Klar! Viele Male, in den Urlaub mit dem Alltagsauto und mindestens genauso oft mit meinem Klassiker in und über die Alpen. Aber dieses Mal…
Zunächst aber der Reihe nach…
Herbst 2013, auf einer Familienfeier in bierseeliger (oder bierbeseelter) Stimmung hatte ich meinem Schwager in die Hand versprochen mit ihm eine Alpenüberquerung zu machen und zwar mit dem Mountainbike. Mein altes Hardtail hatte ich schon vor einiger Zeit reaktiviert, neu ausgestattet mit furchterregenden Stollenreifen, versuchte ich den Trainigsrückstand der letzten 20 Jahre aufzuholen.
Im Frühjahr 2014 kaufte ich mir ein neues Touren/Allmountain-Fully, konnte ich die horrende Ausgabe für das bisschen Alu doch mit der anstehenden Alpenüberquerung glaubhaft belegen. Mein Schwager hatte schon zwei Alpenüberquerungen hinter sich, eine schwere und eine etwas leichtere, nun sollte es etwas dazwischen sein, deshalb ergab die Planung eine Tour mit rund 400km Länge bei der rund 7000 Höhenmeter zu überwinden waren.
Im Frühling 2014 nahm mich ein „erfahrener“ Arbeitskollege auf ein paar kleine Touren mit in die Berge, denn hier im Fünf Seen Land sind die zusammenhängenden Anstiege doch recht überschaubar. Meinen ersten gefühlten Herzklappenabriss erlebte ich im Lainbachtal unterhalb der Benediktenwand.
Durch Internetrecherchen, meinen Schwager und meinen Kollegen sammelte ich alle Informationen zusammen die, die notwendige und mindest erforderliche Ausrüstung betrafen, was zu einer weiteren Belastung des Kontos führten.
Mein Kollege schärfte mir ein, bloß nicht über 5kg Gepäck zu kommen. Nicht ganz einfach bei einer 6-tägigen Reise wenngleich auch kein Schlafsack oder Zelt nötig war.
Das Gewichtslimit führte unter anderem zu einem Kulturbeutel von lächerlicher Größe der es nötig machte, den Stiel meiner Zahnbürste abzusägen, Duschgel auf wenige „Hotelportionen“ zu reduzieren, auf Rasierzeug völlig zu verzichten und den mitgeführten Deostift den (eigentlich) verzichtbaren Luxusgütern zuzuordnen. Hingegen die A….-Creme gehört ganz sicher nicht zu den Luxusgütern.

Trotz weiterer mitgeführter Luxusgüter, wie einer leichten Sommerjeans, Boxershort und T-Shirt zum Schlafen, kam mein fertig gepackter Rucksack nur auf knapp 6kg, natürlich mit leerem Trinksystem. Der schwerste Rucksack unserer Gruppe wog übrigens 10kg.
1. Tag, Samstag
An einem verregneten Samstagmorgen radelten wir über matschige Forstwege zum nächsten Regionalbahnhof um dort einen Zug nach Füssen zu nehmen. Gegen 10:00 kamen wir in Füssen an, das Wetter hatte sich während der Bahnfahrt nicht wesentlich geändert. Das hieß für die nächsten Kilometer Regenklamotten an, aus, hin, her, wegen mir hätte unsere Fahrt gerne mit freundlicherem Wetter beginnen können.

Von Füssen folgten wir der Radroute „Via Claudia“, kurz hinter Reutte führt die „Via Claudia“ weg von der Fernpasstrasse, auf einem Forstweg hinauf zur Klause der „Burgenwelt Ehrenberg“. Dies war der erste nennenswerte Anstieg unserer Fahrt.
Weiter ging es über Heiterwang, Lermoos und Ehrwald, mal neben, mal abseites und schlußendlich oberhalb der Bundesstraße hinauf zum alten Fernpass Übergang.

Auf der folgenden Abfahrt Richtung Nassereith zeigt sich deutlich der römische bzw. mittelalterliche Ursprung der alten Fernpasstrasße. Man passiert gepflasterte Bereiche in denen sich die Karrenräder tief in den Stein eingegraben haben und ausgesetzte Saumpfade, welche heute allerdings mit Holzstegen auf familientaugliche Breite erweitert wurden.
Von Nassereith fuhren wir weiter nach Imst, hier beendeten wir den ersten Tag, nach rund 75km und 1100 Höhenmeter.
2. Tag, Sonntag
Das Wetter hatte sich inzwischen etwas gebessert, der erste Tag hatte weder technische noch gesundheitliche Schäden hinterlassen.
Heute stand unter anderem ein Bus-Transfer an, nicht um den Müßiggang zu fördern, sondern um die Waden für ein besonderes Schmankerl zu schonen. Unser heutiges Tagesziel lag „Irgendwo“ hinter dem Reschenpass in Südtirol.
Zunächst fuhren wir weiter auf der „Via Claudia“ von Imst nach Landeck. Die Route ist hier eine gepflegte Fahrradstraße, die 17km und 250 Höhenmeter bis Landeck waren deshalb auch schnell erledigt.
Am Bahnhof von Landeck warteten wir auf das planmäßige Rad-Shuttle nach Nauders.
Normalerweise führt die „Via Claudia“ neben der Bundesstraße Richtung Reschenpass bis nach Hochfinstermüz. Dort umradelt man in einer Schleife über die Schweiz den Strassentunnel kurz vor Nauders um dann über die Norbertshöhe wieder an die Bundesstraße zum Reschenpass zu gelangen.
In Nauders angekommen orientierten wir uns in Richtung Talstation der Bergkastellbahn. Dort beginnt der Forstweg hinauf zum Plamort, auf 2100m gelegen, also rund 500m oberhalb vom Reschenpass und -see.
Der Plamort ist eine Hochebene über die, die Grenze zwischen Österreich und Italien verläuft.
Hier der Grenz-„Übergang“, bautechnisch bedingt durch eine Pferdekoppel auf österreichischer Seite.

Eine weitere Kuriosität auf dieser Hochebene ist eine italienische Panzersperre aus den 1930ern, errichtet gegen Österreich, und bis in die 1960er in Betrieb. Panzersperranlagen auf über 2000m, mitten in den Bergen, Militärstrategen haben schon einen äußerst seltsamen Blick auf die Realitäten.

Die eigentliche Sensation ist aber der atemberaubende Ausblick über der Reschen- und Haidersee.

Im Berghang links erkennt man die Abfahrt in Richtung Reschensee, garniert mit einigen Muren, die uns kurzeitig zum Schieben bzw. Tragen der Räder zwangen.
Ab dem Reschensee nahmen wir wieder die erstklassig ausgebaute „Via Claudia“ und rollten entlang der Etsch hinunter bis nach Mals wo wir uns in einer kleinen Pension einmieteten und uns das Finale der Fußballweltmeisterschaft anschauten.
An diesem Tag hatten wir 49km und 1300 Höhenmeter in Eigenleistung erbracht, incl. dem Bus-Transfer waren es 91km und 1900 Höhenmeter.
3. Tag, Montag
Diesen Vormittag stand „Autobahn“ auf dem Programm, das Wetter hatte sich inzwischen endgültig zum Besseren gewendet, dieser Tag sollte uns über Meran und das Gampenjoch ins Val di Non bringen. Sollte…
Die 60km bis nach Meran nahmen wir in gut 2 Stunden unter die Räder. Ein kontinuierliches Gefälle und eine „autobahnähnliche“ Strecke machten dies möglich. Wir übten uns ausgiebig im Windschattenfahren und so manchen Rennradfahrer packte der Ehrgeiz als er das Sirren unserer Stollenreifen hinter sich hörte.
Landschaftlich eine zwar hübsche Strecke, am Flußufer entlang durch Obstplantagen immer Richtung Osten, aber deshalb hat man nach 10km auch de facto alles gesehen.

In Höhe Lana verließen wir nun endgültig die „Via Claudia“ und verabschiedeten uns in Richtung Gampenjoch von den gängigen Radrouten.
Der Weg führte bei strahlendem Sonnenschein steil durch die Südtiroler Obstgärten hinauf nach Völlan.
Im Klartext: Von jeglichem Lufthauch abgeschirmt quälten wir uns bei 40° Celsius über einen asphaltierten Traktorweg, welcher stellenweise den Neigungsmesser auf 28% trieb, und selbst das Schieben der Räder war schwierig da einem die Griffe durch die schweißnassen Finger glitten.

Dafür boten sich uns aber auf dem Weg nach Völlan auch solche Anblicke.

Hinter Völlan erreichten wir dann völlig ausgelutscht die eigentliche MTB / Wander Strecke.
Hier im Wald waren wir zwar im Schatten, aber die Steigung hatte, zumindest gefühlt, nicht im geringsten nachgelassen. Der Weg war aber trotzdem sehr schön, völlig einsam im Wald, weit oberhalb des Etschtals ohne irgeneiner Menschenseele außer uns.

Wie auch immer der konstitutionelle Zustand im Moment auch sein mochte, zurück auf keinen Fall mehr! Also weiter bis wir wieder auf die „Zivilisation“ stoßen würden. Auf die Zivilisation stießen wir völlig unerwartet mitten im Wald in Form eines abgelegenen Gasthauses. Zunächst hatten wir aber nur Augen für den davorstehenden Brunnen, welchen wir erstmal leer tranken.
Angekommen waren wir am Völlaner Badl oder -Bad.

Der Nachmittag war schon Fortgeschritten, die Kraft erlahmte, also fragten wir nach Zimmern, die gab es und waren frei. Nach einem kräftigen Abendessen, unter anderem Speck- und Leberknödel, und ausreichend isotonischen Getränken (Bier!) fielen wir alle sang und klanglos in die Betten.
Für die Statistik: 74km 650 Höhenmeter Anstieg (verdammt Harte!) / bis Meran 800 Höhenmeter Abstieg.
4. Tag, Dienstag
Nach einer ruhigen und tief durchschlafenen Nacht registrierte ich nun den Ausblick aus meinem Zimmer so richtig.
Dies war der Weg den wir nach dem Frühstück nehmen würden und um den Berg (ich glaube die Laugenspitze) da hinten werden wir Richtung Gampenpass fahren.

Nach einem kräftigen Frühstück rollten wir hinaus in die frische Morgenluft und in den Wald hinein. Bis nach „Unsre liebe Frau im Walde“ bzw. zum Gampenpass waren es noch ca. 10km. Am Gampenpass gab es natürlich erstmal ein Pass-Bier.
Von hier verlief unsere Route über Fondo zum Lago di Santa Giustina. Mal auf der Bundesstraße, mal auf einer Nebenstrecke, mal auf einem Feldweg oder Forstweg.


Am Lago di Santa Giustina bogen wir Richtung Süd-Westen ab, um über Tuenno das Valle di Tovel zu erreichen an dessen Ende der Lago di Tovel oder auch Lago rosso liegt. Vor knapp 10 Jahren war ich schon einmal mit dem Klassiker hier, ein abgelegenes Tal mitten in der Adamello-Brenta Gruppe, weches an einem verschwiegenen See endet.
Was mir aber nicht mehr bewußt war, wie weit sich und auch wie steil sich dieses Tal bis zum See zieht.

Meine Mitfahrer haben mich während dieser Anfahrt sicherlich tausendfach verflucht, ich mich aber auch. Die Lage des Sees wie in einer Schlucht und die daraus resultierende Windstille schafft eine unbeschreibliche Atmosphäre.

Das Albergo „Lago Rosso“ atmet noch den Geist der 50er Jahre, jenseits jeglichen Komforts und abseits aller Mobilnetze. Aber genau das macht auch den Reiz aus, wenngleich auch nur für eine Nacht. Die 3 Fenster oben links am Haus waren unsere Zimmer…

Am Ende des Tages waren es 57km mit 2200m Anstieg, der zum Glück meist moderat ausfiel, ansonsten hätten mich meine Mitfahrer wohl mit Betonschuhen im Lago Rosso schwimmen geschickt.
5. Tag, Mittwoch
Theoretisch bestand nun die Möglichkeit innerhalb eines Tages Riva del Garda zu erreichen, wir entschieden uns aber dazu die verbliebenen ca. 90 km auf 2 Etappen aufzuteilen, einerseits weil wir Zeit hatten, denn unser privater Rücktransport würde am Freitag stattfinden, andererseits um unsere Fahrt mit 2 kürzeren Abschnitten ohne Hast zu beenden.
Nach dem Frühstück rollten wir zunächst aus dem Valle di Tovel bis Tuenno hinaus, was deutlich leichter ging als die Anfahrt…Newton und seine sch… Schwerkraft. Von Tuenno aus orientierten wir uns wieder Richtung Süden, nach Tunevo und Spormaggiore.

Letzdendlich steuerten wir Molveno bzw. den Lago di Molveno an.

Molveno ist ein zwar ein touristisch geprägter Ort der eigentlich nur aus Hotels und Restaurant besteht, aber dennoch einen sympathischen und gepflegten Eindruck hinterlässt. Das Klientel besteht hier, im Gegensatz zum nur etwa 45km entfernten Gardasee, hauptsächlich aus Italienern älteren Semesters.
Unsere Tagesleistung betrug hier 47km bei 1100 Höhenmeter Anstieg.
6. Tag, Donnerstag
Die ultimative Etappe stand an, nach einem ordentlichen Frühstück starteten wir gut gelaunt in Richtung Süden, den Gardasee konnte man schon regelrecht „riechen“. Von Molveno aus nahmen wir den MTB / Wanderweg am Westufer des Molvenosees. Eine wunderschöne Strecke.

Weiter ging es über San Lorenzo in Banale (was’n Name!) und Dasindo auf Nebenstrecken und stillgelegten Landstraßen in Richtung Passo del Ballino.
Und dann…
Und dann….
Und dann konnten wir ihn das erste Mal sehen. Den Lago di Garda, unterhalb von Riva.

Kurz darauf standen wir in voller Montur im Gardasee, glückseelig und verzückt grinsend. Die Badegäste um uns herum konnten wohl nicht ganz nachvollziehen was mit uns los war. Macht aber nichts, wir wussten warum…
Die Ankunft wurde natürlich Abends mit reichlich Pizza und noch reichlicher Rotwein gefeiert.
Die Tagesleistung war diesmal 48km und 800 Höhenmeter Anstieg.
Die Gesammtbilanz beläuft sich auf 350km (mit Bus 392km) mit einem Anstieg von 7300m (mit Bus 7900m).
Epilog
Bewusstseinserweiternde Erfahrung?
Quatsch mit Soße! Dafür gibt’s Drogen!
A….creme?
Niemals ohne!
Abnehmen durch Alpencross?
Blödsinn, man braucht Kalorien, sonst kippt man vom Fahrrad. Aber wir haben nur einmal Mittags richtig (Nudel) gegessen, über den Tag sonst nur Müsliriegel oder Panini. Ich habe dabei gerade mal 1kg verloren, entspricht bei mir 1,20% Körpergewicht. Mathematiker vor…
Nochmal einen Alpencross?
Nicht heute und nicht diesen Monat. Aber nächstes Jahr gerne.