Mit dem Moto nach Teneriffa (2008)

Reiseberichte der Iberischen Halbinsel.
Nachricht
Autor
Benutzeravatar
Rainer
Beiträge: 41
Registriert: Freitag 2. Dezember 2011, 19:00
Wohnort: Rosenheim

Mit dem Moto nach Teneriffa (2008)

#1 Ungelesener Beitrag von Rainer »

Klar - will man für die knappe Urlaubszeit schnell nach Teneriffa, fliegt man. Aber hat man Zeit und das Motto "Der Weg ist das Ziel" im Kopf, geht's auch mit dem Motorroller. Denn die Kanareninsel ist ein Paradies für Rollerfahrer.

Kurz nach 10 Uhr vormittags rollt mein Vorderreifen von der Fähre auf das Hafenkai von Santa Cruz de Tenerife – eine halbe Sekunde später folgt der Hinterreifen. Was für ein großartiges Gefühl, ich bin nach 4000 Kilometern auf der Insel! Schon allein das war die Reise wert. Aber der Reihe nach.

Ich geb’s ja zu - beim ersten Mal habe ich noch wie Millionen andere Teneriffa als Pauschaltourist besucht. Doch Rollerfahrer sind Individualisten. Und da war dieser Mietroller, mit dem meine Liebste und ich auf die erste Entdeckungsreise über die Insel fuhren. Der Gedanke grub sich ein: mit dem eigenen Roller nach Teneriffa fahren! Mein schnelles und komfortables Reisegefährt, ein 650er Suzuki Burgman, drängte sich förmlich dafür auf und wartete nur auf die passende Gelegenheit, die ein längerer Urlaub mit der nötigen Zeit schließlich bot.

Die grobe Planung stand: drei Tage für die 2700 Kilometer durch Frankreich und Spanien zum Fährhafen Cadiz. Ein Sicherheitstag ist zusätzlich eingeplant, denn eine Panne kann ja doch mal länger dauern. Immerhin muss die gebuchte Fähre in Cadiz pünktlich erreicht werden, denn sonst heißt es eine Woche auf die nächste Fähre warten. Von Cadiz nach Santa Cruz de Tenerife benötigt die Fähre ca. 32 Stunden. Also los!
Dateianhänge
Route.jpg
(42.39 KiB) 2216-mal heruntergeladen
burgi abfahrt 016.jpg
(80.9 KiB) 2217-mal heruntergeladen

Benutzeravatar
Rainer
Beiträge: 41
Registriert: Freitag 2. Dezember 2011, 19:00
Wohnort: Rosenheim

Re: Mit dem Moto nach Teneriffa (2008)

#2 Ungelesener Beitrag von Rainer »

Ein guter erster Tag. In knapp 13 Stunden 990 Kilometer geschafft.

Ich bin beeindruckt von der französischen Höflichkeit. Acht von zehn Fahrern fahren rechts rüber, wenn sie mich kommen sehen. Kurzer Schlenker, schon ist man vorbei und bedankt sich freundlich. Zwischendrin ein Schreck an der Tankstelle. Der Schlüssel vom Topcase ist weg! Hat sich einfach vom Schlüsselbund verabschiedet. Abends beim Gepäckabladen dann ein breiter Grinser. Als ich die Tunneltasche abnehme, fällt mir der Schlüssel vor die Füße. Alles wird gut.

Gut ist auch mein erstes Nachtlager. Hinter Lyon in einem kleinen Örtchen (St. Symphorien de Lay - die Ortsnamen in Frankreich kann man singen) halte ich kurzentschlossen bei einem scheinbar geschlossenen, kleinen Hotel. Der Wirt mit gewaltigem Schnauzer öffnet. "Une chambre? Bien sur!" Ob die Pizzeria noch auf hat, an der ich vorhin vorbei kam? Pizza sei doch kein Essen, meint der Wirt im deutsch-französischen Mischmasch, in dem wir uns unterhalten. Wie es mit einem Steak und Bratkartoffeln wäre? Dazu gibt's noch ein schönes großes Bier und ich bin restlos zufrieden.
Dateianhänge
burgi%20abfahrt%20klein%ano.jpg
(101.15 KiB) 2216-mal heruntergeladen
28062008152.jpg
(91.89 KiB) 2216-mal heruntergeladen

Benutzeravatar
Rainer
Beiträge: 41
Registriert: Freitag 2. Dezember 2011, 19:00
Wohnort: Rosenheim

Re: Mit dem Moto nach Teneriffa (2008)

#3 Ungelesener Beitrag von Rainer »

1930 Kilometer nach zwei Tagen - ich bin in Spanien!

Mir wird klar, warum die Amis ihre Langstreckentouren "Iron butt" nennen. Aber die herrlichen Landschaften in France und Espagna lenken von dem einen oder anderen schmerzenden Muskel ab. Und die Autobahn in Nordspanien bietet sogar schöne Schräglagen. Wenn dann mal wieder ein anderer Mopedfahrer auftaucht, freunden wir uns gleich mit ein paar Überholspielchen an.

Untergekommen für die Nacht bin ich wieder in einem kleinen Hotel am Wegesrand. Beim Abendessen unterhalte ich mich mit dem Koch. Da das Hotel fast leer ist, frage ich ihn, wie's denn so läuft. Ach, seit 14 Jahren hätte seine Familie das Haus. Er ist Marrokaner und will was ändern. Nächste Woche habe er 30 "Girls" da, dann würde das aber ganz anders laufen. Interessant, wo man so landen kann.
Dateianhänge
28062008151.jpg
(55.1 KiB) 2214-mal heruntergeladen
29062008158.jpg
(70.57 KiB) 2214-mal heruntergeladen

Benutzeravatar
Rainer
Beiträge: 41
Registriert: Freitag 2. Dezember 2011, 19:00
Wohnort: Rosenheim

Re: Mit dem Moto nach Teneriffa (2008)

#4 Ungelesener Beitrag von Rainer »

Am dritten Tag geht’s vom kühlen Norden in den heissen Sueden.

Eigentlich sind die letzten 800 Kilometer von Nordspanien nach Cadiz sehr gut zu fahren. Wenn da nicht die Hitze wäre. Man kann ab Salamanca so richtig spüren, wie man sich dem Glutofen des spanischen Inlandes nähert. Im Stehen bei der Zahlstelle auf der Autobahn kocht die Luft. Die Versuchung ist groß, die Lederkombi auszuziehen. Aber lieber schmore ich im eigenen Saft, als bei einem Sturz verbranntes Fleisch zu riskieren. Alte Küchenweisheit.

Pannen oder Schlimmeres gab’s bisher nicht. Eher Lustiges: Ich höre gern Musik unterwegs. Stöpsel ins Ohr, Zufallsmodus im Handy on und Du lässt Dich überraschen, welcher Titel als nächstes kommt. Plötzlich ohrenbetäubender Lärm. Ich fahre aus dem dösenden Dahingleiten hoch - was ist los? Es dauert ein paar Sekunden, bis ich´s kapiere. DAS war der Rasiersound.mp3. Ich sage nur - ohrenbetäubend! Natürlich muss ich grinsen. Man stelle sich vor, wie des Motorrollerfahrers Handy ihm während der Fahrt den Kopf rasiert.
Dateianhänge
29062008163.jpg
(105.87 KiB) 2214-mal heruntergeladen
29062008164.jpg
(49.46 KiB) 2214-mal heruntergeladen

Benutzeravatar
Rainer
Beiträge: 41
Registriert: Freitag 2. Dezember 2011, 19:00
Wohnort: Rosenheim

Re: Mit dem Moto nach Teneriffa (2008)

#5 Ungelesener Beitrag von Rainer »

Am nächsten Tag habe ich mir einen geruhsamen Off-Tag verdient.

Da meine Fähre erst übermorgen geht - meinen Sicherheitstag muss ich ja zum Glück nicht in Anspruch nehmen -, kann ich mir in aller Seelenruhe die Hafenstadt Cadiz anschauen. Besonders der Aufstieg auf den Torre Tavira bietet einen tollen Blick über die Stadt und erleichtert die Orientierung in dem Gassengewirr, in dem man sich leicht verirren kann. Sehenswert auch die Camera Oscura im Turm, mit der nach dem Urprinzip der Kamera durch ein Loch im Dach ein bewegtes Bild der Stadt in den verdunkelten Raum projiziert wird.

Am Hafenkai heißt es dann acht Stunden auf die verspätete Fähre warten. Ich lasse mich gemütlich auf dem Rollersitz nieder. Ein Spanier mit einer FJ1200 hält neben mir. Nach dem Austausch der wichtigsten Informationen („Nein, die Fähre kommt später. Ja, hier stehen wir richtig.“) erzählen wir von unseren jeweiligen Touren. Er ist mit Freunden durch Frankreich und Italien gefahren. Nun geht’s für ihn zurück nach Hause auf Teneriffa, wo er im Computergeschäft ist.

Schon kommt der nächste Biker an. Ist nicht zu überhören, die Pipes seiner Harley sorgen für die gebührende Aufmerksamkeit. Ansgar aus dem nördlichen Ruhrgebiet hat sich sein Moped gerade in Deutschland abgeholt und betreibt eine Rockbar auf Teneriffa, das „Underground“ in El Medano. Wir merken schnell, dass wir beide nicht nur deutsch, sondern auch die gleiche Sprache sprechen und freunden uns bei ein paar Bierchen an.
Dateianhänge
01072008187.jpg
(87.09 KiB) 2214-mal heruntergeladen
01072008195.jpg
(106.56 KiB) 2214-mal heruntergeladen

Benutzeravatar
Rainer
Beiträge: 41
Registriert: Freitag 2. Dezember 2011, 19:00
Wohnort: Rosenheim

Re: Mit dem Moto nach Teneriffa (2008)

#6 Ungelesener Beitrag von Rainer »

Auf den Autodecks der Fähre werden die Motorräder an den Seitengeländern abgestellt. Die Seeleute verzurren durchaus ordentlich. Ich mache das aber lieber selbst mit meinen eigenen, mitgebrachten Gurten, auch weil die Bauart meines Großrollers nur bestimmte Befestigungen zulässt.

Das Schiff bietet mehrere Bars (davon zwei für Raucher), eine Diskothek, Leseecken, Fernseher, ein Kino, zwei Läden, ein paar Spielautomaten, einen Fitnessraum, eine Sauna, mehrere Außendecks und als Highlight das Pooldeck, wo man sich den ganzen Tag aufhalten kann.

Was tut man während der 32-stündigen Fährzeit? Nichts! Und das ist gut so. Egal, was auf der Reise alles getan und gemanaged werden musste – mit der Ankunft im Hafen ist Schluss mit der Eigenaktivität. Die Stimmung ist angenehm träge, fast alle sind entspannt und geben sich dem gleichmäßigen, leichten Auf und Ab des endlosen Meeres hin. 1300 Kilometer werden wir von Cadiz nach Teneriffa zurücklegen. Abends wird auf Spanisch Bingo gespielt - eine gute Gelegenheit spanische Zahlen zu lernen! Veintitrés, cinquenta y cinco, ochenta y nueve – die Zahlen prasseln nur so auf mich ein. Meiner Konzentration wird alles abverlangt und dennoch verpasse ich wohl ein paar Zahlen.

Kiko und Louis, zwei Kubaner, die auf Teneriffa leben, bringen gerade zwei Autos auf die Insel. Sie treffen andere Kubaner und bilden eine fröhliche Runde, die zuerst auf dem Pooldeck und später in der Diskothek erahnen lassen, wie lautstark auf kubanisch gefeiert wird. Am Morgen sehen wir an den wolkenverhangenen Bergen vorbei Santa Cruz de Tenerife strahlend in der Sonne liegen, gleich sind wir da. Nun aber schnell in die Kajüte Gepäck aufsammeln und den Roller beladen! Ich rolle die Rampe hinunter und auf die Insel.
Dateianhänge
03072008234.jpg
(77 KiB) 2212-mal heruntergeladen
02072008204.jpg
(70.46 KiB) 2212-mal heruntergeladen

Benutzeravatar
Rainer
Beiträge: 41
Registriert: Freitag 2. Dezember 2011, 19:00
Wohnort: Rosenheim

Re: Mit dem Moto nach Teneriffa (2008)

#7 Ungelesener Beitrag von Rainer »

Untergebracht sind meine Liebste, die lieber den Flieger genommen hat, und ich in einer Privatunterkunft. Das ist ungleich günstiger als die teuren Hotels und bietet obendrein Kontakt zu Einheimischen. Mit dem Roller entdecken wir, dass Teneriffa weit mehr bietet als die Zentren des Massentourismus.

Gleich eines der ersten Highlights ist das II. Biker Weekend Canarias, zu dem wir natürlich hinfahren. Zunächst fällt eine Bikerhorde nach der anderen ein, man genießt an langen Tischen und in gehöriger Lautstärke reichlich kanarisches Essen, laute Musik und das Bier in Strömen. Die Nacht wird lang, der Kopf immer dümmer.

Zur gemeinsamen Ausfahrt trifft sich am nächsten Morgen unten in Santa Cruz diese röhrende, brummelnde und hupende Meute und wälzt sich zweispurig durch die Hauptstadt. Rauf geht’s in gewohnt langsamer Konvoifahrt ins Anaga-Gebirge und in weitem Bogen zurück Richtung La Laguna. Insgesamt ein absolut gelungenes, fried- und fröhliches Treffen mit vielen neuen Bekannten und natürlich ner Menge Fragen ob des deutschen Großrollers, der sich da mittenrein getraut hat.
Dateianhänge
16072008278.jpg
(93.05 KiB) 2212-mal heruntergeladen
19072008295.jpg
(130.14 KiB) 2212-mal heruntergeladen

Benutzeravatar
Rainer
Beiträge: 41
Registriert: Freitag 2. Dezember 2011, 19:00
Wohnort: Rosenheim

Re: Mit dem Moto nach Teneriffa (2008)

#8 Ungelesener Beitrag von Rainer »

Überhaupt ist das Fahren auf dem eigenen Roller auf Teneriffa ein einziger Genuss. Eine unendliche Zahl von gut asphaltierten Bergstraßen gibt dem Entdeckungsdrang reichlich Futter. Hunderte Serpentinen, besonders entlang der vielen„Barrancos“, durch Regenwasser tief in das Vulkangestein gegrabene Schluchten, bieten Fahrspaß pur.

Jenseits der vom Massentourismus überfüllten Zentren lassen sich hier jede Menge stille Ausblicke und wenig frequentierte Strecken entdecken. Erneut zeigt sich uns, dass der Roller unvergleichliche Möglichkeiten bietet, den Urlaub individuell zu gestalten und die Schönheit der Insel mit anderen Augen zu bewundern.

Der Abschied fällt schwer. Diese wundervollen Wochen haben sich tief in meine Erinnerung geprägt. Schon legt das Schiff ab. Teneriffa fällt langsam zurück, sehnsuchtsvoll schaue ich noch mal hinüber - auf Anaga, die Orte am Meer, den majestätischen Teide. Mein Entschluss steht fest: ich komme wieder!
Dateianhänge
02092008451.jpg
(78.5 KiB) 2211-mal heruntergeladen
07092008486.jpg
(69.96 KiB) 2211-mal heruntergeladen

Antworten

Zurück zu „Pyrenäen, Spanien, Portugal“