Wir wollen noch für den Abend einkaufen und den örtlichen Campingplatz nutzen, haben aber das komische Gefühl, nicht willkommen zu sein. Überall hängen Plakate, die an die
"Troubles" erinnern und viele Wände sind vollgeschmiert mit Sprüchen wie "we don't forget". Eine innere Stimme empfiehlt uns weiterzufahren, was wir schlußendlich auch tun.
Auf den nächsten 40 Kilometern fahren wir etwa 15 Caravanparks an, die uns alle mit dem Spruch "No tents allowed" abweisen, bis wir in Cloughey einen Platz finden, der sich auch
noch mit der Urform des Campens arrangieren kann.
Heute müssen wir eine Entscheidung über den weiteren Verlauf der Reise treffen. Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, die Städte Belfast und Dublin zu besichtigen. Andererseits
hat uns der irische Motorradfahrer den wir am zweiten Abend kennenlernen durften so von seiner Heimat vorgeschwärmt, dass wir die Wicklow Mountains auch gerne besuchen wollen.
Kurzentschlossen streichen wir Belfast und machen uns auf den Weg in Richtung Dublin. Durch die gestrige Suche nach einer Bleibe für die Nacht sind wir ohnehin schon weit nach Süden
abgekommen und können mit der Fähre von Portaferry
nach Strangford den Weg drastisch verkürzen (5,30 Pfund für 10 Minuten Fährzeit).
Wir passieren mit Newcastle und Kilkeel Seebäder nach englischem Vorbild, die mit Casino und bunten Kirmesbuden Bleibende anlocken wollen. Wir aber sind Reisende und suchen schnell
das Weite. Bei Dundalk sind wir bereits wieder auf dem Boden der Republik Irland. Da sich hier die Geschwindigkeits- und Entfernungsangaben wieder von Meilen in Kilometer ändern und
das britische Pfund wieder vom Euro abgelöst wird ist man fast versucht, von Links- auf Rechtsverkehr umzustellen.
Dublin umfahren wir auf dem Autobahnring M50 der bezüglich Mautpflicht und -abrechnung einige Besonderheiten bietet. Hier wird barrierefrei das Kennzeichen erfasst und die Abrechnung
kann bis zum nächsten Tag per Internet erfolgen. Die Kennzeicheneingabe abends per Smartphone ergab, dass Motorräder nicht erfasst werden und somit mautfrei unterwegs sind.
Wir verlassen die Autobahn an der Abfahrt 12 und können direkt aus dem Großstadtgewimmel in die Kurvenorgie der R115 eintauchen. Über Sally Gap finden wir den Einstieg in die empfohlene
"old military road" am Glenmacnass Waterfall vorbei und gelangen bei Rathdrum in das Herz der Wicklow Mountains und quartieren uns für zwei Nächte auf dem Campingplatz Hidden Valley ein.

Jetzt besuchen wir Dublin, dass spätestens seit dem Film "Once" ganz oben auf unserer Wunschliste steht. An James Joyce's prosaischem
Frühwerk kann es nicht liegen, da mich dieses zu Schulzeiten eher gequält als unterhalten hat. Entlang der Küstenstraße nähern wir uns der Großstadt und schleichen uns on Osten her hinein. Dank
der auch hier verfügbaren freien Parkplätze für Motorräder können wir direkt im Zentrum mit unserer Besichtigungstour starten. Den ganzen Tag erkunden wir die Stadt, nutzen sogar einen der offenen
Doppelstockbusse für Sightseeingtouren und sind abends regelrecht erschöpft von den Eindrücken, aber auch begeistert.

Die Erwartungen an die Stadt wurden voll erfüllt. Die Szene der Straßenmusiker ist derart vielfältig und man könnte an jeder zweiten Ecke hängen bleiben, um den unbekannten Künstlern zuzuhören und
das Drumherum zu beobachten - einfach klasse!

Am nächsten Morgen verlassen wir unsere einsame Zeltwiese zu einer Runde in die Wicklow Mountains. Das Wetter bleibt uns treu und wir biegen schon bald ab in das Vale of Avoca das wegen seiner
Wollmühlen bekannt sein soll. Das Tal selber wird von einer kleinen Straße in herrlicher Umgebung durchzogen und wir besuchen sogar eine Wollmühle, wo ich schon bald den Spruch hören muss, dass
"shipping is no problem"

Der weitere Weg führt uns in die Gletscherwanne des Glenmalur und über die kargen Höhen des Wicklow Gap nach Glendalough, wo im Tal der zwei Seen eine mittelaterliche Klosteranlage mit angeschlossenem
Gasthaus zu einer Pause einlädt.
Zurück auf dem Campinplatz erwartet uns eine Überraschung: nachdem wir uns in der Nacht vorher die riesige Zeltwiese mit einem weiteren Zelt geteilt haben, erinnert das Gelände jetzt an ein Rockfestival.
Vor lauter Zelten ist kaum noch Gras zu erkennen und unser "Nachbar" erklärt uns, dass heute der Beginn der dreimonatigen Sommerferien ist. Jetzt wird mir auch klar, warum es so schwierig war, eine
Fährüberfahrt für die Rückreise zu buchen, da es viele Iren aufgrund der Wettersituation nach Frankreich oder weiter in den Süden zieht.

Den letzten Tag in Irland nutzen wir noch für eine ruhige Küstenbummelei und eine ausgedehnte Sonnenpause an einem Strand in der Wexford Bay, bevor wir auf dieselbe Fähre wie vor drei Wochen fahren,
die aber diesmal Roscoff ganz im Westen Frankreichs zum Ziel hat.

Einen Tag bummeln wir noch mehr oder weniger gemütlich über Landstraßen durch Bretagne und Normandie, die sich durchaus als eigenständige Urlaubsziele entpuppen, bevor wir östlich von Le Havre zum
letzten Mal für diesen Urlaub das Zelt festnageln. Da ich am nächsten Tag im Dienst erwartet werde, ist für die letzten 400 Kilometer Autobahn angesagt, die nur von einer ausgedehnten Pause im belgischen
Mons unterbrochen wird, bevor wir nach 6.098 km wieder zuhause sind und die irische Sonne direkt mitgebracht haben.