Der Morgen war trüb und diesig, die Temperaturen angenehm. Es wird wohl einer dieser schwülwarmen Spätsommertage
werden, die für das Rheintal so typisch sind. So wie seit Wochen.
Ganz gegen meiner sonstigen Praxis war ich tatsächlich um die Uhrzeit losgefahren, die ich mir vorgenommen hatte:
Sechs Uhr. Schon am Abend davor war mein Kuhchen startklar, selbst der Tank war randvoll.
Ich brauchte also nach dem Frühstück nur in die Gore-Tex Klamotten springen, die Daytonas an, Helm gegriffen.
Die Handschuhe hatte meine Liebste in den Händen, als sie mich zur Garage begleitete.
Monatelang hatte ich diesem Augenblick entgegen gefiebert. Hatte geplant, Routen aus dem Michelin Straßenatlas
ausgeknobelt, die Blätter für den Tankrucksack geschrieben. Reiseberichte studiert.
Die Erwartungen stiegen ins Unerträgliche - und nun?
Nun stand ich vor der Garage um doch alles in Zweifel zu ziehen.
Es war für meine drei Mädels schon absolut in Ordnung, dass ich allein in meine geliebten Alpen fahre.
"Mach' es, Schatz! Du hast so lange darauf gespart." (Martina, meine Süße)
"Papa! Das ist doch so schön für Dich, ich weiß' das!" (Nele, meine Große)
"Papa: Du musst fahren, dann bist Du auch nicht mehr so unruhig!" (Jelena,"piccola pupa", meine Kleine)
Ihnen fiel der Abschied allem Anschein nach nicht so schwer wie mir, dem nun das Herz in die Hose rutschte.
Nein, sie waren ganz fröhlich gestimmt, wärend ich auf brummig machte.
Am Abend werden sie im Garten sitzen. Grillen werden sie.
Und ich?
Ich werde fern der Heimat, meinen Liebsten entrissen....
Jetzt ist aber genug!
Blöde im Hirn?
Sendet die Amygdala ihre Botenstoffe wieder aus?
"Das müssen die Falschen sein!"
Befehl an den Hypothalamus: Freude ist angesagt! Fernweh! Reiselust!
Es wartet das Jura. Dein geliebtes Savoyen. Der Galibier, la Bonette. Der Turini. Der Tende!
Ich werde den ultimativen Beweis antreten, dass eine Gummikuh die Ligurische Grenzkammstraße bezwingen kann!
Auf nagelneuen BT 45 werde ich endlich den Finestre fahren, um auf der Assieta nach Sestriere zu kommen.
Das war so lange schon geplant. Mit der neunzehn Jahren alten BMW. Im Schotter mit wohl so knapp 300 Kilo.
So wird es sein....
Nun rollte ich Autobahn, Richtung Basel, immer am Rhein entlang, den man nie zu sehen bekommt.
Linke Hand der Odenwald. Die altbekannten Abfahrten, um dort ein wenig Kurven zu räubern.
Das blitzblank geputzte Boxerchen rollt an Heidelberg vorbei. Ich pendele mich auf 5500 Umdrehungen ein, wir haben ja Zeit.
Brohm, mmh, brohm... ruhig, stört mich nicht, ich singe meinem Motor das Boxerlied. Brohm, mmh, brohm....
Karlsruhe. Tanken. Schluck aus der Sigg. Im Tankrucksack ist die Brotdose, Inhalt: Liebevoll geschmierte Brote mit feinstem
Belag. Von meiner Süßen.
"Hypothalamus! Freude ist Trumpf!"
Weiter gehts.
Freiburg. Aufgepasst, wir haben's bald. Runter von der Autobahn, nach Neuenburg. Tanken, der Preise wegen und
weil ich es immer so halte. Die Pizzabude ist aber kein Thema.
Auf die Autobahn, 5 km: Tschüß, Deutschland! Jetzt geht es über den Rhein. Der fließt auch durch Mainz....
"Reiß dich zusammen!"
Mühlhausen. An den Ausfahrten zu den Peugeot-Werken vorbei, die bekannte Route eben.
Aber dann, endlich, wird die Sache anders: "La Porte d' Alsace", runter von der Piste auf die D466 nach Altkirch.
Das Kuhchen hat uns in knapp drei Stunden an den Rand des Jura geführt und das ist Neuland für uns...
Bald* erfahren Sie, wenn's beliebt, wie's weiter geht, mit der heldenhaften Gummikuh und ihrem unerschrockenen Reiter!
Michael
*Vielleicht noch heute, oder morgen....
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Ah, der Espresso und der Apfelstrudel waren gut. Schauderhaft, der Blick aus dem Fenster.
Milchig weißer Schneehimmel, schneebedeckte Landschaft.....
Zeit, um die Erinnerungen wieder ins Gedächnis zu rufen, die Erinnerungen an den frühen September 2002.
Altkirch, genau zwischen Belfort und Basel war die Eingangstür zum France-Comte, der "Freigrafschaft".
Noch waren die Ortsnamen unverkennbar deutschem Ursprungs, Deutsch spricht in dieser schönen Gegend aber so gut
wie niemand mehr. Es vergehen mehrere Kilometer auf schön geschwungenen Straßen, da wechselt langsam, aber immer
erkennbar, der Baustil der Kirchentürme. Es ist genauso wie in Deutschland. Im Norden die burgenähnlichen Festungen,
die einem sofort Luthers Coral "Ein feste Burg ist unser Gott" vor Augen führen, im Fränkischen die Barockbauten
und im Bayrischen die "Zwiebeltürme". Da muß es wohl schon länger Türken geben.....
Die gewählte Routenwahl lässt mich manchmal befürchten, die Landschaft sei entvölkert. Die bewaldeten Mittelgebirge
werden verwegener, da erreiche ich das erste mal den wohl verrücktesten Fluß Westeuropas: Den Doubs.
Ein Felsvorsprung, der die Straße weitgehend überragt, gibt mir Gelegenheit mich vor dem immer stärker werdenden
Regen in Sicherheit zu bringen. Was für eine Stille, von Rauschen des fallenden Regenfäden verstärkt, umgibt mich!
Unter der Straße fliest der Doubs. Er soll von der Quelle bis zur Mündung in die Saone 453 Kilometer lang sein, zwischen
Quelle und Mündung liegen aber nur derer 90. "Doubs" kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "unberechenbar, ungewiss,
zweifelhaft." Ihre Windungen und Wendungen kennzeichnen das ganze Land. Fahre 30 Kilometer und fahre dabei zehn Mal
über einen Fluß. Der kommt mal von Rechts oder von Links. Ist er zwischen 6 und 30 Meter breit?
Fließt er mal schnell, mal langsam?
Verlaß dich drauf: Es ist der Doubs. Warum "der" Doubs?
Dazu ein Auszug aus einem Stück Weltliteratur:
"Die kleine Stadt Verrieres zählt gewiß zu den hübschesten der France-Comte. Ihre weißen Häuser mit den spitzen roten
Ziegeldächern ziehen sich den Abhang eines Hügels hinauf, wo noch die kleinsten Bodenwellen sich in dichten Gruppen mächtiger
Kastanien abzeichnen. Der Doubs fließt ein paar Fuß unterhalb der Befestigungsanlagen dahin, die, einst von den Spaniern erbaut,
heute nur noch Ruinen sind." *
Das Land ist rau. Der Regen, der nun mein Begleiter sein wird, ist dort öfters zuhause. Vielleicht wohnt er auch da?
Da werden sich wohl noch die Schotten melden, mir soll es egal sein. Ich wollte ja hier durch. Immer bin ich ausgewichen.
Habe die Piste Mühlhausen, Belfort, Besancon genommen.
Aber der sich im Osten abzeichnende Bergrücken des Jura hat mich immer gereizt.
Jetzt bin ich drin.....
St. Hippolyte. Ich sollte mal eine Pause machen. Eigentlich wollte ich schon in Altkirch frühstücken.
Ich hatte Martina versprechen müssen, ordentlich zu essen. Das ist so ein Problem von mir. Wenn ich unterwegs bin,
vergesse ich, dass der Mensch eine Verbrennungsmaschine ist. 1985, auf meiner ersten Seealpen-Tour** mit Walter,
verlor ich sieben Kilo in drei Wochen.
Auch diesmal fahre ich weiter.
Irgendwie habe ich es geschafft, die Zivilisation gänzlich hinter mich zu lassen. Komisch. Nur Laubwald, ab und zu ein paar
Felder. Der Tank ist leer, der Benzinhahn ist auf Reserve. Endlich ein Dorf, es besteht nur aus Bauernhöfen.
Höflich frage ich nach den Weg, der Bauer mit seinem gegerbten Gesicht lacht mich laut an.
Ich muß mich doch schwer verfranzt haben. Der weist mir, im wahrsten Sinne des Wortes, den Weg.
Weiter treibe ich mein treues Roß, die Straße verengt sich, obwohl das eigentlich kaum noch möglich ist. Dichter Wald.
Auf einmal lichtet er sich, der Straßenzustand wir sichtbar besser, die Breite großzügiger, Straßenbarken tauchen auf,
ein Graben rechts und links der Piste.
Eine Stadt, gleich bedeutend mit Benzin, das heißt ich muss nicht schieben, taucht vor mir auf.
Das Zentrum sitzt malerisch auf einem Hügel, vor dem sich der Straßenverlauf wie abgestoßen in einem Kreisel verliert
um um die Stadt zu führen. Durch den Kreisel, in die Stadt. Da sehe ich das Ortsschild.
Ich bin in der Schweiz, daher die gut ausgebaute Straße - und habe keine Fränkli....
Der Tankwart gibt sich hartherzig. Ich habe auch meinen Stolz, betteln werde ich nicht. Es reicht, dass ich mit meinen
schlechten Französisch auffalle. Da schaltet sich eine ältere Dame ein, die das "Gespräch" mitbekommen hatte.
In einem sehr bemühten Deutsch bietet sie mir an, Euro gegen Franken zu tauschen. Sie ist sehr freundlich und fast verlegen,
da sie den Wechselkurs nicht kennt. Auch ich bin nicht im Bilde, also honoriere ich ihre Freundlichkeit großzügig.
Günstig bin ich trotzdem weggekommen, den der Spritpreis in der Schweiz ist wesentlich niedriger als in Frankreich.
Nach einigen Kilometern auf der mit Benzin prall gefüllten Kuh wird die Straße wieder schlechter, ich bin also wieder auf der
französischen Seite. Auf "weißen Gassen" des Michelin fahre ich in südwestliche Richtung, Pontarlier vor den Rädern.
Da werde ich was essen!
Es war mir zu blöde einen Parkplatz zu suchen, schließlich wollte ich mein vollgepacktes Krad nicht alleine lassen.
Ich esse später was, die Brote sind schließlich aufgefuttert, die Sigg geleert.
Der Doubs hat mich verlassen, das Kuhchen pöttelt durch den wieder stärker werdenden Regen. Am Lac de St. Point
entlang. Mounthe, links ab. Tempo 90. Kein Verkehr, enge Straßen. Immer düsterer wird der Himmel: Dicke Regenwolken
ziehen über uns, fast glaubt man sie greifen zu können. Irgendwie an les Rousses vorbei.
Die Straße wechselt von "Weiß" in "Gelb", immer mit dem grünen Rand versehen, mit dem Michelin die Landschaftlich schönen
Strecken markiert. Mir wird kalt, ich brumme das Boxerlied - dieser schnurrt wie ein Kätzchen.
Keine Frage, die Maschine hat mehr Kondition als ich. In Riviere ist Schluß. Sonst montiere ich noch ab.
18:00 Uhr. Seid zwölf Stunden unterwegs, davon fünf im Regen.
Das Kaff liegt direkt am 1500 Meter hohen Kamm des Jura, der steil im Osten abfällt, dann schon in der Schweiz.
Ich finde schnell ein Hotel. Erst habe ich schon befürchtet, es könne geschlossen sein, aber dann ging ein Licht
an und eine freundliche Dame öffnet mir die Tür. Ich werde der einzige Gast sein, der Ort ist im Tiefschlaf und wartet auf Schnee.
Ich bekomme ein nettes kleines Zimmer, das Fenster geht direkt zum Waldrand, unten steht mein Kuhchen überdacht.
Nach dem duschen begebe ich mich in die Innenstadt. Innenstädchen? Eher weniger.
Der obligatorische Tabakwarenladen hat noch auf. Er ist leicht zu finden: Immer der Lichtquelle nach.
Dort erwerbe ich eine Telefonkarte. Die Suche nach dem Telefonhäuschen, dass so 500 m weiter weg steht, ist auch leicht:
Immer dem Licht nach. Die "49" vorgewählt. 613.....
Meine Süße ist schon nach dem zweiten Bimmeln an der Strippe, ich merke gleich, dass sie sehr ausgelassen ist.
Ihr fröhliches Wesen strömt förmlich aus dem Hörer. Ja, sie grillen. Es ist unbeschreiblich heiß gewesen.
Ich beteuere wie phantastisch er mir geht. Nur den Regen gebe ich zu.
Nach dem Auflegen stehe ich noch einige Minuten in der Telefonzelle, gehe dann zum Hotel, setze mich an den Tisch
unter dem Fenster. Nur das Strömen des Regens ist zu hören, rabenschwarz der Himmel. Den Fleecepulli aus dem Koffer, -
ist das kalt!
Ich schlage mein DIN-A5 Schulheft auf, kariert - und schreibe mein Reisetagebuch.
Das war der erste Tag........
*"Rot und Schwarz" von Stendhal
** meine Stammleserschaft weiß, wen ich meine! Die Unbeleckten lesen bitte "Eine Familie auf Reisen", hier im Reisefeuilleton
der trefflichen Forums "Diva-di-Bologna."
Noch ein Anekdötchen zum Thema "Doubs":
Bei Pountarlier versickert der Doubs, um bei Ouhans wieder zu "erscheinen". In einem anderen Gewässer. Das war es nämlich
bis 1901 eine Absinth-Destillerie bei Pountarlier in Brand geriet und größere Mengen Absinth in den Fluß strömten.
Einige Tage später roch das Wasser der Loue stark nach Anis....
Gruß, Euer Michael
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++++Kleine Randnotiz+++++Kleine Randnotiz+++++Kleine Randnotiz++++Kleine Randnotz++++
Weißes Gold
Seit ewigen Zeiten wird im France-Comte Salz abgebaut.
Das weckt natürlich Begehrlichkeiten.
Erst Ludwig XIV, der Sonnenkönig, brachte das Gebiet gänzlich unter französischer Herrschaft.
Im 18. Jahrhundert wurde im Auftrag der Krone durch den Architekten Claude-Nicolas Ledoux ein ganz besonderes
Salzbergwerk geschaffen: Arc-Et-Senaus.
Seine Architektur verkörpert das Konzept der idealen Stadt.
Ein gemeinsamer Ort, an denen Arbeiter und ihre Familien in vollkommener Autokratie leben.
Er, der Arbeiter, ist dort geschützt von allen "Versuchungen und Wünschen, die das Leben jener verkürzen, die
all diesen Versuchungen ausgesetzt sind."
So das Zitat.
Eine Besichtigung dieser Anlage setzt Beklemmungen frei....
Ende der kleinen Randnotiz.
Gegen Morgen endete der endlos scheinende Regen, die Wolken wurden beachtlich kleiner, so das sogar blaue
Himmelsfetzen sichtbar wurden. Die Wälder dampften, in den Tropfen brach sich gleißend das Licht der Sonne.
Nach einem einsamen Frühstück im leeren Speisesaal setzten wir, mein Kuhchen und ich, unsere Reise fort.
Der Gebiergskamm der größten Höhen des Jura lag zu unserer Linken, die gräulich-weißen Kalksteine durchbrachen
das satte Grün der Bäume. Die Luft war mild und unglaublich klar.
Aus diesem Frieden riss uns die N84, die unseren Weg beendete. Das Jura lag hinter uns.
Kurz verfuhren wir uns, machten in Bellegarde s-Valserine kehrt, um dann endlich die gelbe Straße zu finden,
die uns schnurstracks nach Süden führte.
Obwohl einige schöne Kilometer entfernt, spürt man das wirtschaftliche Gravitationsfeld der Metropole Geneve, Genf.
Wie ein Finger ragt das Stadgebiet Genf's in die Provinz Haute-Savoie hinein. Annecy ist nicht weit.
Genf gehörte einstmal zu Savoyen, schloss sich aber dann der Eidgenossenschaft an. Und das alles wegen
der Religion. Calvin ist Schuld.
Bei Seyssel fahren wir irrtümlich über die Rhonebrücke, kehren um und passieren die Brücke ehrführchtig im Schritttempo.
Wie schön ist es hier!
Weiter führt die Reise nach Süden. Westlich des Lac du Boufget schlagen wir unseren Weg über kleinste Passsträsschen.++
Der Col de I'Epine führt uns steil bergab - nach Chambery.
Nach einigen Irrungen und Wirrungen erspähen wir endlich das erhoffte Schild: Col du Granier. Es war an dem Mast der
Ampelanlage untergebracht. Irgendwer hupte noch hinter uns her, als wir den nötigen Haken schlugen.
Steil stieg die Straße an - und führte uns rasch aus dem Trubel der Stadt.
Das Massiv de la Chartreuse. Merken Sie sich das! Ich wiederhole es extra noch einmal: Massiv de la Chartreuse.
Unbedingt ansteuern, das ist ein Muss!
Die Strecke über den Col du Granier, St.Pierre-d'Entremont - den Col du Cucheron nach St. Pierre-de-Chartreuse
ist eine der schönsten zusammenhängenden Passfahrten, die man sich denken kann. Einsam durch wunderbare Landschaft,
wer das sucht, ist hier im September richtig.
In St.Pierre-de-Chartreuse unterbrechen wir unsere Fahrt. Weil wir es müssen.
++++Kleine Randnotiz++++Kleine Randnotiz+++++Kleine Randnotiz++++++Kleine Randnotiz+++++
Der Kartäuserorden
1084 hatte der Bischof Hugo von Grenoble im Traum eine Vision, die ihm die Ankunft von sieben Reisenden auf der Suche nach
einem von der Welt abgeschiedenen Ort ankündigte. Als die Reisenden, angeführt vom hl. Bruno, dann kamen, leitete er sie zu der
Desert, "Wüste", genannten Gegend im Herzen der Chartreuse-Berge, nach denen das Kloster und deraus ihm hervorgegangene
Orden benannt wurde.*
Ende der kleinen Randnotiz
Hier befanden wir uns also.
Klar,- werden jetzt die Rheingauer tönen,- ein stinknormales Kloster! Bedenkt bitte, nicht jeder hat Kloster Eberbach vor der
Nase. Der Vergleich hinkt in keiner Weise.....
Ich treibe mich zwei Stunden in der Anlage herum, um dann meine Reise fortzusetzen.
Ziel ist der Col de Porte, der sich nahtlos in die von mir genannte Traumroute einreiht.
Dem letzten Kaff vor Grenoble ist eine ganz besondere Tankstelle vergönnt.
Sie ist ein Relikt längst vergangener Tage. Einer "Garage", Autowerkstatt, sind zwei Zapfsäulen vorgelagert und
um zu bezahlen, muss man in's Büro. Umgeben von Zündkerzenspendern, aufgehängten Keilriemen und Fußmatten
bezahlt man dann - das Geld wandert in eine alte, abgegriffene Blechdose - und bannt sich den Weg, an Wasserkühlern und
deren Schläuchen vorbei, aus dem Büro heraus. Alles läuft friedlich und ohne jede Hektik ab.
Danach fährt man automatisch relaxter.
Und das ist auch gut so: Verwegen ist die Abfahrt in das Tal der Isere. Ausblicke tun sich auf, die Bäume geben die Sicht frei
auf die Metropole im Tal: Grenoble, 419 334 Einwohner, das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der französischen Alpen*.
Serpentinenreich ist diese Abfahrt, ich brumme das Boxerlied.
Wir erreichen die Stadt im Norden, kurz vor der Stelle, an der sich der Drac in die Isere ergießt.
Auf der anderen Seite der Isere ist die mittelalterliche Stadtmauer zu sehen. Wir überqueren die Iserebrücke um in einen
mörderischen Verkehr zu stranden. Es reißt uns mit, natürlich biege ich, völlig orientierungslos, fasch ab. Die Umkehr war
doch ziemlich gefährlich - so stürzen wir uns wieder ins Getümmel. Irgendwie kriege ich diesmal die Richtung hin,
fahre als einer der Letzten bei Grün über die Ampel, da kracht es auch schon: Eine Dame in ihrem fetten Renault-Van
erwischt mein treues Ross am linken Motorradkoffer. Wir drehen uns wie um eine imaginäre Hochachse,
geistesgegenwärtig stoße ich mit dem linken Bein uns ab, so dass die neunzig Grad Schräglage vermieden wird.
Schnell machen wir uns vom Acker und verkrümeln uns zwischen parkenden Autos am Rande der, mit den obligatorischen
Platanen umstelltem Straße. Ich bin noch ganz aufgelöst. "Die Ziege ist einfach weiter gefahren!"
Unkonzentriert bleibe ich mit dem Bein an der Gepäckrolle hängen und drohe nun mit der ganzen Fuhre umzukippen.
Normal steige ich unfallfrei ab....
Da stürzen vom nahen Bürgersteig auch schon Passanten heran um mir zu helfen. Glück muss man haben.
Ich bedanke mich höflich um in mir zu bezweifen, das soviel Hilfsbereitschaft in Deutschland möglich wäre -
die hätten doch in Köln oder Frankfurt seelenruhig zugesehen, wie ich abfratze.
Weiter geht's. An einer weiteren großen Kreuzung sagen mir die Schilder garnichts. Verzweifelt schaue ich mich um,
da steht an einem Kiosk auf der anderen Straßenseite ein Herr.
Ich rufe ihn zu:" Monsieur, Vizille?!!"
Er schaut auf, deutet die Straße entlang und ruft zurück:" Tout direction Briancon!"
Da springt auch schon die Ampel um, mit einem "Mercie, Monsieur!" fahren wir los.
"Briancon! Was sonst. Briancon!" Ich tätschele den Tank und stimme das Boxerbrummen an.
Auf in das Tal der Romanche.....
Wie es weiter geht, erfahrt Ihr --- bald!
Michael
* Michelin Reiseführer "Französische Alpen" Ausgabe 2003
++ Fünf mal "s" in einem Wort! Es lebe die Rechtschreibreform.
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Kennen Sie das Gefühl,
eine Strecke einschätzen zu können, genau zu wissen wie lange man für sie braucht - und nichts entspricht ihren Erwartungen?
An diesem zweiten Tag unserer Reise feierte dieses Gefühl in mir seinen fröhlichen Urstand.
Schon bis Vizille stimmte garnichts mehr.
Viel später als erwartet erreichten wir den Einstieg in das Tal der Romanche. Eine Fahrt bis Briancon war noch nicht geplant,
sondern das schnelle Verlassen des Tales, um den Col de la Croix de Fer zu erklimmen. Dieser würde uns dann ins Tal der Arc
führen. Vielleicht hätte ich ja mal die Kilometerangaben im Michelinatlas zusammenzählen sollen, dann wäre mir so einiges
klarer erschienen. Der Mensch neigt zum Selbstbetrug. Es solle ja recht flott gehen - und das tat es nun eben nicht.
So drehte ich verstärkt am Gasgriff, überholte, was zu überholen ging und drosch das Boxerchen zu Berg.
Nun war es endlich so weit, wir konnten nach Norden abbiegen, zur Passstrasse, ha, schon wieder fünf "s"....
Jetzt folgte der zweite Teil der Selbsttäuschung: In meiner Vermessenheit, dass Gelände genau zu kennen, schließlich war
ich vor fünfzehn Jahren erst hier gewesen, musste ich den Unterschied zwischen Vorstellung und tatsächlichen Sein
schmerzhaft zur Kenntnis nehmen. Denn selbst in einer so "toten" Gegend ist ein gewisser Fortschritt in eben diesen
15 Jahren nicht zu vermeiden. Was fällt den Eingeborenen ein, mir mein Paradies mit Häusern, Strassen, Sesselliften, Hotels,
Supermärkten, Autobahnen und - was weiß ich - noch allem Schnickschack der Moderne, einfach zu zupflastern?
Die sollen Hirten bleiben, vielleicht einen Campingplatz betreiben, Ackerbau und Viehzucht, Käse machen, dass unbedingt! -
und brav in die 1000 Jahre alte Kirche rennen. Ich photographiere sie dann, wenn sie diese verlassen.
Was soll ich sagen? Dieses Berggesindel nimmt keine Rücksicht auf meine Gefühle und Befindlichkeiten!
Mein braves Roß meistert, wie immer, die Auffahrt mit Bravour!
Zuerst die Defile de Maupas, dann den Weg über die Staumauer, am See entlang. Jetzt stimmen die Bilder wieder,
so sah es schon 1985 und 87 aus. Links geht es zum Col du Glandon - dann die Passhöhe mit diesem total verwitterten
Eisenkreuz. Das war alles sehr unspektalutär aber wunderschön zu fahren. Der Belag?
"Chaussee deformee" eben. Was erwarten sie?
Ich steige von meiner Rosinante, die gefüllte Sigg und ein paar Müsliriegel aus dem Tankrucksack und gehe ein paar Schritte,
um mich auf einen Felsvorsprung zu setzen.
Spät ist es geworden,- die grauen, schweren, mit Regen zum Bersten vollgepackten Wolken ziehen schnell über uns hinweg,
das Tageslicht weicht, die blaue Stunde bricht an.
Von der Ferne, aus der Richtung die wir gekommen sind, naht eine Lichterkette, wie an der Schnur gezogen, einzelner Scheinwerfer.
"Motorradfahrer."
Sie kommen immer näher, "fünf, sechs, sieben". Wärend ich noch weiterzähle, stehe ich auf, um den Fotorucksack abzunehmen.
Kamera raus, Ojektivwechsel - zum Glück ein 400 ASA-Film - Fotos....
Die Kradler, allesamt auf sportlichen Geräten aus dem Land der aufgehenden Sonne unterwegs, halten an und steigen zu mir hoch.
Es sind Deutsche aus dem Schwäbischen und kommen gerade von Korsika zurück.
Sie schimpfen allesamt auf das Wetter, dass, schon seid Tagen schlecht sei und auf die niedrigen Temperaturen.
Recht haben sie zwar, aber warum fahren sie dann im September?
Nachdem sie sich ausgelassen haben, brausen sie weiter.
Ruhe kehrt ein, schließlich sind mein Kuhchen und ich wieder ganz unter uns.
Ich wechsele den Film. Siebenunddreißig Photos sind im Kasten.
"Es wird Zeit, mein Gutes!"
Wir starten, um uns auf die phantastische Fahrt nach St.Jean-de-Maurienne zu begeben.
Schon nach wenigen Metern beginnt eine Reihe von Überraschungen:
Weit hinten stehen Baumaschinen mitten in den Bergen. Das Werk, das sie verrichten, ist schon weit gediehen.
In bis dahin unberührter Berglandschaft, so in 2700m Höhe, planieren sie Skipisten, mit alledem was dazu gehört.
Die, bis dato, enge und schlechte Straße wir verbreitert und geteert, in den ärmlichen Dörfern entstehen Bettenburgen.
Trotzdem ist diese Abfahrt immer noch ein Riesenspaß!
Roß und Reiter kommen voll auf ihre Kosten. Wir verfallen in den Kurvenrausch, ich brumme das Boxerlied.
Kurz vor St.Jean tauchen die ersten Rücklichter auf: Die Schwaben haben ihren Vorsprung eingebüsst.
Gemeinsam rollen wir zur großen Tankstelle im neuen Gewerbegebiet, gleich neben dem Supermarkt.
Tanken. Ein bisschen einkaufen. Die Schwaben links rum, wir rechts rum, die Arc entlang. Zu Berg.
Wer von Euch kennt nicht die Brennerpassstrasse?
Hier sieht es fast genauso aus: Da die Autobahn, hier die Nationalstrasse, da hinten die Bahntrasse.
Nicht ganz so schlimm wie das Tal zum Gottard. Aber fast. Alles klar?
"Wir müssen uns was suchen! Bleibt wohl nur ein Hotel."
In St.Michel halte ich an, steige ab und studiere die Tafel an der Tür eines Hotels.
Mir beschlugen die Brillengläser als ich die Preise erspähte.
Ohne Kommentar, absolut verzögerungsfrei, bestieg ich mein treues Roß und brauste davon.
"Wir suchen uns einen Campingplatz. Du weißt ja, ich liebe Camping."
So strandeten wir in Modane.
Die hatten einen Camping Municipal. Einen städtischen Campingplatz. Wir sind eben in Frankreich und da wimmelt es davon.
Fünf Euro, super gelegen, hoch über dem Städtchen, saubere Duschen und Toiletten.
Einsam stand mein Igluzelt auf satter, grüner Wiese - und mein Kuhchen daneben.
Der Platzwart machte sich davon, er wollte morgen füh wieder erscheinen. "Bonsoir, Monsieur!" .... "Bonsoir, Monsieur!"
Das Rauschen des Straßenverkehrs drang nur sehr gedämpft zu uns, wir lagen einfach zu hoch.
"Sehr schön."
Duschen, Zivil anziehen, Tagebuch schreiben. Ein bisschen lesen und ab in den Schlafsack....
Es dauerte nicht lange, dann begannen die Geräusche, die die ganze Nacht anhielten. Ein Quitschen und Kreischen, dumpfe
Schläge, gellende Hupen.
Die ganze Nacht! Unentwegt! Ständig, ohne Pause. Bis in den Morgen.
Schlafen? Die Kuh, vielleicht - ich nicht!
Unter uns war ein Rangierbahnhof. Der an dem einen Ende des Tunnel von Frejus...
+++++Kleine Randnotiz+++++Kleine Randnotiz+++++Kleine Randnotiz+++++Kleine Randnotiz++++
Der knapp 13 km lange Frejus-Tunnel ist eine wichtige Schwerverkehrsachse durch die Alpen. In Spitzenzeiten rollen
bis zu 6500 LKW täglich durch die sieben Meter breite Röhre.
Ende der kleinen Randnotiz.
Und bald lesen Sie: Enduroeinsatz am Mont Centis.
Erinnerungen werden wach: Pause in Susa.
Endlich: Die heldenhafte Gummikuh und ihr verwegener Reiter auf dem Colle delle Finestre.
Bis dann, Euer Michael
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++++Kleine Randnotiz++++Kleine Randnotiz+++++Kleine Randnotiz++++Kleine Randnotiz++++
1985.
Früh am Morgen verließen Walter und ich den unscheinbaren Campingplatz im Tal der Arc,- der junge Bergmannsslehrling war schon lange
unterwegs,*- um die Serpentinen nach Lanslevillard in Angriff zu nehmen, die uns auf den Col du Mont Cenis führen sollten.
Rasch sind die 600 Höhenmeter überwunden, da taucht der Lac du Mont Cenis, blau in bleichen Fels gebettet, vor uns auf.
Wir waren jung und konnten vor Kraft und Saft kaum laufen, warum sollten wir also mit unseren Straßenkrädern, er Suzuki und ich
Boxer, nicht mal so ganz beiläufig eines dieser legendären Militärforts beehren?
Gesagt, getan. Es war ein Desaster, verehrter Leser! Wir mussten umkehren.....
Ende der kleinen Randnotiz.
*Siehe:"Eine Familie auf Reisen."
Dritter Tag, September 2002.
Schlaf soll ja bekanntermaßen nicht nur notwendig sein, sondern eine wohltuende Wirkung haben.
Beschwingend. Aufbauend. Ausgeschlafen soll man mehr meistern können, als wenn man müde ans Werk geht.
Das wird wohl auch richtig sein, traf bei mir aber noch, da ich erst zwei Tage unterwegs war, nicht zu.
Mir hat das Stündchen netto gereicht und außerdem hatte ich da ja noch meinen zuverlässigen Partner, mein edles
Roß.
Ich watschelte noch vor der Abfahrt in den kleinen Lebensmittelladen des Ortes, um mich mit Nahrungsmitteln und Getränken
zu versorgen. Futtern, Rosinante beladen - und ab die Post!
Die N6 "hoch", Richtung Iseran und bei Lanslevillard ab, die Sepentinen zwingen zur Konzentration, zum Mont-Cenis.
Am See entlang, beim Passhäuschen halte ich an. Es stehen schon einige PKW, aber kein weiteres Krad.
Die Spiegelreflex raus, Photoaugen machen, ein bisschen nach rechts - oder wars links? "Klick!"
Da spricht mich ein junger Mann an, ob ich ihn mal photographiern könne, so mit dem See und den Bergen im Hintergrund.
Ich tue ihm den Gefallen, sich selbst ablichten ist eben nicht leicht. Er war auch aus Deutschland mit seinem klapprigen
Kleinwagen unterwegs.
Nach einem kurzen Gepräch, verabschiedete ich mich von ihm, schließlich wollte ich weiter.
Meine Gedanken waren schon lange nicht mehr von dieser Straße. Sie kreisten um den Schotter und Matsch, die Steine und Felsen
die uns erwarten würden, sobald wir beide über die Staumauer gefahren sind, um zum Fort Malamot zu klettern.
Dem Malamot ist noch ein anders Militärfort vorgelagert, Fort Variselle. Es ist das erste Ziel und ein unbedingtes Muss.
"Minderstens dich! Gott, ist das steil!"
In die Rasten, Körper nach vorn. "Pött, Pött!" Metallisch klappern die Ventile, bei 800 Umdrehungen kein Wunder,
hochziehen, 2000 Umdrehungen, Schalten.
In völlig ausgewaschenen Wegbett ziehen wir um Serpentine und Serpentine. Nur einmal muss ich mit dem Bein runter.
Da hat der Boxer einen Nachteil: Die Ohren stehen verdammt weit ab und sind beim driften im Weg.
Grip? Mit BT45? Seid Ihr jeck?
Alles ist vom wochenlangen Regen aufgeweicht.
Wir schaffen es! Das vollgepackte Motorrad steht direkt vor dem Tor des Forts.
Mit dem Fotorucksack bewaffnet dringe ich ein. Was wurde im 19.Jahrundert ein Vermögen verschleudert!
Für Militäranlagen in einer Gegend, in der die wirtschaftliche Entwicklung, die Infrastruktur, ALLES, es viel nötiger
gehabt hätten.
Nebel zieht auf, vermutlich um mir das Photographieren zu vermiesen. Ach, ein bisschen Regen kann auch nicht schaden, danke.
"So, mein Mädel, jetzt gilt's!"
Brav gleitet mein treues Gefährt die rutschige Piste runter. Ich versuchte sie zu unterstützen, in dem ich wieder in den Rasten
stand, Körper nach hinten. Paralellen zum Klettern tun sich auf: Runter ist schwerer.
Ich bin froh, dass der Motor unglaublich elastisch ist.
Wir sind wieder fast vor der Staumauer. Nach rechts, den Pfad zum Fort Malamot.
Der erste Teil ist schnell überwunden, teilweise sitze ich sogar.
Dann kommen ganz enge Serpentinen, wir straucheln, fallen aber nicht. Immer wieder kriege ich rechtzeitig die Beine runter.
Ich glaube wir hätten das Schlimmste überstanden, da kommt das Aus.
"Nee, mein Mädchen, dass war uns nicht gegönnt!"
Es war klar, dass ich niemals diesen steilen Pfad, der sich eng an eine Bergwand schmiegte und der mit dicken,
nackten Felsen übersät war, überwinden würde.
Ja und wenn? Selbst wenn ich es schaffen würde, wie kämen wir da wieder runter?
"Wir haben es wenigstens versucht!"
Ich brauchte über fünf Minuten, um mein Kuhchen umzudrehen.
Die Abfahrt war Horror. Als wolle er uns verhöhnen, verstärkte der Regen sein Bemühen, uns zu ertränken.
Beim Erreichen der Staumauer war ich platt, richtig platt.
Wir gleiten über die Mauer, schon habe ich die Straße vor Augen, da verfahre ich mich.
Eine Rinne aus Steinen, groß und weiß glänzend gähnt uns entgegen. Anstatt umzukehren, fahre ich hinein.
In die Rasten, vor mit dem Körper! Das Vorderrad führt sich selbst, in dem es über die Steine geht um weg zu rutschen,
wie magisch angezogen von den Spalten zwischen den Steinen. Das Hinterrad keilt aus, dreht durch.
Wie ein unbelehrbarer Narr prügele ich die Fuhre diese elende Rinne hinauf, von dem Gedanken getragen, bloß
nicht stehen zu bleiben. Mir bleibt nichts übrig als auszuweichen, als ein wahrer Fels vor uns erscheint.
Nun stehen wir doch - und zwar quer.
Ausgekuppelt bollert der Boxer im Leerlauf, das Vorderrad eingeklemmt zwischen zwei Steinen.
Ich schaue auf zur Straße, die keine dreißig Meter hoch über uns verläuft. Neutral finden, Luft holen.
Ich beginne zu wippen. Nach dem dritten, vierten, vielleicht fünften Ausfedern der Telegabel reiße ich das Krad nach
rechts, stelle mich in die Rasten und kicke dabei den 1.Gang rein.
"Pott, Pott, Pott!" Der Boxer schüttelt die dicken Ohren und hämmert die Steine hinauf.
Ganz klar, mein Krad hat mir den Arsch gerettet.
Endlich auf der Straße. Ich wusste überhaupt nicht, dass Straßen in meiner Wertschätzung so steigen könnten.
Den Mont Cenis runter - wie 1996 ist Susa das Ziel.
Der Tag ist schließlich noch jung!
Kurze Zeit später sitze ich in der Altstadt beim Cappuccino. Sonnenschirme ohne Funktion am runden Tisch.
Ich rauche meine letzte Reval. Das brave Roß steht hochbeinig auf seinem Hauptständer neben einer Gruppe
hochPSiger Sportboliden aus Nippon, alle mit berner Nummernschildern versehen.
Sie waren allesamt hochveredelt: Poliertes Alu, Carbon, farbige Motorblöcke.
Mein eingesautes Gerät wirkte irgendwie fehl am Platze.
Sag, mal Dani, sind alle Berner solche Großmäuler?
Diese waren es. Sie machten sich über mein verdrecktes Kuhchen lustig.
Nach Briancon wollten sie. So wie ich.
"Wir fahren über den Montgenevre."
"Ich nicht."
"Ja, wie denn?"
"Natürlich fahre ich über den Montgenevre, aber erst über den Finestre."
"Über den Finestre?"
"Ja."
Das hätte ich mir ruhig verkneifen können.....
Sie verließen mich bald. Ich konnte sie noch eine Weile hören.
So setzten wir uns kurz danach auch in Bewegung, daddelten noch ein bisschen rum, bis wir das alte, verwitterte
Schild gefunden hatten: Colle delle Finestre.
Der Anfang ist harmlos, weil geteert. Steil führt die Straße aus dem Tal, großartige Blicke auf Susa und den 3538 Meter
hohen Rocciamelone, dem am höchsten gelegenen Wallfahrtsort der Christenheit, frei gebend.
Sepentinen ohne Ende. Dann endet das Teerband, um erst in Schotter und dann in Schotter gebettet Steine mit
Dreckaspic überzugehen. Ein harter Ritt, aber doch beherrschbar.
Kurz unterhalb des Passes begegnen uns zwei Motorradfahrer. Einer auf Else, der Andere auf 100GS.
Wir grüßen uns und setzen unseren Weg fort: Sie nach Susa und wir zur Passhöhe.
Kurz darauf haben wir es geschafft.
Die Passhöhe ist flach, so dass ich eigentlich die weite Sicht hätte genießen können.
Eigentlich, denn aus den Niederungen quoll der Nebel. Regen, tief hängende Wolken.
Den Helm ab - totale Stille stellt sich ein, ein Photo.
Erstaunlich, wie friedlich die Welt doch sein kann. Äußerlich wie innerlich.....
Bald geht es weiter:
Ruhetag in Briancon.
Euer Michael
![Bild](http://www.diva-di-bologna.de/uploads/1203981616/gallery_1511_485_4044.jpg)
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Wie auf des Messers Schneide, so schwingt sich die Testa dell' Assieta auf den Scheid der Berge zwischen dem
Valle di Susa und dem Val Chisone.
Nicht ein Baum, nicht ein Strauch unterbrechen die Monotonie der Landschaft. Allein Schafe werden hier glücklich sein.
Jetzt bin auch ich ganz ruhig geworden, jede Anspannung ist weg. (Ein Schaf?)
Totale Stille. Der stärker werdende Regen zwingt mich, vom Jet- zum Integralhelm umzusteigen.
So pötteln wir den leichten Schotterweg zum Einstieg zur Assietta durch die großen, weißen Nebelfetzen.
Auf einmal kommen aus dem Dunst helle Lichtpunkte auf uns zu: Zwei Endurofahrer auf leichten KTM-Zweitaktern halten bei uns an;
Österreicher, die mir berichten, dass es unmöglich sei, die Assietta zu fahren. Fahrer wie Kräder sind dermaßen mit Dreck verziert,
dass es nicht vieler Worte bedarf, mir klar zu machen, was offentsichtlich ist: Wenn diese beiden Enduristen es nicht schaffen,
die aufgeweichte Strecke zu fahren, so ist es uns, beladenes Kuhchen plus Fahrer, unmöglich.
Sie würden wieder nach Susa fahren - da stehe ihr Sprinter, mit dem sie die Enduros hierher gebracht hätten.
Der Urlaub sei eine einzige Enttäuschung....
Viel habe ich den Beiden nicht zu entgegnen. Hier regnete es seit Wochen, entsprechend sehen die Pisten aus.
September 2002. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, hätte ich wohl ein Jahr warten sollen.
Scherz beiseite. Zurück zum Geschehen.
Wir verabschieden uns, das Zweitaktgeschrei ihrer Kati's wird bald vom Nebel verschluckt - und ich greife mir erst einmal
den Michelin-Atlas. Seite 141. Runter ins Tal bei Fenestrelle.
Kaum unterwegs, schießt mir der Gedanke durchs Hirn, dass wir doch ein unverschämtes Glück gehabt haben, den beiden
Österreichern begegnet zu sein. Stellt Euch vor, verehrte Leser, wir wären tatsächlich mit unseren 300 Kilo,- auf BT45 -
die Passstraße gefahren. Wir hätten uns in Matsch und Dreck eingegraben und das bei 2500 Metern. Am Nachmittag
im September, bei Regen. Im Nebel. Auf der 36 Kilometer langen Strecke.
Da Ihr mich nie kennen gelernt hättet, würdet ihr das hier auch nicht lesen können!
Wäre doch schade, oder?
Ähh, zurück zu meinen Gedanken und, letztendlich, zu meinem Reisebericht.
Diese Schotterpiste in das Chisonetal stellt keine besondere Herausforderung dar - schön geschwungen, schmal und toll gelegen -
gibt sie mir Gelegenheit, mich ein wenig umzuschauen. Ein altes Militärfort kommt da gerade recht.
Mit der Spiegelreflex bewaffnet, erkunde ich das Gelände. Ich traue meinen Augen nicht: Wie ein Gürtel zieht sich ein
Festungsband hinunter ins Tal. In Fenestrelle türmt sich dann diese Anlage zu einem wahren Gebirge auf. Rechts ab,
nach Sestriere. Es wird dunkel, "blaue Stunde", der Regen wird zur Sintflut. Schwarz und nass glänzt das Teerband der S23.
Es hämmert so heftig auf den Helm, das ein brummender Grundton zu hören ist. Ich fahre automatisch. "Es" fährt...
Als wolle sich mein Hirn abkoppeln, sucht es sich eine Beschäftigung: Musik hören.
An der Auswahl kann ich nichts. Es ist ein uraltes Stück von Jack Bruce. "Theme for an imaginary western."
Das Kuhchen gleitet über die leere Straße, ich gehe mit den Füßen auf den Rasten mit, wackele rythmisch mit dem Oberkörper.
Laut ertönt meine Stimme (Gut, dass mich keiner hören kann):
O the sun was in their eyes
and the desert that dries
in the country towns
where the laughter sounds. ....der Refrain, weiter...
Oh the dancing and the singing
O the music when they played.......
Somtimes they found it
Sometimes kept it
Often lost it on the way
Fought each other to possess it
Sometime died in sight of day.
O the sun was in their eyes......
Die BMW und ihr singender, wippender Fahrer brausen weiter durch den Regen.
Da taucht vor uns Sestriere, diese seelenlose Skienklave auf. Niemand und nichts ist auf der Straße.....
Kilometer für Kilometer nach Frankreich, den Col de Montgenevre, dem Tor nach Briancon, Europas höchster Festung.
Wir fahren kurzentschlossen durch das Porte Dauphine in die Oberstadt. Der kleine Platz der sich vor uns auftut, ist von
Autos und Motorrädern zugestellt, da durch fahrend, schaue ich kurz auf - und direkt in das Gesicht des jungen Deutschen
vom Col du Mont-Cenis.
Gleich dort, da wo wir uns befinden, hat er ein Doppelzimmer ergattert und ist froh in mir noch jemanden gefunden hat,
mit dem er sich die Kosten teilen kann. Was habe ich doch ein Glück. Er hilft mir gleich, das treue Kuhchen vom Gepäck
zu befreien und schleppt mit mir das nasse Zeug ins Haus.
Das Labyrinth von Knossos kann nicht schlimmer sein. Durch Flure und Gänge, treppauf, treppab, führt der Weg,
bis wir in einem Zimmer im Dach gelangen. So heiß habe ich noch nie geduscht.....
Briancon, Sonntag im September.
Stahlblau ist der Himmel und die Sonne lacht. Heute lerne ich Briancon kennen, immer bin ich nur durchgefahren, einmal, 1985,
lernte ich den Camping Municipal kennen, der voller Motorradfahrer war.
Motorradfahrer abends auf dem Campingplatz! Das ist etwas ganz besonderes. Lagerfeuer, Bier oder Wein und Benzingespräche.
Was wird da gelacht und gescherzt, herrlich.
Äh, zurück....sorry!
++++Kleine Randnotiz++++Kleine Randnotiz+++++Kleine Randnotiz+++++Kleine Randnotiz+++++
Briancon 11038 Einwohner
Am Schnittpunkt der vier Täler des Brianconnais, nahedem nach Italien führenden Paß von Montgenevre gelegen,
rühmt sich Briancon, die höchste Stadt Europas zu sein (1321m). Aus dieser Lage erklärt sich die große strategische
Bedeutung, die Briancon immer hatte, einst aus militärischer Sicht, heutzutage für die Touristen und Skifahrer....
...Die von der Zitadelle überragte Oberstadt umschließt ein von Vauban entworfener Festungswall, dem sie den Namen
Briancon-Vauban verdankt. Dem Besucher präsentiert sie sich mit ihren engen, steilen Gassen noch immer wie zu
Zeiten Ludwigs XIV.*
Ende der kleinen Randnotiz
Lesen, spazieren, essen, ein Kaffee - das sind die Beschäftigungen dieses Tages. Ich habe mein treues Roß nicht eines
Blickes gewürdigt. Am Nachmittag, es zogen Schäfchenwolken auf, setze ich mich auf die Festungsmauer um wie ein Kind mir
vorzustellen, welches Tier sich in der Gestalt der Wolken wohl verbirgt. Der Sonnenuntergang war unbeschreiblich schön.
Mit zwei Engländern zusammen gingen mein junger Zimmergefährte und ich am Abend Essen.
Ich radebrecher mir einen ab und erst mit Zuhilfenahme leckerem Rotweins kriege ich eine ordentliche Unterhaltung zustande.
Beim Betreten des Hotels komme ich an mein braves Gefährt vorbei und sage leise zu ihm:
"Morgen! Morgen werden wir uns weiter auf die Reise begeben."
Gut habe ich auch in dieser zweiten Nacht in Briancon geschlafen.
Gegen drei Uhr weckte mich heftig prasselnder Regen, der auf das Schrägfenster trommelte.
Ich schlief wieder ein......
Wie es weiter geht?
Bald!
Euer Michael
*Michelin Reiseführer "Französische Alpen"
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Was habe ich lang gebraucht das Kuhchen zu beladen!
Spät war es also geworden, bis wir uns durch das Stadttor fahrend, von der Oberstadt verabschiedeten.
Als hätte das Wetter eine Auszeit genommen, um jetzt haargenau so garstig zu uns zu sein wie bei unserer Ankunft in Briancon,
regnete es. Die Straßen sind hier heller als in Italien......
Tanken, dann nehmen wir Kurs auf das kleine Tal der Cerveyrette und des Izoard, das uns nach Süden, zum Col d' Izoard (2360m) führt.
Schnell verfallen wir, trotz der nassen Straße, in einen Kurvenrausch. Lange führt die Passstraße durch eine bewaldete Landschaft.
Erst kurz unter dem Gipfel wird es kahl und sandig: Wir sind in den "Geröllalpen", die eher an die Wüste erinnern, als an Westeuropa.
Wir passieren das Refuge Napoleon und später den Obelisken, der die Höhe markiert.
Ihm zu Füssen stehen zwei Motorräder deren drei Fahrer zu mir hinüber schauen. Ich hebe die Linke, deute zum Himmel und mache
eine Wegwerfende Bewegung. Sie winken mir nach, als das Kurvengewühl uns aufnimmt.
Nach einigen schönen Serpentinen passieren wir das Casse Deserte, diese grandiose Stein- und Sandwüste, die der aufmerksame
Leser aus meinem ersten Bericht "Lange ist es her" schon kennt. Bremsung, in eine der Parknischen um ein Photo zu schießen.
Da kommen auch schon zwei einzelne Scheinwerfer auf uns zu.
Ich gehe zur Seite, um ihnen ein Halten zu ermöglichen. Vornweg bleibt dann auch eine Honda Seven Fifty stehen, gefolgt von
einer Suzuki Bandit. Der Fahrer der Honda heißt Richard, der Sozius ist sein Sohn. Der junge Suzi-Reiter macht seine erste Tour
durch die Berge und heisst Christian. Richard ist offensichtlich der Bärenführer. Wir sind uns auf Anhieb sympathisch.
Da ich eigentlich, ganz gegen meine Natur, planlos durch die Gegend daddel, stimme ich Richard sofort zu, ans Meer zu fahren.
Immer hinter Richard her, Ziel Menton.
Schnell hat sich eine Reihenfolge herausgearbeitet, mein Kuhchen und ich in der Mitte.
Ich habe schon einige wirklich Schnelle auf der Alpenpiste kennen gelernt, auch unser Dani gehört dazu -
aber Richard ist was ganz Besonderes. Eine Seven Fifty hat 74 PS, in den Bergen vollkommen ausreichend, diese aber trug
zu den beiden Passagieren auch noch eine Menge Gepäck. Ein Vier-Mann-Zelt, Koffer, Tankrucksack, Grill, Campingtisch und
Stühle. Das Teil lag wie ein Brett! Und was macht Richard? Er dreht dermaßen am Gasgriff, da kam ich aus dem Staunen
nicht heraus. Unser junger Freund auf seiner weinroten, nagelneuen Suzuki Bandit 600 hielt sich weise heraus, so dass die kleine
Kolonne immer auseinander gerissen wurde. Ergo hielten wir ab und zu an, um ihn wieder "einzusammeln".
Es lief alles ohne Hektik oder Aggression ab, selten habe ich mich in einer solchen Fahrerharmonie wieder gefunden.
Ins Queyras, nach Guillestre. Immer noch Regen, vielleicht wachsen mir schon Schwimmhäute?
Dunkel ziehen die Wolken über uns, vom blauen Himmel des Vortages ist nichts mehr zu sehen.
Es ist unangenehm kalt...
Über den Col de Vars (2109m) geht es in das Tal der Ubaye. Nach Jausiers, zur altbekannten Tanke.
Da stehen wir nun: Drei Motorräder und ihre schnatternde Besatzung. Wir sind Alle doch sehr aufgeräumt.
An der alten Villa vorbei. Ziel ist, wieder einmal, der Col de la Bonette (2802m).
Eigentlich müsste ich ja schon genügend Photos von dieser Strecke gemacht haben, trotzdem halte ich ab und zu an,
um ein weiters zu knipsen. Da wiederholt sich immer das gleiche Muster: Richard enteilt, während ich photographiere
fährt Christian vorbei. Auf die Mühle, Gas! Irgendwann ziehe ich an Christian vorbei, Richard jagen.
Der lässt aber permanent das Gas stehen, also muss ich mich mit Aufholen bescheiden. Nächstes Photo, gleiches Procedere....
Dem La Bonette ist der Restefond vorgelagert, ganz so wie dem Galibier der Telegraphe.
In der Höhe etwa, zerreißt es mich fast: Wieder mal auf der Jagd nach Richard, Christian ist schon kassiert,
kommt eine enge Rechtskurve, deren Kurvenausgang über einen Hang führt und deswegen nicht mehr zu sehen ist.
Zu sehen ist aber ein Weg zu einem kleinen See, der praktisch spitzwinklig, quasi "optisch geradeaus", nach links die
Straße verlässt. Für einen kurzen Augenblick folgen meine Augen nicht mehr dem Verlauf der Kurve, sondern diesem Weg zum
See. Hosianna in der Höhe! Das wir hier nicht Böse geparkt haben, ist für mich heute noch unverständlich.
"Roar!" Das war Christian auf seiner Bandit! Der ist wieder vorbei. "Hinterher!"
Endlich sind wir oben, auf dem La Bonette. Am Passstein, der an den Bau um 1860 erinnert. Trotz des schlechten Wetters -
ein bisschen Graupelschauer gefällig? - stehen eine Menge Motorräder da rum. Ich muss zu Eurer Enttäuschung gestehen,
dass sich nicht eine Ducati darunter befand, sondern nur die üblichen Verdächtigen.
Ich erspare mir deren Aufzählung. Markenrassismus ist wirklich SCHEISSE!!
Wir plauschen mit einer Horde Japaner, die völlig überwältigt sind von dieser Reise, da fällt mir Richards verzerrtes Gesicht auf.
Beim Einparken seiner Honda in die Reihe der schon stehenden Maschinen ist ihm die Fuhre fast umgefallen, so dass er mit dem linken
Bein versuchte, die schwere Maschine abzufangen. Manöver gelungen, Fuß verstaucht oder gar gebrochen.
Die Hilfsbereitschaft unter der Zunft war wieder einmal bemerkenswert, verehrte Leser!
Richard ist schon ein harter Hund: Weiter geht es, wieder in bekannter Reihenfolge, den Paß hinunter in das Tal der Tinee.
Endlos schwingen wir Kurven, bis wir endlich "unten" sind. Die D2205 ist in den letzten Jahren großzügig ausgebaut worden,
sprich langweilig für Motorradfahrer. Das Tal weitet sich, die Zivilisation mit ihrer sehr angenehmen Infrastruktur nimmt uns auf.
Richard hält sich großartig, an jeder Ampel, der Tankstelle, an jedem Peagehäuschen glaube ich den Schmerz zu fühlen, wenn
er mit den Beinen runter muss.
Warm wird die Luft, die Wolken spärlicher, blauer Himmel tut sich im Süden auf.
Bald sind wir da! Wir müssen noch ein Stück Autobahn mitnehmen, da taucht die Sortie "Menton" auf.
Die mit Fahrzeugen überquellende Straße nimmt uns auf, führt uns Mitten in die Stadt.
Richard biegt links ab - Christian und ich hinter her - um sofort rechts in eine Seitenstraße zu fahren.
Mittlerweilen bin ich nassgeschwitzt. Fleecepulli, lange Unterhose und Winterhandschuhe waren vor 100km noch
absolut notwendig, hier, faktisch im Sommer angekommen, erwiesen sie sich als unangebracht.
Aber beschwere ich mich? Da wäre ich ja blöde!
Richard steuert einen steil nach oben führenden Weg an, der uns direkt zum Eingang eines Campingplatzes bringt.
Kurze Zeit später stehen die Zelte und die Motorradklamotten dampfen hängend in der Sonne.
Nur mit einer Turnhose bekleidet bewege ich mich bei ca. 30 Grad Celsius über den Campingplatz, andere Motorradfahrer
besuchend. Nicht wenige sind schon länger hier, das sieht man leicht am Sonnenbrand - und Alle waren aus den Bergen
geflüchtet.
Gleich gehen wir im Meer baden......
Wie geht es weiter?
Was ist mit Richards Fuß?
Ausritte ins Hinterland. ...davon im nächsten Kapitel.
Michael
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++++Kleine Randbemerkung+++++Kleine Randbemerkung+++++Kleine Randbemerkung++++
...die Musik im meinem Kopf während der Regenfahrt nach Briancon:
"Theme for an imaginary western" von Jack Bruce. Album: "Songs for a tailor", 1969.
Mit Jon Hiseman, drums; Chris Spedding, guitar; Dick Heckstall-Smith, tenorsax....und Andere.
Die Verbindung zu "Colosseum" zeichnet sich ab.
"Greenslade" hat auf seinem Album "Spyglass Guest" sich 1974 des Stückes noch einmal angenommen:
Eine erstklassige Interpretation!
Der komplette Text:
When the wagons leave the city
for the forest and further on
Painted wagons of the morning
dusty roads where they have gone
Somtimes travelling through the darkness
met the summer coming home
Fallen faces by the wayside
looked as if they might have known.
O the sun was in their eyes
and the desert that dries
in the country towns
where the laughter sounds.
O the dancing and the singing
O the music when they played
O the fires that they started
O the girls with no regret
Somtimes they found it
Somtimes kept it
Often lost it on the way
Fought each other to possess it
Somtimes died in sight of day.
O the sun was in their eyes
and the desert.....
*****
Lyrics by Pete Brown
Ende der kleinen Randbemerkung
Euer Michael
################################
Ort: Menton, Frankreich, sechs Kilometer von der italienischen Grenze entfernt.
Cote d' Azur. Basis: Campingplatz über Menton.
"Cote d' Azur". Das ist da, wo der Reichtum Zuhause ist. Wo er offen zur Schau getragen wird.
Dort, wo die Ansammlung von Reichtum dazu geführt hat, dass die Reichen unter sich bleiben können.
Auch was wert: Unverkrampfter habe ich das Ausleben und zur Schau stellen von Reichtum noch nie gesehen.
In Hamburg nicht und auch in Davos nicht. Und das will ja schon was heißen.....
Von Menton ist es einen Katzensprung nach Monte-Carlo, Monaco, Nice und Cannes.
Hinter diesen Städtenamen steht eine märchenhafte Welt, völlig abgekoppelt von den Vorstädten Marseilles
mit ihren Wohnmaschinen voller Einwanderer.
Genug davon! Ich will ja nicht hier herumsozialisieren und moralisieren. Die Welt ist wie sie ist.
Das ist ja schließlich ein Reisebericht!
Trotzdem komme ich nich umhin, von dem Gefühl zu berichten, dass sich bei mir wie schleichendes Gift einstellte,
als "Armer" gesehen und erkannt zu werden. Der sich das zweite Bier verkneift, weil er nicht noch einmal 6.- Euro
für 0,33 Liter ausgeben will und kann. Der aus der Speisekarte sich das Billigste heraussucht, dass so teuer ist
wie ein fürstliches Mahl in einem mainzer Restaurant. Dessen Trinkgeld belächelt wird.
Wir vier Piepel waren als deutsche "Hungerleider" schon erkennbar, waren aber doch sehr souverän im Umgang damit.
Wir lachten viel, was ich als Ausdruck großer Fröhlichkeit und Ausgelassenheit werte.
Richard war Berufsoldat im Range eines Hauptfeldwebels.
Christian war und ist wohl noch, Polizist.
Leider habe ich den Namen des Sohnes von Richard vergessen, eines lieben, ziemlich stillen Jungen, der noch die
Sommerferien genoß, bevor es wieder in die Schule ging.
Nach einem kompletten Badetag mit Sonnenöl inclusive bratens in der Sonne, juckte uns dann doch wieder der Hintern,
mal ohne Gepäck mit den Krädern das Hinterland abzuklappern.
Am Abend vor der Tour erzählte uns Richard leidenschaftlich ergriffen und ungeheuer kundig, von der Mutter aller Rallys:
Der Rally Monte Carlo. Von der "Nacht der Langen Messer". Vom Col de Turini, den es in Schnee und Eis zu bezwingen gilt.
Von Walter Röhrl, der das Kunststück vollbrachte, diese Rally viermal zu gewinnen - und das mit vier verschiedenen Autos:
1980 mit Fiat; 82 mit Opel; 83 mit Lancia - und 1984 mit Audi.
"Col de Turini!" Klar müssen wir da hin!
Trotz dieser klaren Vorgabe kam es am nächsten Tag ganz anders: Mit noch zwei anderen Kradlern vom Campingplatz
brausten dann fünf Motorräder los.
Raus aus Menton, dem Gewusel, führt gleich nach der Autobahnauffahrt eine grandiose Strecke nach Sospel.
Wir sind recht flott unterwegs, auch Christian, der seine Alpenlektion gelernt hat.
Es wird gequirlt ohne Plan: Irgendwo kommen wir schon raus....
Es ist wirklich ein Vergnügen, "da unten" auf den Nebensträßchen herum zu kurven: Nie gehen einem die Pisten aus!
Und die Einheimischen? Die scheinen Alle auf "Hornet" herumzubrausen.
Nach Stunden der Freude kehren wir schließlich zu unseren Zelten hoch über Menton zurück.
Der Campingplatz verfügt über ein vorzügliches Restaurant - mit zivilen Preisen. Richard wurde beim ersten Betreten
dieses, mit lautem Hallo begrüßt. Ich glaube das war sein fünfter Aufenthalt, es könnten auch ein paar mehr gewesen sein.
In der Ecke stand eine Glotze, die, meistens wenig beachtet, auf einmal im Mittelpunkt stand:
In den Nachrichten wurden Bilder aus dem Laguedoc gezeigt, in denen Autos in braune Fluten versanken, Brücken weggerissen,
ganze Dörfer verwüstet wurden. Von etlichen Toten war die Rede.
Diese Bilder standen im völligen Kontrast zu der Situation an der Cote: Blauer Himmel, von dem die Sonne brennt und sanfter Wind
aus Meeresrichtung.
Am nächsten Morgen trennten sich unsere Wege für einen Tag: Christian und Richard wollten nach Monte-Carlo und Monaco
um den Luxus dieser Orte zu genießen und meine Wenigkeit zog es wieder "hoch", nach Sospel, dem Turini, nach St. Martin-Vesubie
und - na Ihr werdet es schon erfahren.
Ohne Gepäck ist schon was Anderes! Man ist viel zu schnell unterwegs...
Auf dem Col de Castillon, der Strecke nach Sospel, kann man sich auf eine "weiße" Nebenstrecke verkrümeln, die D2566.
Sehr empfehlenswert! Durch Sospel zum Col de Turini: Vierundzwanzig Kilometer Hochgenuß!
Da fehlen selbst mir die Worte! Da MÜSSEN Sie hin, verehrte Leser!
Auf dem Paß treffe ich zum Kaffee einen jungen Mann, der mit seiner KTM Duke unterwegs ist.
Er war heute schon das dritte Mal oben. "Turinifahren" nannte er das....
Sechzehn Kilometer später stoße ich auf die Straße im Vesubietal. Rechts, nach Roquebilliere. Kurz verfahren, kehrt - ins Kaff.
Da stehen wir nun an der mittelalterlichen Kirche und ich richte meinen Blick gen Himmel.
Grau sind die schnell ziehenden Wolken, Donner ertönt und, Ihr ahnt es sicher, leise fallen die ersten Tropfen.
Weiter pötteln wir, bis eine Dame auf der engen Straße erscheint: Die kann ich nach dem Weg zum Col d'Andrion fragen.
Ich war schon richtig, dem Michelin sei Dank! Eine wunderbare, durch völlige Einsamkeit führende Naturstraße über
40 Kilometer durch die herrliche Landschaft der Seealpen. Diese Route zu wählen, war ein Volltreffer.
Wenn nur der heftig prasselnde Regen nicht wäre.....
Sepentine um Serpentine haben wir schon genommen um die Paßhöhe zu gewinnen, da stellt sich ein doch unangenehmes
Gefühl ein.
Hosen haben eine Stelle, die ich mal das Kreuz nenne. An diesem Kreuz treffen die beiden Innennähte der Hosenbeine auf
die Nähte zum Reißverschluss der Hosenvorderseite und der Arschnaht zur Hosenhinterseite.
Ein echter Knotenpunkt, dass müsst Ihr zugeben - nicht?
Genau an diesem Knotenpunkt, die Männlichkeit befindet sich in unmittelbarer Nähe, wurde es auf einmal kalt.
Sehr kalt, schließlich befinden wir uns auf gut 1600 Meter. Warum muß die Hose jetzt absaufen?
Reicht es nicht, dass ich mit dem Jethelm unterwegs bin? Mein Kinn, die Wangenknochen und das Nasenbein sind schon
schockgefroren.
An der wunderbaren Strecke ändert das nichts. Ich beschließe meine kalten, nassen Ei.. zu ingnorieren.
Die Sonne bricht dramatisch durch die Wolken, ihre Strahlen fallen auf die nassen Wälder.
Mein Photoauge wächst. Gerade will ich anhalten, da kommt mir ein PKW entgegen, am Steuer eine junge Frau.
Ich halte an, greife mir die Kamera, laufe die Straße entlang und erspähe die kleine Stadt La-Tour, die wie ein Krähennest
auf einem Hügel gebaut ist. In den Graben, den Helm habe ich oben an den Straßenrand gelegt, Photo.
Gerade will ich zufrieden wieder aus den Graben klettern, da höre ich das Bremsen eines Wagens im Schotter.
Völlig aufgelöst fragt mich die junge Dame von eben, ob mir was passiert sei.
Sie dachte wohl, ich hätte mein Kuhchen die Böschung hinunter expidiert. Wild fuchtelnd, erkläre ich ihr meine
Unversehrtheit, zeige ihr die Kamera und deute auf La-Tour. Sichtbar kehrt bei ihr Erleichterung ein.
Fast fühle ich mich schuldig. Ich bedanke mich bei ihr audrücklich, sie fährt langsam davon.
Es ist schon merkwürdig: Sobald ich im Hinterland bin, fühle ich mich unendlich wohl. Ich brauche den Trubel nicht....
Wieder im Tal der Vesubie angelangt, mache ich mich auf den Rückweg nach Menton.
War das ein wunderbares Erlebnis, diese Reise an diesem Tag.
So fahren die Kuh und ihr Reiter wieder der Sonne entgegen, Richard will grillen - und ich nicht
zu spät kommen.
Wie es weiter geht?
Das, meine Guten, erfahrt Ihr später....
Euer Michael
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