Sardinien 2011

Die großen Mittelmeer Inseln
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Linus
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Sardinien 2011

#1 Ungelesener Beitrag von Linus »

Da ist es wieder: kaum betrete ich den Raum, verstummt das vorher so angeregte Geplapper und nur vereinzeltes Tuscheln ist zu vernehmen. Das kann nicht nur mit meiner außergewöhnlichen Erscheinung zu tun haben, da es sich bei den Anwesenden a) um Familie handelt und b) das Außergewöhnliche höchstens in der Fantasie eines Einzelnen Bestand haben könnte.
Es ist Frühjahr 2011 und aus den geflüsterten Gesprächsfetzen kann ich nur sowas wie "Überraschung" und "Fete" entnehmen. Na super: die planen die Feierlichkeiten meines 50ten. Da man mir nichts weiter dazu sagt, habe ich also auch keinen Termin und beschliesse, an dieser Feier nicht teilzunehmen!
Aus irgendeinem mir nicht bekannten Grund genehmigt man mir vier Wochen Urlaub, was zu einem Luxusproblem führt, da Anke nur drei Wochen bekommt. So entwickelt sich mit und mit ein Plan, dessen Realisierung die Zeit bis dahin wie im Flug vergehen lässt. Ich fahre eine Woche alleine in meinen Geburtstag rein und habe als Fixpunkt nur den 22.05. / 17:20 in Cagliari, denn da landet Ankes Flieger.
Mein treuer Gefährte vieler Urlaubsreisen hat mittlerweile 130.000 km auf dem Buckel und steht kurz vor dem Erreichen der Pflegestufe 2, was mich nicht daran hindert, ihm die Last für einen mehrwöchigen Trip zweier Personen aufzubürden. Die Diskussionen über die Notwendigkeit meiner Abwesenheit wurden auf den Zeitraum in vier Wochen verschoben und es geht los. Wenn man nach so langer Zeit noch einmal ganz alleine mit sich und der Natur unterwegs ist, entstehen Gedanken und Gefühle, die Bücher füllen könnten. So beschränke ich mich darauf, dass ich innerhalb dieser Woche einen schönen Ausflug durch Eifel, Saarland, Elsass, Vercors und Jura unternommen habe und vor lauter Nachdenken und Genießen erst am Lac d'Annecy einen Fotostop eingelegt habe
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Mittlerweile habe ich auch am Fuße des Colombier bei einer Pizza und einer Flasche Rotwein mein persönliches Jahrhundert halbiert und quere am Col de Larche die Grenze nach Italien
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Durch Ligurien mit einem großen Bogen um Genua nehme ich mir anschließend noch einen Tag Zeit für die Toskana, bevor ich mich doch noch beeilen muß, die Nachtfähre in Livorno zu erreichen
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Am nächsten Morgen rolle ich schon um 7:00 Uhr in Olbia von der Fähre und mache mich auf den Weg in Richtung Süden. Hier registriere ich schon im Vorbeifahren die Versprechen der Reiseführer. Immer schön in Küstennähe fahre ich über Siniscola, Orosei und Dorgali über die schwindelerregende SS125, bis ich bei Bari in Torre di Bari auf dem empfehlenswerten Camping "La Pineta" einchecke. Zelt aufbauen, Gepäck abmontieren und im Zelt verstauen und weiter zum Flughafen. Und wieder ist es die SS125, die Suchtgefährdend den Weg weist und trotz sportlicher Gangart einen eher bescheidenen Schnitt zulässt.

Ich schaffe es tatsächlich, entscheidende Minuten vor Anke in der Ankunftshalle zu sein und muss mir zur Begrüßung anhören, dass ich doch alt geworden wäre :o Wenn jetzt nicht die 150 km Rückfahrt anstehen würden, könnte der Urlaub beginnen.

Die nächsten Tage gehören Ausflügen an der Ostküste, die uns in das Gennargentu Massiv führen, wo die Straßen Korkenziehern gleichen und eine schöne Berg- und Talbahn bieten. Doch auch die Küste lockt mit kleinen, versteckten Felsbuchten zum Baden
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Der Strand des Campingplatzes lässt uns bei den herrschenden Temperaturen den Verzicht aufs Motorradfahren leicht fallen. Ganz schön überfüllt
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Quer über das Dach der Insel zieht es uns an die Ostküste; die Costa Verde. Hier finden wir ausgedehnte Strände und Dünen in einer Berglandschaft, die von ausgedienten Kohle- und Silberminen ausgehöhlt ist und so regelrechte Geisterstädte hinterlassen hat. Unser Campingplatz "Sciopadroxiu" ist ab Ingortosu nur über eine tiefe Sandpiste incl. zweier Bachdurchfahrten zu erreichen und weitet sich in einen unglaublichen Sandstrand am berühmten Hotel Le Dune.
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Auch hier unternehmen wir wieder Tagesausflüge, wie nach Iglesias mit seiner schönen Altstadt oder nach Buggeru, das in seiner Abgeschiedenheit im Schatten einer hohen Felswand sehr reizvoll ist. Die weitere Strecke südlich nach Masua ist ein landschaftliches Highlight und bietet tolle Ausblicke auf den vorgelagerten Felsen "Pan di Zucchero".
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Uns zieht es weiter in den Norden nach Bosa. Leider existiert der in den Karten verzeichnete Campingplatz nicht mehr, sodass wir uns auf einem Stellplatz für Wohnmobile direkt am Strand einquartieren und den Sonnenuntergang sehr intensiv geniessen können
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Bosa mit seinem Kastell oberhalb der sich den Berg hochziehenden mittelalterlichen Altstadt ist für uns der schönste Ort auf Sardinien. Die Häuser sind bunt bemalt und die engen Gassen ziehen sich steil den Berg hinauf. Schon die Lage am einzigen schiffbaren Fluß Sardiniens zwischen flachen Tafelbergen ist schön anzusehen. Umso verwunderlicher, dass hier kaum Tourismus anzutreffen ist.
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maxmoto
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Re: Sardinien 2011

#2 Ungelesener Beitrag von maxmoto »

Schön, so ein 50er. Obwohl schon lange her, kann ich mich an meinen auch dunkel erinnern, aber das wäre ein ganz anderes Thema.
Du hast eine Art zu Schreiben, die den Suchtfaktor des Lesens ganz schön nach oben treibt.
Ich glaube, ich kann ähnlich empfinden wie Du, aber ich könnts nicht so ausdrücken.
Nachdem mich Dein Marokko-Bericht spontan zu der Aussage brachte: Liane, wir fahren im Winterhalbjahr nach Marokko - und sie gar nicht begeistert war, will ich jetzt wieder nach Sardinien, das tät ihr schon besser gefallen.
Was ich sagen will: Egal von was Du schreibst, es bereitet großes Vergnügen, es zu lesen und man will unbedingt hin.

Danke!

max
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Linus
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Re: Sardinien 2011

#3 Ungelesener Beitrag von Linus »

Tourismus satt gibt es dafür in Alghero: eine an sich wunderschöne Stadt, die leider total überlaufen und mit Souvenirläden verkitscht ist. Trotzdem lohnt ein Besuch. Bis dahin sind wir aber bereits den Verlockungen der Küstenstraße erlegen. Die Entfernung von knapp 50 km haben wir auf 150 km ausgedehnt, da wir über die Landseite einen Kreis zurück nach Bosa gefahren sind und die Küstenstraße leider noch ein zweitesmal befahren mußten :L
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Der Tag führt uns nach Torre del Porticciolo auf den gleichnamigen Campingplatz. Schon von weitem kann man das Capo Caccia erkennen: ein hoch aufragender Kalkklotzan der Spitze einer Halbinsel. Hier sind wir gezählte 652 steile Stufen zur Grotta del Nettuno hinabgestiegen; leider auch wieder rauf ;)
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Weiter im Norden liegt das Capo dell Argientera, das im Reiseführer ob seiner verlassenen Bergwerkssiedlungen und Geisterstädte beschrieben wird. Aber hier wird mittlerweile aufwändig restauriert, sodass man den Ausschnitt der Kamera schon bewußt wählen muß, um diese Symbolik einfangen zu können
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Ganz im Norden der Insel lockt das Capo del Falcona mit einem Traumstrand
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Auch wenn der Blick und die Farben wirklich beeindruckend sind, so kann die Nordspitze uns landschaftlich nicht weiter fesseln, zumal die Straßen schnurgeradeaus durch flaches Land führen. Abends auf dem Platz können wir bei Blick auf den Torre der Sonne bei ihrem Sturz ins Meer zusehen
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Über Land streifen wir im Zentrum die großen Stauseen, bummeln durch die schöne Altstadt von Tempio Pausania und bewundern im Valle della Luna, was Riesen vor Jahrmillionen mit ihrem Murmelspiel angestellt haben. Dabei können wir uns auch endlich mal bei den Pflanzen bedanken, die unser Lieblingsgetränk luftdicht verschliessen
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bevor wir die alte Festungsstadt Castelsardo erreichen und wieder die Gummisohlen unseres Motorrades mit den Wanderschuhen tauschen. Auch hier ziehen sich enge und steile Gassen über unzählige Stufen der Berg hinauf. Castelsardo wird auf drei Seiten vom Mittelmeer umschlossen und bietet so tolle Ausblicke auf die umliegende Küstenlinie
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Linus
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Re: Sardinien 2011

#4 Ungelesener Beitrag von Linus »

Der heutige Tag gehört fast ausschließlich dem Capo Testa, einem wahren Felsenmeer auf einer Halbinsel bei Santa Teresa im Nordosten Sardiniens. Eine unüberschaubare Wildnis aus Granit, die die bizarrsten Formen bildet. Wir klettern den ganzen Tag durch die Felsen und können gar nicht genug davon bekommen.
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Auf dem Rückweg streifen wir noch die Costa Paradiso (was für ein Name), wo naturnaher Tourismus gelebt wird und die Infrastruktur sich schön in die Landschaft einpasst. Uns haben trotzdem die roten Felsen im glasklaren blauen Meer besser gefallen
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Linus
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Re: Sardinien 2011

#5 Ungelesener Beitrag von Linus »

Drei Wochen Sardinien gehen zu Ende und wir haben noch den ganzen Tag Zeit, bis die Nachtfähre geht. Wir wollen uns noch Palau ansehen und machen natürlich auch den obligatorischen Abstecher zum Wahrzeichen der Insel, dem Capo d'Orso (Bärenkap). Je nach Blickwinkel kann man in der Felsformation einen Bären erkennen, dem wir uns von hinten nähern
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Beim Blick hinunter können wir die Inselgruppe La Maddalena sehen und entscheiden uns spontan für die Fährüberfahrt dorthin. Dank dieser Entscheidung erleben wir zum Abschluß des Urlaubes noch ein absolutes Highlight, dass wir jedem Sardinienbesucher nur ans Herz legen können. Ganz Sardinien findet sich hier in komprimierter Form wieder. An diesem Tag befahren wir wohl jeden Kilometer der beiden Hauptinseln La Maddalena und Isola Caprera, die durch einen schmalen Steg miteinander verbunden sind. Die Stadt La Maddalena bietet um den Hafen herum mit seinen granitgepflasterten Gassen ein reizvolles Ambiente und die Umrundung der Inseln herrliche Ausblicke und viele schöne Pausenfleckchen
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So müssen wir uns auch jetzt wieder sputen, die Fähre zu erwischen und erlauben uns am nächsten Morgen einen übermütigen Abstecher von Livorno nach Voltera und San Gimignano um beim mehrfachen Eisweltmeister in der Gelateria di Piazza noch ein Eis zu genießen (man gönnt sich ja sonst schon keinen Luxus) und bummeln durch Ligurien zurück, bevor wir über Grenoble wieder ins Jura finden und uns dann doch noch der Zeit unterordnen zu müssen, indem wir für die letzten Kilometer die Autobahn nutzen. Voller Stolz vermeldet der Tachostand meiner alten Freewind 141.248 km; braves Mädchen


Da wir 2011 noch nichts von der Existenz dieses Forums ahnten, ist dieser Bericht nur aus Erinnerungen, Fotos, Campingplatzrechnungen und verklärter Wehmut entstanden und erhebt keinen Anspruch auf absolut chronologische Richtigkeit. Dank der Nutzer dieses Forums haben wir erst 2012 angefangen, unsere täglichen Erlebnisse und Gedanken in einem Reisetagebuch zu erfassen, was uns wider Erwarten Freude bereitet.
Wir hoffen aber, Euch vielleicht doch den ein oder anderen Tip mitgeben zu können

Mehr Fotos gibt es bei Interesse auch hier: http://www.pixum.de/meine-fotos/album/5 ... /430243628" onclick="window.open(this.href);return false;
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maxmoto
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Re: Sardinien 2011

#6 Ungelesener Beitrag von maxmoto »

Ich kann meinem ersten Kommentar nur hinzufügen, dass es erstaunlich ist, dass Du einen "alten" Reisebericht so wunderbar aus dem Gedächtnis widergeben kannst.
Kann auch nur noch mal wiederholen: Sardinien muss sein. Jetzt müssen wir nur noch planen, wann.
Und wenn das Du bist, der so quasi im Felsen sitzt, muss ich Dir sagen:
50, dass ich nicht lache :lol: :lol:
Maximal 38! :!: :!:
Nochmal: Herzlichen Dank!

max
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Mimoto
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Re: Sardinien 2011

#7 Ungelesener Beitrag von Mimoto »

Hi Linus,

lesen tue ich es Zuhause, vorab, die Fotos sind ein Traum. :L

@Max und Liane müsst auch noch warten... ;)

Grüsse
Michael /mimoto

Sterbe mit Erinnerungen, nicht mit Träumen.


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Gigl
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Re: Sardinien 2011

#8 Ungelesener Beitrag von Gigl »

Hallo Linus,

toll zu lesender Bericht (besser als Tourenfahrer und Co. um teure Kohle), garniert mit ebensolchen Fotos, die Lust auf's Hinfahren machen! :L

Danke für's Schildern und Zeigen.

Gruß

Gigl
Gigl

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