Heute fahre ich mit Sebastian und Michael zum Mont Ventoux. Manuel macht heute sein eigenes Ding und schießt viele Fotos seines Motorrads. Es ist heute noch heißer als sonst und meine geplante Route erscheint etwas lang. Wir wagen es trotzdem. Mein Vorderreifen hat morgens 1,5 Bar, also genau 1 Bar weniger als gestern früh – die kriegt er wieder reingepumpt. Ich habe gerade keine Lust, mich um eine nachhaltige Lösung zu kümmern, und die Mitfahrer halten mich deshalb nicht für komplett bekloppt – das ist ein ungewohnt gutes Zeichen.
Michael biegt vorher noch zu einer Waschbox ab, um seine Kette von Schlamm zu befreien. Er trifft uns am zweiten Passknackerpunkt dieser Route, dem Col d'Araud. Das ist eine einsame Bergstraße mit nahe Null Verkehr und ohne erkennbare Ortschaft. Glücklicherweise gibt es oben auf der Passhöhe Schatten und etwas grün, so dass es erträglich ist. Für das Nachweisfoto (wo Ortsschild, Nummernschild, und Passknackerjahresschild drauf müssen) will ich nicht aus dem Schatten raus, daher wird da mal etwas optisch gezaubert.
Michael erscheint nach 20 Minuten mit einem frisch geputzten Mopped, was uns sehr verwirrt.
Nun geht es zu dritt weiter. Der Col de St Jean (Lachau) ist eine prima Kurvenstrecke und macht richtig Spaß, auch wenn es heiß ist. Knapp unterhalb der Höhe kann man auf den Col de la Muze abzweigen, und weil die Routenplaner direkt wieder zurückwollen, hatte ich noch einen Wegpunkt weiter westlich platziert - was sich als Fehler entpuppt, denn die Strecke ist arg eng, verwinkelt und unübersichtlich. Freundlicherweise sind wir weiterhin die einzigen Verkehrsteilnehmer weit und breit.
Kurz drauf ist Tanken angesagt, Sebastians SMC und meine MT-09 haben nun wirklich nicht viel Reichweite. Michael ist es zu heiß und kurvig und er seilt sich ab, weil er lieber Baden gehen möchte. Sebastian fährt mit mir weiter. Weiter westlich erklimmen wir den Col de Macuègne und den Col de l'Homme Mort. Sebastian möchte mal MT-09 fahren, was er auch darf. Die SMC kenne ich zwar schon, aber gerade im direkten Vergleich fällt auf, dass das ein echtes Bauernfahrzeug ist. In Sachen Laufkultur liegen hier gefühlt 50 Jahre dazwischen. Und vor lauter Gewechsle vergesse ich, am Col de l' Homme Mort das Passknackernachweisfoto zu machen. Dann muss ich da wohl leider noch mal hin – bitte um eine Runde Mitleid
Und dann kommt schon der Mont Ventoux. Wir steigen von Osten auf. Dies ist heiliger Boden für Radfahrer, daher kann hier schon mal was los sein. Gegen 11 Uhr sind die meisten schon fertig, und den Rest überholt man halt mit reichlich Seitenabstand. Es sind auffallend viele Holländer und Belgier hier. Es wird angenehm kühl hier oben. Unterhalb der Passhöhe kehren wir in die Gastro ein, erholen uns und genießen ein Mittagessen im kühlen Gasthaus. Abkühlung ist wichtig. Der Mont Ventoux steht einsam und verlassen als höchster Berg weit und breit in Frankreich rum. Es wächst nichts drauf, und bei klarer Sicht kann man Alpen und Pyrenäen sehen. Heute ist es diesig, weil es schwül ist. Trotzdem beeindruckend!
Weiter geht es nach Südwesten, zum Col de la Madeleine (Bedoine). Dabei habe ich einen etwas haarigen Moment, denn ich will eigentlich schon mit einem Überholvorgang anfangen, meine dann aber doch, etwas hinter der Hecke zu erkennen, die die Straße hinter dem kommenden Linksknick leicht verdeckt – und zwei Sekunden später knattert mir ein Motorradfahrer entgegen. Holzauge, sei wachsem! Und dann beginnt ein Weg über einsame und spaßig kurvige Strecken durch das Hinterland, wo man einwandfrei Landschaft genießen und die Reifen quälen kann: Pas du Voltigeur, Col de Veaux, Col d'Ey, Col de Peyruergue, Col de Perty und schließlich Col de Pierre Vesce. Das sind wirklich spaßige Strecken, die mit dem engen Zickzack heute Morgen nichts gemein haben. Auch Sebastian gefällts.
Die Yamaha fühlt sich wohl, obwohl das Thermometer bis zu 39° anzeigt, nix leuchtet oder blubbert. Mein CRA3 Hinterreifen protestiert stumm in Form von feinen Würsten auf der ganzen Breite der Lauffläche, und die Fußrasten winseln um Gnade – aber nur, weil ich die Angstnippel dran gelassen habe. Es ist schließlich meine erste richtige Tour mit diesem Motorrad, und ich bin mir nicht sicher mit der Schräglagenfreiheit der China-Sturzpads am ohnehin recht breiten Motor, daher steigere ich mich lieber langsam. Drollig ist noch ein Holländer mit ranzigen Peugeot-Kombi, der einen ähnlichen Weg wie wir fährt, aber mit weniger Abstechern, Nebenstrecken und Pausen, daher überholen wir ihn mindestens drei Mal. Bei einer Fahrpause im Baumschatten am Nordhang eines Berges knapp vor der Passhöhe – Abkühlung ist wichtig – überholt er uns, und ich winke freundlich – und wer winkt sogar zurück!
Und dann geht es auf schnellstem Weg zum Campingplatz zurück. Das ist warm! Abkühlung ist wie gesagt wichtig. Warum nicht mal in einen Bach steigen?
Auch im Tal mit der Bundesstraße findet sich eine Möglichkeit. Hier werden Obst und Wein angebaut, und dafür wird auch bewässert. Freundlicherweise wird an manchen Stellen auch teilweise die Straße bewässert. Da steht dann schnell mal ein Motorradfahrer drunter und freut sich über die Erfrischung.
Da wir eh noch tanken müssen, hole ich mir im klimatisierten Supermarkt daneben Getränke und eine Packung Twix-Eis. Das Eis wird direkt gegessen. Es ist zwar ein 6er-Pack, aber Eis verschenken ist schwerer als man denkt, und wir sind immerhin zu zweit. So geht’s kommen wir dann doch noch recht fit zurück am Campingplatz an – die Strategie mit Pausen alle 30 Minuten statt „Augen zu und durch“ hat für mich gut funktioniert.
Unsere Route war heute 371 km:
Michael berichtet von seinem Mittwoch:
Für den heutigen Tag kündigt der Wetterbericht neue Rekordtemperaturen an. Stellenweise werden in Frankreich 45° erreicht und die Regierung ruft den Klimanotstand aus. Die Bevölkerung wird aufgerufen unnötige Fahrten mit Kraftfahrzeugen zu vermeiden (wir gehen davon aus, dass damit nur heimische Fahrzeuge gemeint sind). Am Freitag sehen wir auf Autobahnen Hinweisschilder, die das Tempolimit um 20 km/h herabsetzen und mit Radarkontrollen drohen. Wie diese Maßnahme allerdings die aktuelle Hitzewelle eindämmen soll ist mir völlig schleierhaft.
Wir fahren zu dritt los und ich biege in eine Waschbox ab. Die Kette muss vom Sand befreit werden. Mangels Folien muss ich von großflächigen Abdeckmaßnahmen Abstand nehmen. Und nachdem die Kette sauber ist, ist praktisch die gesamte hintere Hälfte der KTM sauber, war sehr merkwürdig aussieht, also wird alles abgesprüht. Als ich dann Sebastian und Blahwas wieder treffe, sieht meine KTM neben Sebastians ein wenig beschämt aus, weil sie völlig unstandesgemäß weitgehend sauber ist. Die Fahrt dorthin führt mich durch ein kleines wildes Tal mit einem Bach, der einige Badestellen bietet. Aber ich bin spät dran und fahre weiter. Allerdings brennt sich das Bild in meinem Kopf ein und wird mit steigenden Temperaturen immer präsenter. Danach werden die Straßen immer enger und sind streckenweise mit Split geflutet. Entweder Schotter und Gelände oder richtige Straße, aber Rollsplittorgien auf Asphalt brauche ich nicht.
In mir reift die Entscheidung bei den heutigen Temperaturen nicht über die lange heiße Ebene bis zum Mont Ventoux zu fahren, sondern es lockerer anzugehen und die Gegend im Bummeltempo zu erkunden. Zudem lockt die Schlucht mit dem Bach. Bei der nächsten Tanke verabschiede ich mich von den beiden und entledige mich der Jacke und Handschuhe. Dafür bummle ich jetzt mit 60-70 über die Landstraße und genieße die schöne Gegend und Ortschaften. Ich suche mir über die Google-Zeitachse (sehr praktisch) die Schlucht heraus, die ich gesehen habe und parke in einer kleinen Bucht neben der Straße. Ich klettere etwa 15m tief zum Bach herunter und finde eine traumhafte Stelle zum Baden. Die Einheimischen haben den Bach an vielen Stellen mit kleinen Steindämmen aufgestaut, so dass sich überall kleinere Pools zum Baden gebildet haben. Sehr zuvorkommend! Mein persönlicher Pool ist etwas über zwei Meter tief und angenehm temperiert. Baden wie Gott in Frankreich!
Eigentlich will ich hier nicht mehr weg, aber ich bekomme Hunger und trete die Rückreise an. Unser Campingplatz liegt schließlich oberhalb eines riesigen Stausees, der auch bebadet werden will. An einem Supermarkt versorge ich mich mit eiskalter Gaspacho, Brot und Fruchtsaft. Hier ist nicht viel los, aber bei den Temperaturen sind nur Leute unterwegs die müssen oder Bekloppte. Ich müsste nicht unterwegs sein.
Der Rückweg wird weiter im Bummeltempo erledigt. Ich winke auf der Landstraße auflaufende Autos frühzeitig vorbei, um sie nicht unnötig zu verwirren. Normalerweise funktioniert das hier genau umgekehrt. Ich genieße die Spazierfahrt, nehme die Eindrücke in mich auf und beschließe das zukünftig öfter zu machen.
Am Campingplatz zurück, ziehe ich mir die italienische Sommerkombi über (Badehose, Hemd und Flip-Flops) und fahre den Berg runter zu einem Strand an unserem Stausee und genieße ein Stündchen mit etwas Musik den Nachmittag. Am Horizont hört man Donner und der Wind frischt auf. Ich packe meine Sachen und fahre zurück. Der Regen erreicht den Campingplatz nicht, aber nicht alle werden trocken am Campingplatz eintreffen.