Die Mimik, die Gestik und vor allem die Augen des freundlichen Mitarbeiters im Motorradfachhandel beinhalten nur noch Fragezeichen. Es ist Mitte April und die ersten wärmeren Frühlingstage locken Heerscharen von Motorradfahrern in den Laden, um nach Airflow - Kleidung zu suchen. Und dann kommt da so ein komisches Pärchen und fragt nach beheizbaren Handschuhen. Mit dem Hinweis, dass uns sein Haus als Vertragshändler seitens des Herstellers empfohlen worden ist, kehrt Leben in seine Aktionen zurück und ruckzuck sind die Dinger bestellt. Seine offen gezeigte Neugierde befriedigen wir noch mit der Nennung unseres Reisezieles und der Kälteempfindlichkeit eines der beiden Reisenden.
Dass die Lieferung der Handschuhe zwei ganze Wochen erfordert, bringt den Zeitplan soweit durcheinander, dass die Montage erst zwei Tage vor Abfahrt erledigt werden kann, was aber keinerlei Probleme mit sich bringt.
Warum Schottland?
Eigentlich war doch Kirgisien geplant und viele Vorbereitungen waren bereits erledigt. Allerdings hat uns die Situation in der Ukraine doch erschreckt und wir haben bereits früh mögliche Alternativen gesucht. Da wir Nordeuropa noch nicht bereist haben und uns Schottland als "letzte Wildnis Europas" schon lange gereizt hat, ist die Entscheidung quick & dirty zustande gekommen.
Wie immer wollen wir mit dem Zelt reisen, da wir es lieben morgens noch nicht zu wissen, wo man abends landet und haben uns auf der Karte nur die Dinge markiert, die wir möglichst sehen wollen.
Der Start
Donnerstag, den 08.05. ist um 17:00 Uhr die Fähre von Amsterdam nach Newcastle gebucht. Da das von Aachen aus nur bescheidene 300 km sind, können wir noch Morgens in aller Ruhe packen und machen uns gegen Mittag gemütlich auf den Weg, wobei wir uns schon einmal an das schottische Wetter gewöhnen können: Dauerregen!
Im Gegensatz zu unseren bisherigen Fährpassagen müssen wir bei der DFDS Seaways die KTM selber verzurren, werden aber immerhin darauf aufmerksam gemacht, dass mit heftigem Seegang gerechnet wird. Und dabei werde ich schon in der Badewanne seekrank...
Trotzdem verbringen wir eine ruhige Nacht in der Kabine und rollen am nächsten Morgen um 9:00 ausgeschlafen nach einem ausgiebigen Frühstück von Bord.
Die Sache mit dem Linksverkehr
Woran sollte ich noch einmal denken? Ach ja: Linksverkehr! Nach zweimaliger Passkontrolle durch den Zoll incl. zweimaliger Abnahme des Helms kann die Übung beginnen. Ich denke, dass bei der Hafenausfahrt extra 20 Kreisverkehre angelegt wurden, die bei relativer Verkehrsarmut die Eingewöhnung erleichtern und muss zugeben, dass bei entsprechender Konzentration die Umstellung keine große Herausforderung darstellt. Aber dann die volle Konfrontation: Gegen- und Kreisverkehre in einem sehr weitläufigen Bogen um Newcastle herum. Bald schon biegen wir auf kleine Landstraßen ab, die uns bei Otterburg durch sanft hügeliges Weideland führen:
und erreichen schon bald Jedburgh in den Scottish Borders. Dort steht die Ruine eines alten Augustinerklosters; die Jedburgh Abbey
Auf einem weiten Bogen über Benchester Bridge und Hawick können wir eine weitere Antiquität bewundern
und erreichen irgendwann den Ort Peebles, in dem wir für zwei Nächte unser Lager errichten. Am nächsten Morgen machen wir uns auf in Richtung Edinburgh, das wir einen ganzen Tag durchstreifen. Die wirklich schöne Hauptstadt Schottlands reizt mit vielen alten Gebäuden entlang der Royal Mile, dem Edinburgh Castle und vielen kleinen und steilen Gassen in Kombination mit dem jugendlichen Elan einer Universitätsstadt
Trotz Wolken und Regen drehen wir noch eine kleine Runde in den Borders, dem schottisch - englischen Grenzgebiet, und können schon eine Ahnung für die Weite der Landschaften entwickeln
Tags darauf quälen wir uns durch den wenig reizvollen Speckgürtel zwischen Glasgow und Edinburgh bevor wir westlich von Stirling mit dem Lake of Menteith den einzigen See erreichen und durch den Nationalpark Trossachs streifen. Fahrerisch kommt man hier auf winzigen Sträßchen, die sich verwinkelt und extrem wellig durch den Wald schlängeln, voll auf seine Kosten. Eine echte Herausforderung stellen die unzähligen "blind summits" dar: blinde Kuppen, die zu verhaltenem Umgang mit dem Gasgriff zwingen!
Auch wenn der Pass "Rest and be Thankful" nur 262 Meter hoch ist, so nähern sich doch die Temperaturen dem Gefrierpunkt und es fühlt sich an wie in den Hochalpen
Am Loch Awe passieren wir Kilchum Castle
bevor wir uns in Oban einen Campingplatz direkt oberhalb des Atlantiks suchen. Der Weg zum Wasser führt durch einen Märchenwald und verblüfft aufgrund seines Blütenreichtums
Oban ist ein hübsches kleines Hafenstädtchen, das sich in einem weiten Bogen in die Bucht schmiegt
Zwar könnten wir von hier aus unser nächstes Ziel, die Isle of Mull, mit der Fähre erreichen, entscheiden uns aufgrund des immerhin trockenen Wetters jedoch für einen großen Bogen über Land, wo wir alsbald zum Castlestalker mutieren und das Castle Stalker besuchen.
Über Fort William und Glenfinnan setzen wir bei strömendem Regen die Fahrt fort. Kaum setzen wir den Blinker in Richtung Süden, werden die Schauer auch schon von Schönwetterpassagen unterbrochen und wir erreichen bei traumhaften Ausblicken über Salen und Strontian den kleinen Fährhagen Lochaline, von wo aus wir knapp zehn Minuten später die Isle of Mull erreichen.
Schon bei der Suche nach einem Campingplatz erscheint uns die Insel als so schön, dass wir beschließen, zwei Tage hier zu verbringen
Und so quartieren wir uns in Craignure auf einem Platz mit Blick über die Scallastle Bay ein und genießen den Ausblick
bevor wieder Starkregen einsetzt, der uns schon früh ins Zelt treibt.
Die Sache mit dem Wetter
Wenn man viele Stunden bei Regen in einem 1 Meter hohen Zelt verbringen "darf", formen sich Gedanken und Ideen zu merkwürdigen Spielereien.
Beispiel?
Wetter!
Wo hat dieser Begriff seinen Ursprung? Eindeutig in Schottland. Und damit das auch jeder direkt merkt, hat man die Steigerung des britischen "wet" einfach direkt in der Sprache belassen.
Das Schöne ist dass man weiß, das sich nach dem Regen sehr schnell wieder die Sonne zeigt. Das es zwei Minuten später wieder regnen kann, verdrängt man ganz schnell wieder, da man ja weiß, das sich nach Regen sehr schnell wieder die Sonne zeigen kann...............
Das wir später noch die Bedeutung von "wettest" suchen werden, ist eine ganz andere Geschichte.