Kawasaki Versys 650
Verfasst: Sonntag 29. März 2020, 12:17
Ich will euch mal mein Hauptreisefahrzeug vorstellen: Die Versys 650 von Kawasaki. Einerseits ist das Fahrzeug recht unbekannt, andererseits ist mir langweilig. Zunächst eine Produktbeschreibung, danach meine Erfahrungen damit. Selbstverständlich bin ich davon überzeugt, dass es das beste Fahrzeug auf der Welt ist, aber ich versuche trotzdem sachlich zu bleiben
Das Modell Versys 650 ist seit 2006 auf dem Markt. Es ist die Tourenversion der nackten ER6n (die inzwischen Z650 heißt). Es gibt auch noch eine Sportlerversion ER6f (die inzwischen Ninja 650 heißt) und eine Flachcruiserversion Vulcan S. Der Motor ist bei allen ein Zweizylinder-Parallel-Gegenläufer mit 180° Zündabstand und 649 ccm. Die Leistung liegt bei der Versys bei 64 PS. Sie ist im Unterschied zur 72 PS Naked auf besseren Durchzug im mittleren Drehzahlbereich optimiert (Nockenwellen, Krümmer, Mapping). Auf dem Markt tat sie sich anfangs schwer, weil die meisten Leute nicht verstehen, dass sie für weniger Leistung mehr Geld bezahlen sollen. Von Zugkraft haben die meisten Leute schließlich noch nie was gehört, vom höherwertigen Fahrwerk auch nicht: Upside-Down-Gabel, in Zugstufe und Vorspannung verstellbar, asymmetrische Bananenschwinge, Federbein in Zugstufe und Vorspannung verstellbar. Das Einsteigerpaket von Wilbers wäre ein Downgrade. Die Optik half aber auch nicht.
Das Facelift 2010 brachte nicht viel. Straßenpreis war weiterhin 30% unter Listenpreis, meist sogar mit Koffersatz.
Erst 2015 gab es wieder nennenswerte technische Änderungen und eine gelungene optische Überarbeitung.
Die Koffer werden jetzt direkt ins Heck eingehängt. Kofferträger entfallen also. Die Fußrastenposition wurde touristischer, der Tank etwas größer, und der Motor anders abgestimmt, so dass es nun 69 PS sind. Leider stieg auch das Gewicht um 7 kg auf 216 kg an, so dass man keinen Unterschied merkt. Das Fahrwerk wurde leider gleichzeitig ein halbe Klasse simpler. Jetzt war die Maschine tatsächlich gefragt und im ersten Jahr sogar ausverkauft - meist zum Listenpreis von weiterhin knapp über 8000 Euro.
2017 gab es eine kleine Modellpflege wegen Euro 4: Jetzt gibt es endlich eine vernünftige Ganganzeige serienmäßig im Tacho.
Ansonsten besteht die Modellpflege bei Kawasaki bei der Versys leider fast nur aus jährlich neuen Farben. Dafür sind aber auch die ersten Baujahre schon ohne Kinderkrankheiten.
Mit der neuen Rechtslage 2020 ist die Bindung an Serienbereifung in den Papieren der Modelle 2006-2016 wirkungslos geworden. Man braucht also endlich keine Reifenfreigaben mehr.
Und was mache ich draus?
Anno 2011 habe ich mir diese 2008er Versys von privat gekauft. Sie hatte 3000 km gelaufen und kostet 4900 Euro. Ich wollte eine bequemere Sitzposition für meine 1,90 Meter, etwas Windschutz, und außerdem endlich mal so moderne Errungenschaften wie ABS und Einspritzung. In Frage kamen auch noch V-Strom 650 und TDM 900, aber die Versys war am handlichsten, gute 1000 Euro günstiger, und hatte mit 120/70-17 und 160/60-17 die gängigeren Reifendimensionen. Es gibt breite Auswahl von Sport- über Supermoto- und Tourenreifen bis hin zu Reisenenduroreifen und vereinzelt gibt es auch mehr weniger grobe Stollen. Ich mag auch sehr gerne den Auspuff unter dem Motor, wo er weder dem Gepäck noch der Straße im Weg ist, und die Passagiere kann er auch nicht anschmoren.
Natürlich wurde diverses Zubehör drangeferkelt:
Die Versys hat mich zu meinen ersten Alpentouren überhaupt getragen. Oft nach Frankreich, 1x nach Norwegen, und sehr gerne auch sportliche Abendrunden rund um Aachen. Immer wieder beeindruckend war dabei der Spagat zwischen Wohnmobil...
... und fastschon-Supermoto, auch durch Abbau diverser Teile und Einbau eines Quickshifters...
64 PS bei 209 kg sind zwar nicht die Welt, aber das Motorrad ist ab Werk schön kurz übersetzt. Ein Freund und sehr guter Motorradfahrer (andere würden sagen: völlig Irrer) aus dem Sauerland auf einer F800GS (85 PS) fährt sehr gerne mit mir. Wir haben mal getauscht und verglichen: Er hat im 2. Gang die gleichen Drehzahlen wie ich im 4. Gang. Ich will jetzt keine Physikvorlesung halten, aber fahren wir beide ohne Einsatz des 1. Gangs, habe ich immer mehr Zugkraft am Hinterrad und kann durch das gleiche bzw. geringere Gewicht auch besser beschleunigen, wenn ich fleißig schalte. Entsprechend sahen meine linken Stiefel dann auch aus. Ich habe Spaß dran, mal 2-3 Gänge nacheinander voll auszufahren. Und mit der Versys ist man am Ende des 2. Gangs erst bei real rund 100 km/h. Ideal zum spaßigen Pässefahren, also, das Ganze mit 380 km nutzbarer Reichweite, Komfort und reichlich Platz für Gepäck.
Nach einer langen Phase "alles schwarz!" habe ich schließlich Spaß an Farbe entdeckt. Als Hobby kaufe ich seitdem immer mal wieder mehr oder weniger stark beschädigten Seitenteile, repariere sie mit Lötkolben und Kabelbinder, und lackiere sie dann selbst oder lasse sie lackieren, von Freunden oder Profis. So sah die Sammlung aus, zusätzlich habe ich einen grauen Satz.
Ab etwa 2017 habe ich mich aber auf blau eingeschossen:
Und dazu passend kam ein zweiter Satz Räder, den ich mit Plastidip (mehr schlecht als recht) gold lackiert habe:
Ab 2016 habe ich auch den Reiz von Schotterstrecken in den Alpen entdeckt und war mit der Versys am Col du Parpaillon und am Col de Sommeiller. Das geht natürlich nicht mit der Rasanz einer Enduro mit 21" oder 19" Vorderrad. Auch auf Steine muss man achten , weil man sonst mit dem Krümmer oder Auspuff aufsetzt. Für eine Alpentour mit Fokus auf Schotter oder eine Island-Reise habe ich inzwischen einen soliden Unterfahrschutz beschafft, den ich wegen des Gewichts aber ungern sinnlos spazieren fahren möchte.
Bei all den Farbeskapaden blieben die Originalteile schön verpackt im Keller. Ende 2018 bei km 110.000 kündigte sich dann aber ein Getriebeschaden an: Der vierte Gang mochte nicht mehr unter Last drin bleiben. Der jahrelange übermäßige und wenig feinfühlige Gebrauch hat sich dann doch gerächt. Da auch die Gabel einseitig leicht undicht wurde und weil die Bremsscheiben dem Ende zugingen, habe ich mich zum Verkauf entschieden. Vorher kam ein Nachfolger in die Garage, das gleiche Modell nochmal, mit 23000 km für 2300 Euro. Dank der gut erhaltenen Originalteile sah die Alte nach 130.000 km dann wieder aus wie neu.
Ich konnte tatsächlich einen Verkaufspreis von 1500 Euro erzielen, ohne irgendwelche Mängel zu verschweigen. Ich habe gerade mal 800 Euro aufgezahlt. Manchmal wache ich nachts auf und frage mich, wie das so gut laufen konnte: 100.000 km Laufleistung für 800 Euro, plus Mängel im Wert von 600 Euro (Teilekosten). Die neue war grau...
... sieht inzwischen aber genau wie die alte aus, abgesehen von silbernen statt schwarzen Felgen. Und 50.000 km hat sie auch schon. Ich mag das Konzept und komme damit überall hin
Warum sollte man Versys 650 fahren?
Es ist saugünstig, einfach zu fahren und macht Spaß! Kaufpreise stehen im Text, Wartung besteht aus Ölwechsel alle 12000 km und Ventilspiel alle 42000 km. In meiner bevorzugten freien Werkstatt in Düsseldorf kostet eine ganz große Inspektion mit Ölwechsel, Lufi und Ventilspiel um die 500 Euro. Das Handling ist spielerisch leicht, und durch die kurze Übersetzung kann man sie kaum abwürgen. Das hilft an der Ampel wie auf dem Schotterpass. Gegenüber den meisten Mitbewerbern im Segment ist das Fahrwerk eine Klasse besser in Dämpfung und Einstellbarkeit (gilt bis 2014).
Schwachstellen?
Ist man groß genug für sicheren Stand, kriegt man seine Beine nicht so richtig unter und hat Windgeräusche am Helm. Dagegen helfen großen Menschen tiefere Fußrasten (ich mag die USA-Motowerk-Lösung) und ein paar Distanzringe zwischen Windschild und -träger, oder ein anderes Windschild. Ich fahre ein Givi Airflow Windschild in den drei kälteren Jahreszeiten und eine flacher gestellte Originalscheibe im Hochsommer. Kleine Menschen fühlen sich wohler mit flacher Sitzbank oder Tieferlegung, oder beidem.
Image. Dieses Motorrad (und 650er allgemein) haben das Image eines Frauen- und Anfängermotorrades. Ausnahmen gibt's nur für minimalistische Enduros. Die sind zwar auch nicht schneller, aber dafür kommt man noch weniger mit den Füßen auf den Boden. Wer also was zum Angeben braucht, suche wonders.
Wer ernsthaft Enduro fahren will, also über Baustämme klettern, der braucht mehr Bodenfreiheit und vielleicht auch weniger Gewicht.
Wer regelmäßig mit Sozia fährt und es eilig hat, oder wer mit Sozia an zügigen Fahrern dran bleiben will, der wird sich schwer tun und vermutlich den Motor mehr hochorgeln müssen, als ihm lieb ist. Dafür gibt es die Versys 1000
Anno 2019 gibt es natürlich modernere Fahrzeuge. Es gibt hier keine Traktionskontrolle, kein Bluetooth, keine Mappings, und keinen Flatscreen im Cockpit. Um das Fahrwerk zu verstellen, muss man anhalten und mit Werkzeug hantieren. Motorrad fahren geht aber!
Haupt-Mitbewerber: Die alte Tracer 700 ist eine halbe Nummer kleiner und dadurch auch leichter. Vom Fahrwerk her ist sie noch simpler. Obwohl der Motor etwas stärker und auch sonst besser ist, kommt sie wegen einer längeren Übersetzung auch nicht schneller vom Fleck. Die Bremse ist besser. Die anderen Modelle, die mir so einfallen, sind entweder mehr Enduro (V-Strom, diverse kleine BMW GS), viel größer (Tracer 900, V-Strom) oder viel teurer (Tracer 900, diverse BMW GS 650-850). KTM bietet unverständlicherhweise keine 690 SM-T an.
Technische Schwachstellen: Der Deckel vom Kühlerwasserbehälter muss früher oder später getauscht werden, sonst klingt das Motorrad oben am Pass wie eine Kaffeemaschine und ferkelt etwas Wasser aus dem Überlauf. Die Vorderradbremse hat keinen präzisen Druckpunkt. Dass der Stecker des Lima-Reglers im Spritzbereichs der Hinterrads liegt ist echt nicht nett. Einen Hauptständer gibt es nur im Zubehör. Das Ansprechverhalten unter 3000/min lässt bei manchen Exemplaren zu wünschen übrig, was sich aber leicht beheben lässt.
Ich bin in 150.000 km insgesamt 1x liegen geblieben. Die Benzinpumpe war defekt. Ich musste den Kühler nach 110.000 km wegen Undichtigkeit tauschen (ich bin mit Spritzschutzverlängerung gefahren, aber ohne Schutzgitter). Auspuff und Krümmer rasseln gelegentlich, wenn sich irgendwelche Schweißnähte lösen. Die Teile kosten jeweils 20-50 Euro auf dem Gebrauchtmarkt, so dass eine Reparatur nur lohnt, wenn man beruflich Metall macht.
Fazit: Es ist natürlich nicht das beste Fahrzeug auf der Welt, aber an einem für mich als Vielfahrer sehr angenehmen Preis-Leistungs-Punkt, und mit einem sehr breiten Einsatzspektrum
Das Modell Versys 650 ist seit 2006 auf dem Markt. Es ist die Tourenversion der nackten ER6n (die inzwischen Z650 heißt). Es gibt auch noch eine Sportlerversion ER6f (die inzwischen Ninja 650 heißt) und eine Flachcruiserversion Vulcan S. Der Motor ist bei allen ein Zweizylinder-Parallel-Gegenläufer mit 180° Zündabstand und 649 ccm. Die Leistung liegt bei der Versys bei 64 PS. Sie ist im Unterschied zur 72 PS Naked auf besseren Durchzug im mittleren Drehzahlbereich optimiert (Nockenwellen, Krümmer, Mapping). Auf dem Markt tat sie sich anfangs schwer, weil die meisten Leute nicht verstehen, dass sie für weniger Leistung mehr Geld bezahlen sollen. Von Zugkraft haben die meisten Leute schließlich noch nie was gehört, vom höherwertigen Fahrwerk auch nicht: Upside-Down-Gabel, in Zugstufe und Vorspannung verstellbar, asymmetrische Bananenschwinge, Federbein in Zugstufe und Vorspannung verstellbar. Das Einsteigerpaket von Wilbers wäre ein Downgrade. Die Optik half aber auch nicht.
Das Facelift 2010 brachte nicht viel. Straßenpreis war weiterhin 30% unter Listenpreis, meist sogar mit Koffersatz.
Erst 2015 gab es wieder nennenswerte technische Änderungen und eine gelungene optische Überarbeitung.
Die Koffer werden jetzt direkt ins Heck eingehängt. Kofferträger entfallen also. Die Fußrastenposition wurde touristischer, der Tank etwas größer, und der Motor anders abgestimmt, so dass es nun 69 PS sind. Leider stieg auch das Gewicht um 7 kg auf 216 kg an, so dass man keinen Unterschied merkt. Das Fahrwerk wurde leider gleichzeitig ein halbe Klasse simpler. Jetzt war die Maschine tatsächlich gefragt und im ersten Jahr sogar ausverkauft - meist zum Listenpreis von weiterhin knapp über 8000 Euro.
2017 gab es eine kleine Modellpflege wegen Euro 4: Jetzt gibt es endlich eine vernünftige Ganganzeige serienmäßig im Tacho.
Ansonsten besteht die Modellpflege bei Kawasaki bei der Versys leider fast nur aus jährlich neuen Farben. Dafür sind aber auch die ersten Baujahre schon ohne Kinderkrankheiten.
Mit der neuen Rechtslage 2020 ist die Bindung an Serienbereifung in den Papieren der Modelle 2006-2016 wirkungslos geworden. Man braucht also endlich keine Reifenfreigaben mehr.
Und was mache ich draus?
Anno 2011 habe ich mir diese 2008er Versys von privat gekauft. Sie hatte 3000 km gelaufen und kostet 4900 Euro. Ich wollte eine bequemere Sitzposition für meine 1,90 Meter, etwas Windschutz, und außerdem endlich mal so moderne Errungenschaften wie ABS und Einspritzung. In Frage kamen auch noch V-Strom 650 und TDM 900, aber die Versys war am handlichsten, gute 1000 Euro günstiger, und hatte mit 120/70-17 und 160/60-17 die gängigeren Reifendimensionen. Es gibt breite Auswahl von Sport- über Supermoto- und Tourenreifen bis hin zu Reisenenduroreifen und vereinzelt gibt es auch mehr weniger grobe Stollen. Ich mag auch sehr gerne den Auspuff unter dem Motor, wo er weder dem Gepäck noch der Straße im Weg ist, und die Passagiere kann er auch nicht anschmoren.
Natürlich wurde diverses Zubehör drangeferkelt:
Die Versys hat mich zu meinen ersten Alpentouren überhaupt getragen. Oft nach Frankreich, 1x nach Norwegen, und sehr gerne auch sportliche Abendrunden rund um Aachen. Immer wieder beeindruckend war dabei der Spagat zwischen Wohnmobil...
... und fastschon-Supermoto, auch durch Abbau diverser Teile und Einbau eines Quickshifters...
64 PS bei 209 kg sind zwar nicht die Welt, aber das Motorrad ist ab Werk schön kurz übersetzt. Ein Freund und sehr guter Motorradfahrer (andere würden sagen: völlig Irrer) aus dem Sauerland auf einer F800GS (85 PS) fährt sehr gerne mit mir. Wir haben mal getauscht und verglichen: Er hat im 2. Gang die gleichen Drehzahlen wie ich im 4. Gang. Ich will jetzt keine Physikvorlesung halten, aber fahren wir beide ohne Einsatz des 1. Gangs, habe ich immer mehr Zugkraft am Hinterrad und kann durch das gleiche bzw. geringere Gewicht auch besser beschleunigen, wenn ich fleißig schalte. Entsprechend sahen meine linken Stiefel dann auch aus. Ich habe Spaß dran, mal 2-3 Gänge nacheinander voll auszufahren. Und mit der Versys ist man am Ende des 2. Gangs erst bei real rund 100 km/h. Ideal zum spaßigen Pässefahren, also, das Ganze mit 380 km nutzbarer Reichweite, Komfort und reichlich Platz für Gepäck.
Nach einer langen Phase "alles schwarz!" habe ich schließlich Spaß an Farbe entdeckt. Als Hobby kaufe ich seitdem immer mal wieder mehr oder weniger stark beschädigten Seitenteile, repariere sie mit Lötkolben und Kabelbinder, und lackiere sie dann selbst oder lasse sie lackieren, von Freunden oder Profis. So sah die Sammlung aus, zusätzlich habe ich einen grauen Satz.
Ab etwa 2017 habe ich mich aber auf blau eingeschossen:
Und dazu passend kam ein zweiter Satz Räder, den ich mit Plastidip (mehr schlecht als recht) gold lackiert habe:
Ab 2016 habe ich auch den Reiz von Schotterstrecken in den Alpen entdeckt und war mit der Versys am Col du Parpaillon und am Col de Sommeiller. Das geht natürlich nicht mit der Rasanz einer Enduro mit 21" oder 19" Vorderrad. Auch auf Steine muss man achten , weil man sonst mit dem Krümmer oder Auspuff aufsetzt. Für eine Alpentour mit Fokus auf Schotter oder eine Island-Reise habe ich inzwischen einen soliden Unterfahrschutz beschafft, den ich wegen des Gewichts aber ungern sinnlos spazieren fahren möchte.
Bei all den Farbeskapaden blieben die Originalteile schön verpackt im Keller. Ende 2018 bei km 110.000 kündigte sich dann aber ein Getriebeschaden an: Der vierte Gang mochte nicht mehr unter Last drin bleiben. Der jahrelange übermäßige und wenig feinfühlige Gebrauch hat sich dann doch gerächt. Da auch die Gabel einseitig leicht undicht wurde und weil die Bremsscheiben dem Ende zugingen, habe ich mich zum Verkauf entschieden. Vorher kam ein Nachfolger in die Garage, das gleiche Modell nochmal, mit 23000 km für 2300 Euro. Dank der gut erhaltenen Originalteile sah die Alte nach 130.000 km dann wieder aus wie neu.
Ich konnte tatsächlich einen Verkaufspreis von 1500 Euro erzielen, ohne irgendwelche Mängel zu verschweigen. Ich habe gerade mal 800 Euro aufgezahlt. Manchmal wache ich nachts auf und frage mich, wie das so gut laufen konnte: 100.000 km Laufleistung für 800 Euro, plus Mängel im Wert von 600 Euro (Teilekosten). Die neue war grau...
... sieht inzwischen aber genau wie die alte aus, abgesehen von silbernen statt schwarzen Felgen. Und 50.000 km hat sie auch schon. Ich mag das Konzept und komme damit überall hin
Warum sollte man Versys 650 fahren?
Es ist saugünstig, einfach zu fahren und macht Spaß! Kaufpreise stehen im Text, Wartung besteht aus Ölwechsel alle 12000 km und Ventilspiel alle 42000 km. In meiner bevorzugten freien Werkstatt in Düsseldorf kostet eine ganz große Inspektion mit Ölwechsel, Lufi und Ventilspiel um die 500 Euro. Das Handling ist spielerisch leicht, und durch die kurze Übersetzung kann man sie kaum abwürgen. Das hilft an der Ampel wie auf dem Schotterpass. Gegenüber den meisten Mitbewerbern im Segment ist das Fahrwerk eine Klasse besser in Dämpfung und Einstellbarkeit (gilt bis 2014).
Schwachstellen?
Ist man groß genug für sicheren Stand, kriegt man seine Beine nicht so richtig unter und hat Windgeräusche am Helm. Dagegen helfen großen Menschen tiefere Fußrasten (ich mag die USA-Motowerk-Lösung) und ein paar Distanzringe zwischen Windschild und -träger, oder ein anderes Windschild. Ich fahre ein Givi Airflow Windschild in den drei kälteren Jahreszeiten und eine flacher gestellte Originalscheibe im Hochsommer. Kleine Menschen fühlen sich wohler mit flacher Sitzbank oder Tieferlegung, oder beidem.
Image. Dieses Motorrad (und 650er allgemein) haben das Image eines Frauen- und Anfängermotorrades. Ausnahmen gibt's nur für minimalistische Enduros. Die sind zwar auch nicht schneller, aber dafür kommt man noch weniger mit den Füßen auf den Boden. Wer also was zum Angeben braucht, suche wonders.
Wer ernsthaft Enduro fahren will, also über Baustämme klettern, der braucht mehr Bodenfreiheit und vielleicht auch weniger Gewicht.
Wer regelmäßig mit Sozia fährt und es eilig hat, oder wer mit Sozia an zügigen Fahrern dran bleiben will, der wird sich schwer tun und vermutlich den Motor mehr hochorgeln müssen, als ihm lieb ist. Dafür gibt es die Versys 1000
Anno 2019 gibt es natürlich modernere Fahrzeuge. Es gibt hier keine Traktionskontrolle, kein Bluetooth, keine Mappings, und keinen Flatscreen im Cockpit. Um das Fahrwerk zu verstellen, muss man anhalten und mit Werkzeug hantieren. Motorrad fahren geht aber!
Haupt-Mitbewerber: Die alte Tracer 700 ist eine halbe Nummer kleiner und dadurch auch leichter. Vom Fahrwerk her ist sie noch simpler. Obwohl der Motor etwas stärker und auch sonst besser ist, kommt sie wegen einer längeren Übersetzung auch nicht schneller vom Fleck. Die Bremse ist besser. Die anderen Modelle, die mir so einfallen, sind entweder mehr Enduro (V-Strom, diverse kleine BMW GS), viel größer (Tracer 900, V-Strom) oder viel teurer (Tracer 900, diverse BMW GS 650-850). KTM bietet unverständlicherhweise keine 690 SM-T an.
Technische Schwachstellen: Der Deckel vom Kühlerwasserbehälter muss früher oder später getauscht werden, sonst klingt das Motorrad oben am Pass wie eine Kaffeemaschine und ferkelt etwas Wasser aus dem Überlauf. Die Vorderradbremse hat keinen präzisen Druckpunkt. Dass der Stecker des Lima-Reglers im Spritzbereichs der Hinterrads liegt ist echt nicht nett. Einen Hauptständer gibt es nur im Zubehör. Das Ansprechverhalten unter 3000/min lässt bei manchen Exemplaren zu wünschen übrig, was sich aber leicht beheben lässt.
Ich bin in 150.000 km insgesamt 1x liegen geblieben. Die Benzinpumpe war defekt. Ich musste den Kühler nach 110.000 km wegen Undichtigkeit tauschen (ich bin mit Spritzschutzverlängerung gefahren, aber ohne Schutzgitter). Auspuff und Krümmer rasseln gelegentlich, wenn sich irgendwelche Schweißnähte lösen. Die Teile kosten jeweils 20-50 Euro auf dem Gebrauchtmarkt, so dass eine Reparatur nur lohnt, wenn man beruflich Metall macht.
Fazit: Es ist natürlich nicht das beste Fahrzeug auf der Welt, aber an einem für mich als Vielfahrer sehr angenehmen Preis-Leistungs-Punkt, und mit einem sehr breiten Einsatzspektrum