2007: Wandern auf der "gta"

Reisen in der Alpenregionen Deutschland, Schweiz, Italien, Österreich, Slowenien usw.
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Michael 55
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2007: Wandern auf der "gta"

#1 Ungelesener Beitrag von Michael 55 »

-Prolog-
"Sich selbst zu erfahren, sich selbst kennenzulernen, den jedermann offenstehenden Weg der Erkenntnis" in sich zu bergen, beschreibt
Paulo Coelho in seinem berühmten Tagebuch "Auf dem Jakobsweg" aus dem Jahr 1987.
Zwei Jahre zuvor begab er sich auf diesen alten Pilgerweg der Christenheit, das heisst, die letzten 700 Kilometer auf der spanischen Seite
der Pyrénées nach Santiago de Compostela.
Er trat damit einen Tippelboom los, der beängstigende Dimensionen angenommen hat.
Wahre Heerscharen von "Pilgern" fluten nach Galicien, dieser nordwestlichsten Provinz Spaniens.
Suchen diese Menschen noch "ihre historischen, geistigen und persönlichen Wurzeln" wenn sie sich auf den Jakobsweg machen?
Anhand der touristischen Ausmaße die die Pilgerfahrt auf den letzten 700km in den letzten Jahren angenommen hatte, kamen in meiner
Martina große Zweifel auf.
Für 2006 "sammelte" sie schon Urlaubstage, vertiefte sich in Reiseberichte und vervollständigte ihre Wanderausrüstung.
So entschlossen war sie gewesen.
Wir diskutierten intensiv über ihren Plan, ich machte ihr Mut - obwohl ich nicht dabei sein wollte. Mich zog es nicht auf den Jakobsweg,
der ist mir "zu katholisch". Sprituelle Besinnung suche ich nicht in der Religion, die hole ich mir woanders: In den Bergen zum Beispiel.
"In den Bergen" waren wir schon so oft gewesen. Und wir waren immer sehr glücklich dabei - und zusammen.
Würde ich meiner Liebsten eine angemessene, nein, eine echte Alternative anbieten können?
Wenn es darum geht, mit meiner Liebsten gemeinsam etwas unternehmen zu können, kann ich mich doch ganz schön anstrengen.
Zumal diese Herausforderung auch noch eine besonders Schöne war.
Beim Abgrasen des gewaltigen Bücher- und Landkartenbestandes einer Buchhandlung in Mainz, machte mich im Winter 2006/2007 ein
älterer Herr, der mich schon eine Weile beobachtet hatte, wie ich immer wieder Wanderkarten im Massstab 1:50.000 auf- und wieder
zusammenfaltete, - dabei meine zunehmende Ratlosigkeit bemerkte,- auf die "Grande traversata delle Alpi" aufmerksam.
Das hatte ich noch nie gehört, wurde aber aufmerksam, als er davon sprach, dass dies eine Route durch die piemontesischen Alpen sei.
"Sehr einsam" und "immer in in den Bergen bleibend".
Die Alpen der Piemonte! Mit meinem Traumberg, dem Viso!
Er nehme sich seit nun fünf Jahren immer ein Teilstück dieser weit über 600 km vor, zwischen der Schweiz und dem Mittelmeer.
Das es Bücher gebe. Ich müsse mich nur schlau machen. Auf einmal wurde er wortkarg. ich nehme an, dass er mir eine solche Strapaze,
die er ja kannte, mir nicht mehr zutraute.
Erst wollte ich mich "schlau" machen! Ganz klar. Wozu hat man Internet...

Herausgekommen sind die beiden Bätzing-Bücher und fünf italienische Wanderkarten. Die "gta" hat auch noch eine schöne Webseite gehabt.
So bewaffnet, unterbreitete ich meiner Liebsten meine Alternative.

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August 2007.
Im Kofferraum unseres alter Peugeot 306 befanden sich zwei, wohlüberlegt gefüllte Wanderrucksäcke, das sind die mit den vielen überflüssigen
Riemen daran - und unsere Stiefel. Auf der Rückbank der übliche Proviant und die Kameratasche.
Nicht was Ihr jetzt denkt! Nur eine 2002er analoge Minolta-Spiegelreflex und zwei Objektive. Aber es wird reichen, Euch, verehre Leser auch
ein paar Bilder zukommen zu lassen, denn ich habe sie auf CD.
Wir waren unterwegs, der Hund wurde von der Jüngsten versorgt, da bräuchten wir uns auch keine Sorgen zu machen.
Ziel war, die die meine Reiseberichte kennen ahnen es sicher,- Briancon. Aber dann weiter, über den Col de Montgenevre in das Valle de Chisone
nach Usseaux. Dort erwarte uns der Wirt einer Posto Tappa, den wir am vorigen Tag angerufen hatten.

Morgen geht es weiter mit dem Bericht über eine Gewalttour....

Michael ;)
"Schöner ist es anderswo, hier ist man ja sowieso." -Wilhelm Busch-

Michael 55
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Re: 2007: Wandern auf der "gta"

#2 Ungelesener Beitrag von Michael 55 »

"Morgen".....mal lieber jetzt, morgen muss ich wohl den Rasen mähen und mit der Multi zum TÜV.

Die Dosenpiste lag hinter uns, das Wetter war während der Fahrt wunderbar gewesen und wir lagen gut in der Zeit.
Grenoble, weiter in das Tal der Romanche. Anfangs war der Straßenverkehr etwas nervig, wurde aber wesentlich lichter je weiter wir "zu Berg" fuhren.
La Grave hatten wir gerade passiert, natürlich zeigte ich Martina das Hotel in dem wir fünf Jahre zuvor genächtigt hatten*.
Ein ganzer Stapel CD's versüßte uns die Reise durch die schöne Landschaft. Es war erst der frühe Nachmittag, ergo noch genügend Zeit doch mal
den Galibier hinauf zu fahren und ein wenig das Bergpanorama zu genießen, was wir auch taten.
Durch Briancon, den Montgenévre hinunter nach Italia. Leider vermiesten uns schwarze Dieselwolken ausstoßende LKW den Kurvengenuß.
Egal, schließlich absolvierten wir ja nur die lästige Pflicht der Anreise.
Es war wohl so fünf Uhr am Nachmittag als wir in die enge Straße abbogen, die uns nach Usseaux hinaufführte.

Ein kleines Kaff, mittelalterlich verbaut, die Häuser verschachtelt und aus groben Steinen gebaut. Jetzt verließen wir unsere vertraute alte Rübe,
um uns in das Abenteuer dieses Urlaubes zu begeben, ein hölzernes Hinweisschild wies uns den Weg.
Unglaublich freundlich wurden wir von "unserem" Wirt begrüßt. Er bildete die wohl einzige Ausnahme englisch zu sprechen.
Englisch und deutsch kann man vergessen, italienisch ist angesagt, französisch geht auch. So ist es geblieben, runter bis in's Valle Varáita,
dort fand die Odyssee dann ihr grandioses Ende.
Die "Posto Tappa" ist in einem hölzernen, wunderschönen Haus untergebracht, liebevoll eingerichtet. Dann sahen wir den Schlafraum.
Dort erspähten wir zum ersten mal die eisernen Etagebetten. Erinnerungen an meine Bundeswehrzeit kamen auf, nur hatten wir wesentlich besser
Matratzen. Schaumstoffmatten, eine Elle dick und so weich, das man darin wie in Treibsand versinken kann, zierten alle Posto Tappa.
Nach einer halben Stunde des liegens taten mir sämtliche Gräten weh. Ich würde mich nie daran gewöhnen!
Aber bis zur dieser Erkenntnis sollte es noch ein wenig dauern, denn der Abend stand noch bevor und der hatte es in sich. Wir meldeten uns nämlich
zu einem Essen an, bei dem auch noch andere Gäste teilnahmen. In einen mittelalterlichen Raum, an einem riesigen hölzernen Tisch genossen wir
dann ein grandios leckeres und üppiges Mahl, an das wir uns noch heute gerne erinnern.
Danach saßen wir noch lebhaft schwatzend auf einer südlich gelegene Terrasse, unseren morgigen Weg vor Augen. Spätestens jetzt waren wir angekommen.
Die Schwalben umschwirrten uns, als die Dämmerung einsetzte.
Über die Nacht auf dieser Matratze hülle ich mich in Schweigen. Es ist besser so.
Das Nächte so unglaublich schwarz sein können, merkt man leider erst so richtig schmerzhaft, wenn man pinkeln muss und der Weg zum Klo so unendlich
weit ist und durch mehrere Räume führt. Das können Sie mir ruhig glauben, verehrter Leser.

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Es war soweit!
Heute geht's zur Sache. Einen Punkt gibt es, der mich beim Bergwandern so richtig nervt. Das man so saufrüh aufstehen muss, um rechtzeitig auf dem
Weg zu sein. Bergsteiger legen da noch einen drauf, indem sie um drei Uhr am Morgen in Wallung kommen.
Ergo bleibe ich beim Bergwandern. Um acht Uhr loszutippeln langt auch.
Beladen mit unseren beiden Rucksäcken, die Siggflaschen gefüllt und mit den Stiefeln besohlt, machen wir aus auf den Weg.
Erst verschwindet unser Peugeot aus den Augen, dann Usseaux.
Runter in's Tal, die Straße überschritten und auf der anderen Seite zu Berg. Gleich im nächsten Kaff, Laux, verlaufen wir uns, kehren um und finden jetzt
erst den richtigen Pfad. Das hat Zeit gekostet, mehr nicht. Wir sind bester Laune.
Das erste Ziel ist der Colle dell Albergian (2713m), den wir über das Valle dell' Albergian zu erreichen gedenken. Das wird noch Stunden dauern.
Stunden, in dem man Schritt vor Schritt setzt, so lange der Weg einen Spaziergang gleicht unkonzentriert, wird dieser aber schmal, abschüssig,
steinig oder sogar glatt, gilt es jeden Schritt ganz bewusst zu setzen. Zu gehen wird eine bewusste Angelegenheit.
So wie Bogenschießen oder Kendo. Es gesellt sich der Atemrythmus hinzu, den es einzuhalten gilt, wird das Atmen schwer.
Plappern ist dann passé. Der Schweiß rinnt in Strömen, auch in die Augen, was wegen des Salzes unangenehm ist und zu roten Äugelein führen kann.
Heiß ist es. Stille. Nur wir hören uns. Anfangs großzügig, wir der Weg zum Gebirgspfad, löst sich völlig auf und ist nur anhand der rot/weiß/roten
Markierungen wieder zu finden, in denen schwarz ein "gta" geschrieben steht.
Auf den breiten Weg tranken wir im gehen, auf den Bergpfaden muss man stehen bleiben. Jede Tätigkeit ist bei voller Konzentration zu machen.
Das dizipliniert, sag' ich Euch! Kleinigkeiten sind auf einmal richtig wichtig.
Die Stunden sind um, über 1100 Höhenmeter gemacht. Vor uns ist der Colle dell Albergian. Auch die Erinnerung an einen Text aus Bätzing's Tourenbuch:

"Der Name des Colle dell' Alberian ...spielt ..in den Waldenser-Überlieferungen eine wichtige Rolle. Am Weihnachtstag des Jahres 1440 ...sind... hier
achtzig Kinder und Säuglinge erfroren, die vor den Feinden aus dem Chisone-Tal geflohen waren und in's Germanasca-Tal gebracht werden sollten."
Diese Feind waren katholische Christen, die die Ketzer "vertilgen" wollten....

Nein, wir waren nicht beklommen. Höchstens nachdenklich. Das Geschehene belastete uns nicht, zu sehr waren wir von dieser Landschaft eingenommen,
die uns umgab. Das werdet Ihr auch auf den Photos sehen können.

Michael ;)

*Solo 2002, hier zu lesen.
"Schöner ist es anderswo, hier ist man ja sowieso." -Wilhelm Busch-

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Re: 2007: Wandern auf der "gta"

#3 Ungelesener Beitrag von Mimoto »

...so früh aus dem Bett, wenn es nicht sein muss - aber in den Bergen
den Sonnenaufgang zu erleben, dafür würde ich es tun. :)
Michael /mimoto

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ryna
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Re: 2007: Wandern auf der "gta"

#4 Ungelesener Beitrag von ryna »

Mimoto hat geschrieben: aber in den Bergen
den Sonnenaufgang zu erleben, dafür würde ich es tun. :)
Der Frühaufsteher vor dem Herrn bin ich auch nicht, aber z.B. In Sardinien für das Sonnenaufgangsspektakel, das hat sich gelohnt!
Zum Laufen muss man mich auch eher prügeln, aber Michaels Empfindungen kann ich ein bisschen nachempfinden. Als wir in Südtirol zum Gleitschirm fliegen waren (das ist auch schon länger her), ... sehrsehr früh am Morgen mit dem Schirm im Rucksack auf den Berg gekraxelt und von dort wie ein Vogel ins Tal geschwebt. Das waren auch sehr emotionale Momente.

@Michael - dir viel Glück mit dem Multier beim Graukittel. ;)
... Ich freue mich schon auf deine Fortsetzung.

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Balu
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Re: 2007: Wandern auf der "gta"

#5 Ungelesener Beitrag von Balu »

Ja, die Story lässt schon mal gut an.
Bin schon interessiert, wie´s weiter geht!
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Doris
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Re: 2007: Wandern auf der "gta"

#6 Ungelesener Beitrag von Doris »

Das liest sich richtig gut!

Und wann erscheint dann Dein Buch?

Bin gespannt, wie es weitergeht.
Liebe Grüße
von einer, die auszog, die Welt zu entdecken...


Doris


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Michael 55
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Re: 2007: Wandern auf der "gta"

#7 Ungelesener Beitrag von Michael 55 »

1. Barre des Encrins.jpg
(39.52 KiB) 1259-mal heruntergeladen
Dieser Berg gehört zum Masssif des Ecrins und ist 4102 m hoch. Geschossen habe ich das Foto vom Col de Galibier aus.
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Michael 55
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Re: 2007: Wandern auf der "gta"

#8 Ungelesener Beitrag von Michael 55 »

2. Usseaux.jpg
(67.11 KiB) 1256-mal heruntergeladen
Unser erster Anlaufpunkt im Chisonetal, dort ließen wir unseren Peugeot.
Das ist ein "Blick-zurück-Photo" und veranschaulicht wunderbar, das in den Bergen
ein Polfilter nötig ist.....Blödmann, ich.....
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