
Da muss ich wirklich mal ran. Doch in der Firma gehts zu wie im Sommerschlussverkauf. Wir reissen hier Überstunden wie die Bekloppten.

Aber wenns recht ist, hier schon mal die "Abenteuer-Tage".
Wohlgemerkt war die Tour für fünf Tage gedacht, doch anhand Zeitproblemen, musste ich sie auf drei Tage kürzen.
22.06.2011, Mittwoch Abend:
Laut i-Net verharrt der Col de Agnel noch immer in seiner Wintersperre. Sollte aber ende Juni öffnen, heisst es. Und der Felssturz auf italienischer Seite am Col de Montgenevre ist anscheinend noch immer nicht beseitigt. Man kennt ja die Mentalität der Italiener, wenn es ums Arbeiten geht. Das könnte also noch ein wenig dauern. Derweil bucht mein Schatz für mich noch das letzte Einzelzimmer im Hotel Vauban in Briancon. Es sieht zwar nicht wirklich schnieke aus, aber es hat noch ein Bett frei, und das ist das Wichtigste. Das Hotel Christiana in Valloire ist trotz Anruf meinerseits voll. Sowohl donnerstags, als auch freitags. Wahrscheinlich eh besser so, denn der Typ klingt nicht gerade freundlich. Leider verlängert sich damit mein Kilometerpensum am Anreisetag um weitere 60km. Laut Google Maps komme ich somit auf etwa 660km. Auch wenn das relativ viel klingt, sollte das meiner Meinung nach doch zu schaffen sein. Werden wir sehen.
Der Wetterbericht, den ich übrigens schon seit einer Woche jeden Tag im Auge behalte, fällt nun relativ gut aus. Mir ist klar, dass es mich irgendwo in der Schweiz erwischen wird. Durch den Regen aber muss ich durch, dann folgt nämlich drei Tage schönstes Wetter. Da kann man auch ruhig mal ein wenig nass werden.
Alles doch sehr kurzfristig, weil mich das Wetter tagelang in der Luft hängen liess. So darf es nicht wundern, wenn ich erst um halb sieben Uhr abends meine Sachen packe.
Zwei Koffer und einen Rucksack. Den Tankrucksack lasse ich zuhause. Will nicht so vollgepackt dastehen, wie vor fast genau zehn Jahren in Schottland. Der Fotoapparat und der Regenkombi sind das Nötigste, den Rest kann man kaufen. Meinen Skipullover packe ich doch sicherheitshalber auch ein – werde noch sehr froh darum sein!
Sitze und trinke mit meinem Schatz noch gemütlich bis Mitternacht, und lausche, wie es anfängt leicht zu regnen. Lieber heute, als morgen.
23.06.2011, Donnerstag morgen:
Um fünf Uhr holt mich der Wecker raus. Der erste Blick aus dem Fenster zeigt mir eine trockene Strasse und der Himmel sieht gar nicht mal so schlecht aus. Cool, so muss ich wenigstens nicht schon bei Regen losfahren. Viertel vor sechs wecke ich meinen Schatz für den Abschied.
Um sechs geht’s los.
Ohrenstöpsel rein und ab auf die Autobahn. Will die kommende Schlechtwetterfront schnell durchtauchen. Es geht zügig voran, kaum Verkehr. Bei meinem ersten Tankstopp bei Bern ist dann Schluss. Stau wegen einer grossen Baustelle. Toll, dass beinahe alle Richtung Bern Zentrum müssen, und ich somit ziemlich zügig weiterkomme.
Bei Montreux dann der lang erwartete Regen. Schnell noch ein Foto, dann rein ins Gewusel. Bei Martigny den Col du Grand St. Bernard hoch. Eigentlich ein tolle Strecke. Sechs Kilometer vor der Passhöhe prasselt es nur noch so vom Himmel, und Nebel zieht auf. Toll, hätte das nicht auf der Autobahn sein können?
Auf dem Pass nur zwei ganz schnelle Fotos, denn ich will ja nicht beim Apparat schon zu Beginn einen Wassereintritt verursachen.
Ich bin somit in Italien noch bevor ich nach Frankreich komme. In Aosta, wo ich einen weiteren Tankstopp (mit aufdringlichem Dobermann) einlege, hört der Regen dann auf und ward auch diesen Tag nicht mehr gesehen. Lasse den Regenkombi aber weiterhin an, denn es ist arschkalt. Dann geht’s den Col du Petit St. Bernard hoch, über den ich nur gutes gelesen habe. Es bewahrheitet sich auch, denn die Auffahrt ist echt toll, wenn nur die Kälte nicht wäre.
Dann bin ich endlich in Frankreich. Auch die Abfahrt ist echt super, und mit jedem Meter, den ich tiefer komme, gewinnt auch die Wärme an Kraft.
Komme durch Val d’ Isere und freue mich schon auf den Col de l’Iseran, der zweithöchste Pass der Alpen. Eigentlich der Höchste, aber er hat diesen Rang durch eine kleine Mogelei an den Col de la Bonette verloren. Doch dazu später.
Der Pass ist super zu fahren, und trotz der Kälte gibt es hier zuhauf Radfahrer, die ebenfalls hoch wollen. Ich stehe auf 2770m, aber nach nicht einmal zehn Minuten fotografieren und Landschaft bestaunen, muss ich weiter. Der Kopf ist mir durch den eisigen Wind schon dermassen abgekühlt, dass es Zeit wird, ihn wieder unter dem Helm zu schützen.
Ich nähere mich auf schnell zu fahrenden, aber langweiligen Bundesstrassen Valloire, meinem zuerst geplanten Ziel. Ich passiere den Col du Telegraph, den man beinahe übersieht, tuckere durch Valloire und brause den Col du Galibier hoch. Die Kurven sind ganz toll, aber ich habe ihn irgendwie schöner in Erinnerung. Das kann aber auch die Müdigkeit und Kälte sein. Bin nun seit gut 11,5 Stunden unterwegs.
Es geht runter zum „Zwischenpass“ Col du Lautaret. Wieder auf schneller Bundesstrasse nach Briancon, wo ich erst tanke, damit ich morgen früh gleich zur Tagestour starten kann. Das Hotel ist gut ausgeschildert, und ich finde es sehr schnell.
18:30 Uhr ist eingecheckt. Das Zimmer, sowie das ganze Hotel benötigt eine Restaurierung, aber ich bin ja nur zum schlafen und essen hier.
Ich mache mich frisch, erkunde die nähere Umgebung und decke mich in einem Supermarkt mit Fressalien ein. Hunger ist eben ein schlechter Einkaufsberater. Diese „Jause“ wird bis nach Hause reichen. Dann Abendessen. Die Speisekarte gibt es leider nur in Französisch, und ich verstehe nur Bahnhof. Ich bestelle ein grosses Bier und ein Essen auf gutes Glück. Der Kellner fragt mich noch, wie ich das Fleisch gerne haben möchte, aber das verstehe ich erst, als das Lammfleisch schon das ist. Ohne Übertreibung ist dieses Lamm das schlechteste, das je meinen Magen gesehen hat. Das Bier ist gut. Doch wenn man mal satt ist, spielt es kaum eine Rolle wodurch. Auf Nachfrage beim Portier, wie es denn mit dem „gesperrten“ Col de Agnel steht, ein Nicken. Der soll doch tatsächlich offen sein. Kann es kaum glauben. Das wäre einfach wunderbar. Bin gespannt, ob er morgen immer noch offen ist. Kurz darauf liege ich schon im Zimmer, und gönne meinem Körper die wohlverdiente Ruhe. Gute Nacht.
24,06.2011, Freitag morgen:
Gut geschlafen, aber munter seit halb sechs, stehe ich um sieben auf. Das Wetter verspricht sehr viel Gutes. Der Frühstückskaffee ist grauenhaft, aber die gefüllten Croissants sind ganz ok. Start um 8:00 Uhr.
Die Fahrt zum Col d’ Izoard ist traumhaft. Kein Verkehr, Sonnenaufgang, tolle Kurven. Die Auffahrt durch Wälder, auf der anderen Seite die Abfahrt durch eine Mondlandschaft.
Der Tag kann nicht besser beginnen. Dann weiter zum Col de Agnel, der wirklich und immer noch offen ist. Kann mein Glück kaum fassen, genauso wenig wie die vielen Murmeltiere, die hier meinen Weg kreuzen. Auch wenn ich mich immer wiederhole, ein traumhafter Pass. Dann wieder in Italien, wo ich mich doch glatt dreimal verfranze.
Als ich endlich auf dem richtigen Weg fahre, bin ich schon ziemlich genervt, und entschliesse mich kurz um. Den Col della Maddalena lasse ich sausen, und entschliesse mich für den Col de Lombarda. Eine gute Wahl, wie sich herausstellt. Dieser Pass gehört wirklich zu den Sahnestücken, mit unglaublichem Panorama. Auf der Passhöhe rette ich noch einen kaputten Radfahrer, mit etwas von meinem vorhin an einer Quelle frisch „gezapften“ Wasser, das Leben. Ich quatsche noch mit einem freundlichen deutschen Paar, das heute ebenfalls von Briancon aus gestartet ist. Dann die Auffahrt zum Col de la Bonette, dem höchsten Pass der Alpen.
Der La Bonette ist ja eigentlich geschummelt, der Pass selber ist nämlich "nur" 2715m. Erst die Rundstrasse um den Cime de la Bonette bringt einen auf 2802 Meter.
Somit ist der wahre, höchste, asphaltierte Pass der Alpen der Col de l´Iseran mit 2770 Metern. Gefolgt vom Stilfser Joch mit 2757m und dem Col de Agnel mit 2746m.
Aber die Weitsicht ist schon sehr beachtlich. Die Abfahrt ist wieder mal wunderschön, doch mein Spritvorrat macht mir langsam Sorgen. Dafür, dass hier eine Touristengegend sein soll, haben die Franzosen gewaltig an den Tankstellen gespart. Mit Hilfe eines Motorradfahrers, der anscheinend selber in Nöten ist, finde ich versteckt eine kleine Tanke mit zwei Zapfsäulen. Sorgenfrei kanns weitergehen in Richtung Col de la Cayolle, von dem ich auch viel Tolles gelesen habe. Das ist nicht gelogen, eine supertolle Auffahrt empfängt mich, obwohl diese Seite so holprig ist, dass ich kilometerlang stehend fahren muss. Aber trotz alledem kurvenreich und landschaftlich wunderschön. Auf der Passhöhe wird mir erklärt, wenn ich diese Auffahrt schon als holprig empfunden habe, dann soll ich mich doch noch auf den Col des Champs freuen, der als nächstes unter meine Räder kommt.
Bin gespannt, wie ein Flitzebogen.
Zuerst bin ich äusserst irritiert, denn die Auffahrt präsentiert sich wieder als wahres Goldstück. So was von geil zu fahren, supertoll. Die haben wohl geflunkert.
Dann die Abfahrt. Das haben sie also gemeint. Eine derart miserable Strasse, von der übelsten Sorte, bin ich noch nie gefahren, und hoffentlich werde ich das auch nie mehr müssen.
Dreck, Schlamm, Schlaglöcher, schmalste Fahrbahn, halbe Meter tiefe Wasserläufe,…
Wäre ich von dieser Seite hochgefahren, hätte ich ganz bestimmt nach wenigen Minuten kehrt gemacht, aber somit wäre mir die andere, wunderschöne Seite nie untergekommen. Alles in allem bin ich froh, ihn gefahren zu haben.
Es geht weiter zum Col de Allos, der ganz ordentlich, bis ziemlich schön ist, den ich aber trotzdem zügig hinter mir lasse. Ich habe ja noch ein ganzes Stück bis Briancon, und der Tag neigt sich schon langsam dem Ende zu. Den Col de Vars überfliege ich nur schnell, denn er präsentiert sich nicht sonderlich beeindruckend.
Auf Schnellstrassen geht’s rasch zurück.
Nach 524 Kilometer und um 20:00 Uhr trudle ich wieder im Hotel ein.
Wieder ein langer Tag, und ich bin froh, dass es bis 21:00 Uhr Abendessen gibt, denn ich habe noch nicht viel gegessen. Wieder ein grosses Bier und diesmal ein Entrecote. Da kann ich wohl kaum falsch liegen. Falsch gedacht. Auch dieses Fleisch war schlichtweg miserabel und verdient den Namen Entrecote nicht. Aber was soll’s, ich bin satt. Gute Nacht.
25.06.2011, Samstag morgen:
Wach seit halb sechs, um sieben ist mein Motorrad schon bepackt und startklar. Frühstück. Wieder der schale Milchkaffee und zwei Croissants. Werde ich noch bereuen.
Auschecken, erfahre, dass am Col de Montgenevre das Felssturzproblem behoben sein soll. Gut, das erspart mir einen grösseren Umweg.
Um 7:40 tuckere ich los. Auffahrt zum Col de Montgenevre. Erste Schrecksekunde, als mir die Ölkontrollleuchte entgegengrinst. Abstellen, nachsehen. Minimum, das ist noch ok und heisst, dass mein Bike ordentlich geschluckt hat. Aber sonst, kein Problem. Der Col de Montgenevre fährt sich im unteren Bereich echt supertoll, oben ist er nichtssagend. Ein Wintersportort eben. Wieder in Italien, muss ich mir erst mal eine Toilette suchen, die Croissants und der Milchkaffee fordern ihren Tribut. Zügig Richtung Susa, wobei die Bundesstrasse tolle Kurvenabschnitte hat. Und wieder mal verfranze ich mich, ist doch zum Mäusemelken. Entweder bin ich zu doof, oder die Italiener sind miserable Strassenschildermonteure. Endlich finde ich den Weg zum Col de Mont Cenis. Wieder ein Traum. Rauf sowie runter. Um 10:00 Uhr vor dem Anstieg zum Col de l’Iseran gibt’s kein Weiterkommen. Sperre bis mindestens 12:00 Uhr wegen eines Inlineskate-Rennen. Zwei Stunden hier warten will ich nicht und hab auch nicht die Zeit dazu. Ich entscheide mich, wie viele andere Motorradfahrer zur Umkehr. Ein grosser Umweg über den Col de la Madeleine lässt sich nicht vermeiden. Wenigstens sehe ich diesen Pass wieder. Der hat mich schon vor vielen Jahren fasziniert.
Zurück auf langweiliger Bundesstrasse. Ich versuche so schnell wie möglich vorwärtszukommen. Dann endlich der Wegweiser. Die Auffahrt ist ein Genuss, und lässt mich die Schnellstrassen-Bolzerei vergessen. Oben kaufe ich mir ein T-Shirt und mache mal eine Rast. Leider etwas zu lange, denn bei der Abfahrt kommt mir eine Kuhherde zuvor, die einen Wiesenwechsel macht. Ein paar andere Motorradfahrer und ich „bahnen“ uns den Weg durch. Die Kühe werden unruhig, und beim Hirten vorne ist Schluss. Er beschimpft uns aufs Heftigste und deutet uns HIER zu warten und die Motoren auszuschalten. Fast hätten wirs geschafft. Also wieder warten.
Nach gut 20 Minuten geht’s weiter. Auf kleinen Strässchen zum Cormet de Roselend, das wieder ein fantastisch zu fahrendes Teil ist. Grenzgenial. Leider ist damit mein toller Urlaub eigentlich zu Ende, denn nun folgen nur noch Nervereien und viel Verkehr. Der Col de Saisies wäre noch schön, aber wieder endet er in einem Wintersportort. Dann folgen viele, viele Kilometer zähflüssigem Gebummel durch etliche Touristenstädchen am Mont Blanc. Meine Nerven liegen blank und ich versuche mich immer wieder zu beruhigen. Am Col des Montes bleibe ich gar nicht mehr stehen, weil ich die mühsam überholten Fahrzeuge nicht wieder vor mir wissen will.
Der Col de la Forclaz ist wirklich der allerletzte kleine Highlight. Dann geht’s bei Martigny kurz auf die Autobahn. Ich entscheide mich über den Furka- und Oberalppass zurückzufahren, weil die Herfahrt auf der Autobahn auch nicht so super war. Fehler meinerseits. Brig kommt und kommt nicht näher und meine Handgelenke beginnen zu schmerzen. Zu allem Überfluss verschlechtert sich auch das Wetter. Werde wohl, wie schon bei der Anreise, wieder in den Regen kommen. Bei Brig der absolute Tiefpunkt meines Urlaubs. Noch 50 Kilometer bis zum Furkapass, dann noch über den Oberalppass und zu guter Letzt immer noch 100 Kilometer bis ich endlich Chur erreiche. Erst jetzt wird mir so richtig bewusst, wie lange ich noch unterwegs sein werde, und meine Gelenke schmerzen immer mehr. Kurz vor dem Furkapass rein in den Regenkombi, oben Nebel, Regen und eisige Kälte. An der Auffahrt zum Oberalppass dasselbe, nur kommt wieder die Ölkontrollleuchte hinzu. Eine Tortur. Nach einer Ewigkeit erreiche ich Reichenau bei Chur, Ohrenstöpsel rein und ab auf die Autobahn. Will nur noch heim. Es beginnt zu dunkeln.
Endlich nach 14 Stunden und 771 Kilometern komme ich ziemlich erledigt um 21:40 Zuhause an.
ABER: Ich bin überglücklich, es war ein supertolles Abenteuer.