Eigentlich fing es ja im Oktober 2018 damit an, dass Freund Schippy sich aus diversen Gründen von seiner „Sissie“, einer über die Jahre vom begehrten Bike zur Standuhr mutierten Ducati SS900ie trennen wollte. Trotz attraktiver Preisgestaltung teilte die Forumsgemeinde im Wesentlichen nur die bereits von Schippy vorgebrachten Gegenargumente wie „zu alt“ (auf die potentiellen Fahrer bezogen), „nicht mehr gelenkig genug“ oder was es sonst in unserer Generation an Ausreden so gibt.
Am Ende wurde der Verkauf ausgesetzt und stattdessen …
An potentiellen Mitfahrern sollte es nicht mangeln, die Liste füllte sich rasch und auch der Termin konnte fixiert werden. Im Laufe der weiteren Wochen wandelte sich diese im März 2019 ausgeschriebene Old- und Youngtimer-Ausfahrt in ein modell- und baujahr-offenes allgemeines „Bollern“. Ich wählte aus dem Fahrzeug-Portfolio die altehrwürdige 95er Africa Twin, obwohl am Ende die neuzeitlichen Mopeds eindeutig in der Mehrheit waren. Aber das tat, um es vorwegzunehmen, dem Spaß keinen Abbruch.Schippy hat geschrieben: Ich fahr mit ihr noch mal fort - im nächsten Jahr. Einmal noch in ihr Heimatland.
Einmal auf die unpassendste staubfreie Strecke die es für Sie gibt.
Einmal aufs Joch.
Vorher im durch die Tunnels in Samnaun
Vielleicht noch übern Gavia.
Wer kommt mit?
Tag 1:
Eigentlich wollte ich – wegen der räumlichen Nähe des Startortes zum Wohnort – am Samstag frühmorgens aufbrechen. Knapp 2 Stunden Fahrzeit rechtfertigen eigentlich keine Übernachtung, wenn nicht:
- Eine lustige Truppe und entsprechend spaßiger Abend zu erwarten ist
- Das Wetter sich für eine entspannte und streckentechnisch reizvoll ausgedehnte Anreise anbietet
Also über die Touri-Info Wenns noch schnell ein Last-Minute-Schnäppchen-Zimmer gebucht und am Freitag um 12:30 Uhr das Büro verlassen.
Die Altehrwürdige hatte ich bereits vor ein paar Wochen aus dem „Sommerschlaf“ erweckt, im Rahmen des Vorbereitungsdienstes wurde noch schnell den Spannungsregler und eine in die Jahre gekommene, bereits mehrfach geflickte Steckverbindung zur Lichtmaschine erneuert (Hinweis: Honda weiß wie man haltbare Stator-Wicklungen auslegt). Dazu noch ein Viertele Motoröl nachgegossen und schon konnte es losgehen.
Eigentlich ist die RD07 im Werkszustand eines der leisesten Motorräder nach dem elektrischen Antrieb, aber gewisse Korrosionserscheinungen am Übergang zwischen Krümmer und Endschalldämpfer sorgen für ein dumpferes, trotzdem nicht aufdringliches Motorgeräusch.
Die Anfahrt führte über Murnau und Oberammergau zum Plansee. An den Wochenenden eine heillos sowohl von Schleichern und Rasern überlaufene und gnadenlos zugeparkte schmale Nebenstraße durch wildromantische Alpenlandschaft.
An diesem Freitag erfreute ich mich über kaum vorhandenen Verkehr und fand sogar Zeit für ein paar Touri-Fotos.
Nach kurzer, unvermeidbarer Fahrt auf der rappelvollen Fernpass-Bundesstraße bog ich bei Bichlbach zum Namlos-Sattel ab. Erneut eine für Touren am Wochenende kaum erwartete Leere, die wenigen lokalen Fahrer der Knieschleifer-Fraktion ließ ich ziehen und erfreute mich der Landschaft und dem ruhigen Blubbern des V2 unter mir.
In Stanzach links abgebogen ins Lechtal, nach wenigen Kilometern wieder links zum Hahntennjoch. Auch diese Strecke vermeide ich sonst an Wochenenden und in den Sommermonaten, wenn wahlweise übermotivierte oder völlig fahrtalent-freie Kraftfahrer und *innen die Straße bevölkern und sowohl Normalfahrern wie mir als auch den Anwohnern den letzten Nerv rauben.
„Dank“ der Knall- und Krawalltüten-Fahrer ist diese kleine, feine Alpenstraße auf ihrer gesamten Länge mit Tempo 60 limitiert, und die österreichischen Behörden nehmen es zumindest bei der Längenangabe sehr genau.
In Imst angekommen verblieben nur wenige Kilometer bis zum Treffpunkt im unteren Pitztal. Die Mitstreiter waren bei meiner Ankunft noch unterwegs, so wählte ich als erste Maßnahme bei ca. +35° eine kalte Dusche, bevor das erste Stiefelbier mit den zwischenzeitlich eingebollerten Kameraden Michael, Bernd, Torsten und Andreas genossen werden konnte.
Die sich anschließende große Tafel zum Abendessen wurde bereits in den anderen Berichten ausgiebig beschrieben, daher beschränke ich mich an dieser Stelle auf die Bestätigung der angenehmen Atmosphäre und anregenden Gespräche.
Tag 2
Nach einem gemütlichen Frühstück wurde um kurz vor 9 zum Aufbruch geblasen. Der erste offizielle Treffpunkt lag nur wenige Meter vom Hotel entfernt, ich entschloss mich gleich zum nächsten Planstopp an der Piller Höhe weiter zu fahren. Dort pausiert es sich einfach schöner …
Auch Steph hatte sich bereits am „gachen Blick“ eingefunden.
Im direkten Vergleich gefällt mir die XRV immer noch besser als die aktuelle CRF, was nicht nur an Karims besonderem Farbschema liegt
Auch wenn es das zur Verfügung stehende Nachtankvolumen finanziell nicht unbedingt rechtfertigte, nahm auch ich den Abstecher nach Samnaun zur Tankstelle in Acla mit. Streckentechnisch wiederum sehr reizvoll und immer noch recht verkehrsarm.
Auf der schwungvoll und mit einigen langen Geraden trassierten Westrampe zur Norbertshöhe musste ich die Altehrwürdige in ungewohnte Drehzahlbereiche – jenseits der 5000 U/min – treiben um an den bollernden Ducatis ansatzweise dranbleiben zu können. Da jedoch der nächste Treffpunkt am versunkenen Kirchturm von Graun bevorstand konnte ich es ansonsten gemütlich laufen lassen.
Hier trafen wir – neben Peter und Greg (auf meiner ehemaligen Wüsten-Ballerina KTM 640 Adventure) dann auch auf den „Alpenstraßen-Poeten“ Jürgen, der noch rechtzeitig zum Bollern seine Ducati 748 wieder fahrbereit bekommen hatte. So hatten wir jetzt schon 5 Ducs in der Runde, leider war Michael aka tornante nach folgenschwerem Elektrik-Defekt am Morgen ausgeschieden.
Den Reschenpass im dichten Urlauberverkehr passierte ich auf schnellstmöglichem Wege, dank‘ Herberts Planung hatten wir ja ausreichend Treffpunkte und auch genügend Zeit dazwischen zur Verfügung. Nichtsdestotrotz bin ich immer heilfroh, dass extrem nervige Konglomerat aus Wohnwagen, Sonntagsfahrern und Traktoren auf der S.S. 40 spätestens bei Mals in Richtung Glurns hinter mir lassen zu können. Dank einer gewissen Streckenkenntnis wurde so auch der „kürzeste Weg“ mittels 48 Kehren hinauf zum Stilfser Joch und zur Tibet-Hütte gewählt, und nicht der von leidenschaftslosen Navi-Algorithmen über den Umbrail errechnete Weg.
Am Stilfser Joch spielten sich die üblichen Dramen ab, welche aber der bereits erwähnte Alpenstraßen-Poet mehr als zutreffend beschrieben hat.
An der Tibet-Hütte angekommen verlangte es mir nicht nach Nahrungsaufnahme, schließlich hatte ich ausgiebig gefrühstückt. Es dürstete mehr die Altehrwürdige zum nahegelegenen Hochpunkt am Ortlergletscher zu fahren, denn ich war mit ihr mehr als 10 Jahre nicht mehr über 3000 Meter Meereshöhe.
In den Anfangs-Passagen mit über 30% Steigung musste die Twin mit ihren mehr als 240 Mm auf dem Buckel dann doch etwas schnaufen bzw. ich die (immer noch originale) Kupplung zur Hilfe nehmen um die engen Kehren zu passieren. Oben angekommen schaute ich kurz den Sommer-Brettl-Rutschern zu, bevor ich nach einigen Erinnerungsfotos die Abfahrt zur Passhöhe bzw. zurück zur Tibethütte antrat.
Bei der Abfahrt nach Bormio hat man es, neben todesmutigen Radfahrern, auch mehrheitlich mit den italienischen Rossie-Fans zu tun, die ihre teils extrem kreative wie unberechenbare „Kurvenlinie“ durch Beschleunigungsorgien auf den Geraden auszugleichen versuchen. Auch hier gilt es, Gelassenheit an den Tag zu legen, die diversen Kampfspuren auf der Straße und besonders die Splitter und Scherben in den Kehren mahnen die vernünftigen Kradler.
Mit jedem Meter ins Tal wurde es gefühlt ein Grad wärmer, so dass auch Bormio schnellstmöglich passiert wurde um mittels des Passo del Gavia wieder kühlende Höhenmeter zu gewinnen.
Mit Stephi im Schlepptau wurde der nächste Haltepunkt am dürren Adler angesteuert und auf die nachfolgenden Gruppen gewartet.
Dank eines vor Ort entsorgten Kranzes bzw. seiner Schmuck-Reste konnte dann auch die erste Doppel-Boller-Trophäe an Andreas gegen seinen erklärten Willen verliehen werden.
Die schmale und unglücklicherweise wegen der italienischen Pharmazie-Rundfahrt komplett staubfrei gemachte Südrampe des Gavia bietet aufgrund ihrer nicht massentauglichen Trassierung und Fahrbahnbreite erneut Gelegenheit für zahlreiche Dramen. Es gelang mir durch eine kurze, aber landschaftlich reizvolle Tunnelumfahrung diesen Aufregungen noch kurz zu entziehen.
Die S.S. 42 von Ponte di Legno bis zum Abzweig hinter Incudine fällt wieder in die Schublade „nicht schön, aber notwendiges Übel“. Verkehrsdichte und Fahrweise zehren an den Nerven, welche sich erst mit dem Abzweig zum Passo di Mortirolo wieder beruhigen.
Nach der Kaffeepause am „Belvedere“ schwangen wir uns hinauf zum fast vollständigen Gruppenbild an der eigentlichen Passhöhe. Vor Jahren noch ein einsamer und nur in Alpenfahrer-Kreisen bekannter Übergang, wurde er unter anderem mit einem Umkleide-Container und Ladesteckdosen für (E-)Radfahrer „aufgewertet“.
Die Abfahrt ins Valtellina und die letzten Meter bis zum Hotel in Sondalo waren dann entspannte Routine, zumindest auf einer Reise-Enduro. Zahllose enge und steile Kehren auf einer Tomaten- bzw. Parmesanfeile (je nach Farbgebung) würde ich mir freiwillig nie antun, Aber es geht und zeugt von der Leidenschaft der ursprünglichen Boller-Protagonisten.
Stiefelbier oder -wasser noch der Ankunft, dann das leckere Menü und anschließend noch diverse Runden Rotwein in gemütlicher Atmosphäre rundeten diesen perfekten Tag ab.