiten, dass es noch
Reiseziele für viele Jahre bietet. Das Preisniveau ist in Schweden hoch und in Norwegen heftig. Für einen normalen Einkauf von Lebensmitteln kann man in Schweden 50%
Aufschlag rechnen. In Norwegen ist das Rechnen einfacher: verdoppeln reicht, solange kein Alkohol berücksichtigt wird...
Und die KTM? Weg damit...in die Werkstatt! Sie wird wieder hergerichtet. Und zwar so, dass alles überprüft wird, da sie einmal so schön auseinander ist. Alles Nötige wird
erneuert, damit sie weitere 100Tausend erreichen kann und uns nächstes Jahr wieder sicher tragen kann. Denn dann wird es einsam. Finnland ruft und wir hören sehr
aufmerksam zu
Auch euch einen herzlichen Dank fürs "Zuhören"