Man(n) muss ja nicht immer volle Kanne arbeiten. Deswegen verschlang ich jetzt diese Berichte mit einem für meine Arbeitskollegen leicht verwirrenden Grinsen im Gesicht.
Fetten Respekt für Tanja. Da waren doch bisher _einige_ alpine Brocken dabei, auf dem der eine oder andere Mega-Reiser bei schlechtem Wetter das Sausen in den Muffen bekommt. Der Gaviapass ist z.B. so ein Kandidat. Top, was Du da erfahren hast!
was mich interessieren würde: was waren denn eure Grenzerfahrungen beim Motorradfahren ?!
Nun, eine der ersten Grenzerfahrungen machte ich - ausgerechnet - auf dem Gavia. Nachdem ich meinen freien Tag (damals als Koch noch unter der Woche) damit startete, zwei deutschen Motorradfahrern den Gampenpass und das Val di Sole lang hinterher zu fahren (den Weg an den beiden vorbei schaffte ich damals noch nicht, war erst mein 2. Jahr auf zwei Rädern), fand ich mich - nachdem die beiden unbekannten Tourguides ohne Absprache einfach nach Madonna di Campiglio abbogen - allein auf weiter Flur wieder. Damals - 20 Jahre wird's nun locker her sein - gab's noch kein Navi, Handies hatten noch Kabel und waren wandanhängig, und man musste sich mit Landkarten aus Papier behelfen, falls man verloren gefahren war.. ..und das eigene Italienisch eine Beleidigung für die Zuhörer war.
So erwarb ich also am Tonalepass, nachmittags im Spätherbst, eine Strassenkarte, fand nach einiger Zeit auch den Pass auf dem Papier und erblickte recht freudig in der Nähe meines Standpunktes den Namen "Bormio". DAS kannte ich geografisch ziemlich gut einordnen, startete voller Tatendrang den Big-Block (Yamaha FZR 1000 Exup) und rollte in Richtung Ponte di Legno.
Auch dort fand ich einen Wegweiser nach Bormio, quasi nach Hause, und trieb mein Motorrad munter in Richtung Gavia. Schön asphaltierte Strasse, schöne Steinmauern daneben, frische weisse Striche, die erste Kehre, die zweite Kehre, dann das Schild mit der max. 30 km/h-Angabe, dann die urplötzliche Verengung auf einspurig, und schliesslich nach der nächsten Kehre...
Schotter, Lehm und Wasser..
Der Gavia war damals tatsächlich nur in den Kehren asphaltiert - dazwischen herrschte noch pur die Natur. Es dämmerte bereits, und es war aber ein schöner, warmer Dienstag gewesen. Der in den Tagen zuvor gefallene Schnee lief flüssig die Strasse entlang ins Tal, mit meinen schönen, neuen Sportstiefeln (GoreTex gab's damals noch nicht, jedenfalls nicht in meiner Preisklasse) streifte ich über die "Fahrbahn", um im Falle eines Falles nicht zu fallen, und die damals rennstreckentauglichen Michelin mit ohne viel Profil schlitterten ferngesteuert den ungesicherten Berghang entlang.
Auf der Passhöhe war der Schnee noch nicht ganz geschmolzen, die Fahrbahn war deren 4 schmale Asphaltstreifen, heftig mit Streugut gesalzen, dazwischen Schnee und Eis. Im 2. Jahr auf dem Motorrad, im mittlerweile Dunkeln, noch knapp 100 Kehren von zuhause entfernt, nasse Füsse, kalte Hände, schweres Motorrad, unbekannte Strasse, und die Soldaten der damals noch besetzten Kaserne dachten, da käme ein Mädel vorbei - wegen langer Haare und Zopf und 60 kg Kampfgewicht.
Ich fand meinen Weg irgendwie ins Valfurva runter. Freute mich über jede Kehre, weil nach jeder Kehre die Temperatur gefühlt um 1 Grad zunahm. Freute mich über Bormio und die Tankstelle mit Tankomat, der meine letzten Lire schluckte und das gelbe Licht im Cockpit zum Erlöschen brachte.
Ich hatte damals noch keinen Plan, wie lange der Weg bis zum Stilfserjoch noch sein würde - war nämlich meine Premiere auf der "italienischen" Seite. Und ich war dann fast den Tränen nah, als auf der endlich bekannten Passhöhe der Balken mit dem Schild "wegen Lawinengefahr gesperrt" quer über die Strasse hing, und nicht senkrecht in den Himmel ragte, wie vorher immer...
Ich musste also mittlerweile nachts nochmals auf 2.700 m Meereshöhe wenden und den Weg über den Umbrail-Pass nehmen. Dazu war eine kleine Offroad-Einlage um den Schweizer Grenzbalken herum notwendig (man bedenke, mit einem 250-kg-Vollplastik-Japan-Eisenschwein), der Umbrailpass war damals auch noch nicht durchgängig asphaltiert ..
Um 22.00 Uhr war ich endlich wieder zuhause. Gesteinsproben von diversen Pässen in der Verkleidung, Quellwasser aller möglichen Sorten in den Schuhen, die teuren Dainese-Handschuhe dank schlechter Lederfärbung auf den Händen verewigt, und die schöne rot-perlweisse FZR neu lackiert in Rindvieh-kackbraun und salzweiss.
Alles, was in 20 Jahren danach noch kam, war alles nicht mehr sooo schlimm
Beste Griass aus dem Land der Berge und Kehren,
JvS