Eine Postkarte war Schuld.
Die hab ich letztes Jahr von einem Freund bekommen. Aus Ètretat.
Bis dahin war die Normandie für mich ein weißer Flecken auf der Landkarte. Aber dieser Felsbogen hat mich nicht mehr losgelassen. Das musste ich hin!
Himmelfahrt, ein Brückentag – das würd doch perfekt passen.
Willst Du nicht schon Mittwoch fahren? fragt mein Mann, dann steckst Du nicht im Feiertagsverkehr. Na, dass lass ich mir doch nicht zweimal sagen!
Natürlich komm ich später als geplant weg. Ich freu mich auf diese Fahrt, aber gleichzeitig ist da auch ein merkwürdiges Gefühl. Noch nie hab ich eine Tour so genau geplant. Und noch nie bin ich ganz allein losgezogen. Sonst bin ich mit einem lauten Yihaaa! vom Hof gerollt. Was mir manchen verwunderten Blick eingebracht hat. Diesmal braucht es ein paar Kilometer, bis in meinem Kopf ankommt: Ich bin unterwegs!
Bis Arras geht es über die Autobahn. Dann tauch ich endlich in die Landschaft ein. Die satten grünen Hügel, die Gerstenfelder, die sich im Wind wiegen, die Pappelalleen, die eigentlich Hecken sind, ziehen mich sofort in ihren Bann. Die untergehende Sonne taucht alles in ein weiches Licht….Aber erst mal möchte ich ankommen, bevor es dunkel wird.
Es ist schon nach 22.00 Uhr, als ich mein heutiges Ziel, Le Tréport, erreiche. Der Campingplatz liegt mitten in der Stadt. Die Rezeption ist aber bereits geschlossen


Mein Zeltnachbar reagiert auf mein freundliches „Bon Soir“ nicht. So ein Stiesel!
Am nächsten Morgen zeigt sich der Stiesel sehr sympathisch. Er kommt aus Antwerpen – Belgien, wie er zur Erklärung hinzufügt. So schlecht bin ich doch gar nicht in Ortografie: diesen Ort kenn ich – und ist unterwegs nach Mt. San Michel. Mit dem Fahrrad.
Ich schau mir erstmal die Stadt an. Wie in allen französischen Städten gibt es die kostenlosen Motorradparkplätze im Zentrum . Alte, schmale Häuser säumen das Hafenbecken, in der Fischhalle herrscht emsiges Treiben. Ein riesiges Angebot an allen möglichen Fischen, Krustentieren, Muscheln..und..und…schade, bis abends will ich Fisch nicht in den Alukisten spazieren fahren. Am Hafen treffe ich auch den meinen Zeltnachbarn wieder. Ein kurzer Plausch, dann geht’s weiter.
Und der erste Blick auf die Klippen der Alabasterküste. WOW! Ich kann mich gar nicht sattsehen!
Die Straße verläuft zwar in Küstennähe, aber das Meer bekomme ich nur selten zu Gesicht. Statt dessen Weiden, Felder, Wälder – fast wie im Bergischen!
Ein Schild lockt mich zum Phare d’Ailly, einem alten Leuchtturm. Der steht mitten im Wald. Und ein paar Schritte weiter stehe ich am Rand der Klippen. Das Meer unter mir ist türkis und blau, Möwen lassen sich vom Wind tragen und vor mir breitet sich die Alabasterküste aus. Perfekt!
Ich lass mich weiter treiben. Immer wieder diese hohen Hecken, hinter denen sich alte Häuser oder gar ganze Dörfer verstecken. Und Chateaus. Man entdeckt sie erst, wenn man schon fast vorbeigefahren ist. Das gibt’s so nicht im Bergischen!
St. Valery, eine romantische, kleine Hafenstadt mit großem Yachthafen. Direkt am Hafen liegt das Maison Henry IV. , eines dieser typische normannischen alten Fachwerkhäusern mit reichen Schnitzereien.
Heute dient es als Museum. Aber in Motorradkluft habe ich keine Lust auf Museumbesuch und will mich wieder auf den Weg machen. Aber da wird die Zugbrücke hochgezogen. Ein paar stattliche Segler wollen hinaus. Reichlich viel Schiffsverkehr.
St. Martin aux Buneau ist ein verschlafener kleiner Ort mit gemütlichem Zentrum um die alte Kirche. Im Schloss ist ein Hotel untergebracht – sehr nobel! Und es heißt auch noch Chateau Sissi. Am Ortsrand eine große Wiese. Picknick- und Sportplatz, Treffpunkt für Familien und Freunde. Die Uhren ticken anders, in Frankreich.
Fécamp. Eine kurvenreiche Straße führt zur Kapelle Notre Dame de Salud, einer alten Seefahrerkirche, hoch auf den Klippen. Zottelige braune Schafe weiden hier oben. Oder sind es doch Ziegen? Ich bin mir da nicht ganz sicher und nenn sie Scha(t)zies . Wieder dieser traumhaft schöne Ausblick entlang der Küste. Ganz im Westen kann man den „Elefanten“ von Étretat im Dunst erahnen.
Yport liegt noch auf meinem Weg. Auch hier wieder die Motorradparkplätze direkt am Meer. Großartig!
Die Fischerboote am Strand sehen aus, als würden sie nur für die Touristen hier liegen. Um des besonderen Flairs willen. Und einige fahren bestimmt nicht mehr hinaus aufs Meer.
Am frühen Abend erreich ich Étretat. Bloß nicht am Wochenende! stand in meinem Reiseführer. Der Reiseführer hatte Recht. Kirmes ist in der Stadt, Massen von Menschen sind unterwegs, sogar die Motorradparkplätze sind alle belegt. Der Plan: Ich such jetzt den Campingplatz, geh zu Fuß in die Stadt und mach nen langen Spaziergang entlang der Klippen. Das Abendlicht ist bestimmt toll zum Fotografieren. Die Realität: Der Campingplatz ist ausgebucht. Watt nu? Auf den letzten Kilometern hierher waren doch ein paar Campingplätze ausgeschildert. Also zurück. Früher als gedacht taucht ein großes Schild auf: Camping ICI! Eher rustikal, auf einem Bauernhof, eine Obstwiese, unter alten Bäumen baue ich mein Zelt auf. Die sanitären Anlagen sind…. äähhh…. nun ja… vorhanden. Die Badeschlappen zieh ich hier sicher nicht aus. Aber für € 8,-- die Nacht will ich nicht maulen. Zum Abendessen gibt’s Käse aus der Region und Baguette, der Wind in den Bäumen klingt ein bisschen wie Meeresrauschen, was will ich mehr! Vogelgezwitscher weckt mich in der Nacht. Das muss eine Nachtigall sein? Oder singen noch andere Vögel um diese Zeit? Und mit diesem Schlaflied im Ohr gleite ich wieder ins Reich der Träume.
Étretat, 2. Versuch. Hektischer Verkehr. Ich parke am Stadtrand, mit einem komischen Gefühl stell ich die vollbepackte „Lilane“ ab und gehe in die Stadt. Oder besser: direkt an den Strand. Diese Felsen muss man einfach nur auf sich wirken lassen. Die Wellen rollen heran, in diesem ewigen Rhythmus, klatschen gischtsprühend gegen die Klippen. Ein fantastisches Schauspiel! Wie viel Zeit hat es wohl gebraucht, solche bizarren Formen zu schaffen?
Endlich kann ich mich losreißen und folge dem Weg hinauf auf die Klippen zur Aussichtsplattform. Cross-Stiefel sind für Off-Road-Touren Klasse. Aber ohne Mopped eher ein Klotz am Bein. Aber zur Belohnung für den mühsamen Aufstieg gibt es einen überwältigenden Ausblick: eine stille Bucht, tiefblaues Meer, ein weiterer bizarrer Torbogen, Möwen, diese Flugkünstler….
Irgendwann mach ich mich an den Abstieg. In der Stadt ist mir zu viel Rummel, keine weiteren Besichtigungen. Meine“ Lilane“ steht noch so da, wie ich sie abgestellt habe. Das mulmige Gefühl brauchte gar nicht zu sein.
Vorbei an Le Havre Richtung Honfleur, über die Pont de Normandie. Die Brücke ist mautpflichtig. Motorradfahrer allerdings werden durchgewinkt.Schon die Vorbrücke über den Kanal ist ein Erlebnis. Und dann die Brücke: in einem kühnen Bogen schwingt sie sich über die Seine. Elegant. Filigran. War da nicht ein Aussichtspunkt zum stehenbleiben? So deute ich jedenfalls die Karte. Aber einen Parkplatz, wie erwartet, finde ich nicht. Schade, keine Fotos. (..doch!

Honfleur empfängt mich mit Stau, Gedränge, mühsamer Parkplatzsuche. Es findet gerade das internationale Goldwing-Treffen in dieser Region statt, und jeder, aber auch wirklich jeder kleine Winkel ist von einem dieser Reisedampfer belegt.
Die Cafes sind rappelvoll, keine Chance, irgendwo einen freien Stuhl, geschweige denn einen Tisch zu ergattern. Also belass ich es bei einem Rundgang ums alte Hafenbecken, stromer noch durch ein paar kleine Gassen und mach mich wieder auf den Weg.
Schließlich will ich doch nachsehen, ob unser G8-wichtig-Leute Deauville in ordentlichem Zustand zurückgelassen haben. Eine Blechlawine schiebt sich durch den Ort und gibt mir ausreichend Zeit, die mondänen Hotelfassaden zu betrachten. Ich atme auf, als ich an der Küstenstraße wieder zügig fahren kann.
Sword-Beach heißt dieser Küstenabschnitt. Heute kämpfen hier nur noch die Kite-Surfer mit den Elementen. Panzer und Befestigungsanlagen zeigen, dass ich mich einer geschichtsträchtigen Gegend nähere. Überall wehen Flaggen: Französische, amerikanische, englische, kanadische. Der Jahrestag des D-Day steht kurz bevor. Omaha-Beach mit seinen Gedenkstätten steht für morgen auf meinem Programm. Aber für heute erstmal raus aus dem Wind. Der blies den ganzen Tag recht kräftig und ließ mich auch geradeaus in einer ordentlichen Schräglage fahren.
In Luc-s-Mar zeigt ein Schild zum Campingplatz. Prima. Nehm ich! Der Platz bietet viel Komfort: Saubere Sanitäranlagen, TV-Raum, Tennisplätze, Spielplätze für die Kleinen und Petanqueplätze für die Großen. Für den Luxus zahl ich € 9,-- Was für ein Unterschied zu dem Naturplatz vom Vorabend! Die Parzelle: Gras! Super, da ist das Zelt ja schnell aufgebaut. Aber der Schein trügt, unter der Grasnarbe ist der Boden knüppelhart und bald hab ich fast keinen geraden Hering mehr. Endlich steht das Zelt und ist auch sturmsicher abgespannt. Ich krieche zeitig in den Schlafsack, die Kopfschmerzen liegen wohl an dem Sturm. Komisch, eigentlich bin ich gar nicht wetterfühlig.
Mitten in der Nacht werd ich wach. Etwas scheint groß, rund, rötlich durchs Zeltfenster. Zu spät für einen Sonnenuntergang. Der Mond! Haben wir denn jetzt Vollmond? Egal, muss ich fotografieren!
Ruckzuck bin ich in den Klamotten, die Kamera fertig gemacht und raus aus dem Zelt. Und muss mir ein lautes Lachen verkneifen. Da scheint groß und rund und rötlich….eine STRASSENLATERNE!
Die Kopfschmerzen sind am nächsten Morgen auch noch da. Dazu ein heftiger Schüttelfrost. Das Gesicht im Spiegel ist reichlich käsig unterm Sonnenbrand. Weiterfahren oder umkehren, überlege ich. Aber bis ich endlich gepackt habe, geht’s wieder besser und ich will die Tour zu Ende fahren. Aber meine Lilane entscheidet anders. Zündschlüssel umgedreht, einen Druck auf den Knopf: Klack!
Und dann: nix, nada, niente! Wie kann sich eine Batterie über Nacht entladen? Na gut, vielleicht hätt ich sie besser warten sollen! Vielleicht hätt ich sie überhaupt mal warten sollen? Geladen hab ich sie nur durch Fahren, und auf den Flüssigkeitsstand nur mal so von der Seite geschaut. Hätte, wäre, wenn...egal, wie krieg ich die Kiste ans Laufen? Ein paar Parzellen weiter zelten einige Motorradfahrer. Engländer, mit alten Enfields und Triumph’s wie sich herausstellt. Schnell sind wir uns einig: Die Batterie. Anschieben klappt nicht. Wir fahren zum örtlichen Motorradhändler. Nein, eine passende Batterie hat er grad nicht da. Aber er könnte sie ja mal durchmessen und laden. Ausgestattet mit einem Starthilfekabel wieder zurück. UND SIE SPRINGT TATSÄCHLICH AN! Zurück zur Werkstatt. Um 18.00 Uhr könnte ich sie wieder abholen. War da nicht was mit Schnell-Laden? Ich vergaß, ich bin in Frankreich, da nimmt man sich Zeit! Das tu ich auch, mach einen langen Spaziergang am Strand. Dunkle Wolken sind aufgezogen, der Wind ist immer noch heftig. Trinke einen Cafe Olè in dem Strandcafe. Jemand spielt Ukulele. Die Dame am Nebentisch bestellt Salat. Interessant zu sehen, wie sich der Kellner bemüht, das Grünzeug verlustfrei gegen den Wind zu servieren.
Endlich ist es Zeit, die Werkstatt aufzusuchen. Die gute Nachricht: Die Batterie ist in Ordnung .Die schlechte Nachricht: sie springt nicht an. Abwechselnd versuchen wir, sie mit dem Kickstarter zu starten. In der Zwischenzeit stehen 4 Leute ums Motorrad und fachsimpeln. Ich füge meinen knappen französischen Wortschatz ein weiteres hin zu: le démarreur – der Anlasser. Ich finde, dass klingt schon irgendwie marode. Jemand schiebt eine R75/5 daneben, versucht, meine Kleine über deren Batterie zu starten. Als sollte die eine BMW der anderen gut zureden. Irgendwann entscheidet sich meine Lilane, anzuspringen

Zurück zum Campingplatz. Wieder das Zelt aufgebaut. Jetzt sind auch die letzten Heringe krumm. Aber der Wind hat nachgelassen, sogar die Sonne kommt nochmal raus


Über die Autobahn geht es nach Hause. Unterwegs treffe ich immer nette Menschen, die mich anschieben, wenns mit dem Kickstarter mal wieder nicht klappt. Im Stau bildet sich wie von selbst die „Motorradgasse“. Alle machen Platz. Nicht, weil sie Angst ums heilige Blechle haben. Sondern weil man einfach nett miteinander umgeht! Und vielleicht ist ein Tempolimit doch ne feine Sache: selten bin ich so entspannt Autobahn gefahren!
Bis Mont San Michel bin ich nicht gekommen. Den Gezeitenwechsel am Cap de la Hague hab ich nicht gesehen. Und in Camenbert war ich leider auch nicht. Da wird ich mich wohl noch mal auf den Weg machen müssen...